Interview mit Volker Weiß über sein neues Buch „Das Deutsche Demokratische Reich“

Volker Weiß ist Historiker und gilt als einer der besten Kenner der neurechten Szene. Sein Buch „Die autoritäre Revolte. Die neue Rechte und der Untergang des Abendlandes“ gilt als Standardwerk zum Thema und wurde für den Preis der Leipziger Buchmesse 2017 nominiert.
Nun hat er ein neues Buch vorgelegt: „Das Deutsche Demokratische Reich. Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört“. Es hat im Februar auf Anhieb mit großem Abstand Platz 1 der Sachbuch-Bestenliste von Dlf Kultur, ZDF und ZEIT erreichte.
Die Stiftung Hambacher Schloss hat Volker Weiß für Donnerstag, 6.3.2025, 19 Uhr zu ihrer Veranstaltungsreihe „Hambacher Nachlese“ zu einem Autorengespräch eingeladen. Die Veranstaltung wird moderiert von Kristian Buchna.
Der Hambach-Blog hat mit Volker Weiß über sein neues Buch gesprochen.
Hambach-Blog: Ihr neues Buch heißt „Das Deutsche Demokratische Reich. Wie die extreme Rechte Geschichte und Demokratie zerstört“. Sowohl das „Deutsche Demokratische Reich“ (DDR?) ist ein ungewöhnlicher Begriff als auch die „Zerstörung der Geschichte“ eine eigenartige These. Wie kann man die Geschichte zerstören? Können Sie erläutern, was sie mit diesem Buchtitel meinen?

Volker Weiß: Der Titel greift die Forderung eines rechtsextremen Agitators auf. Jürgen Elsässer hatte am 3. Oktober 2023 in Gera bei einer Rede die Gründung eines »Deutschen Demokratischen Reichs« gefordert. Ich fand das sehr passend, da es zwei geschichtspolitische Motive zur Synthese bringt, die in der Rechten zu beobachten sind: Eine antikommunistische DDR-Nostalgie und die Neuinterpretation des Nationalsozialismus. Aus beiden ja sehr unterschiedlichen historischen Regimen werden nun Elemente herausgebrochen, die man wiederbelebt sehen möchte.
Im Wesentlichen geht es um die ordnungsstaatlichen Elemente, den irrigen Glauben, dass beides souveräne Nationen mit funktionierenden Grenzen waren. Dabei war die DDR vollkommen von der Sowjetunion abhängig. Im Nationalsozialismus wurden Grenzen nicht nur permanent verschoben, sondern auch Millionen Menschen zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt Zugleich lässt man die Teile der Realität verschwinden, die die Erinnerung stören: die ökonomische Struktur der DDR beispielsweise oder die Verbrechen des Nationalsozialismus. Beim Nationalsozialismus gibt es dann noch die spezielle Variante, ihn – wie jüngst erst von Alice Weidel versucht – nach links zu verschieben, um die eigene Geschichte zu entlasten. Man sehnt sich aus einer falsch erinnerten Geschichte nach einer imperialen Renaissance. Um dies zu vermitteln, muss zunächst das bestehende Wissen über die historischen Begebenheiten zerstört werden. Daran arbeiten alt- und neurechte Agitatoren und die AfD nun seit Jahren verstärkt.
Das Deutsche Demokratische Reich könnte man also als ersehnte Synthese von Deutschem oder Drittem Reich und DDR lesen.
Ihr Buch beginnt mit dem Thema Ukraine. Was hat die russische Aggression gegen die Ukraine mit der deutschen, extremen Rechten zu tun?
Mir ist aufgefallen, dass die neuen russischen Lesarten vor allem des Zweiten Weltkriegs und der Sowjetunion ein ähnliches Muster aufweisen. Sie verschieben die Erinnerung gewissermaßen. So bleibt von der Sowjetunion nur das Autoritär-Imperiale übrig. Das geht mittlerweile so weit, dass man die Sowjetunion einfach als ein weiteres Element in einer angeblich ewigen Auseinandersetzung der heiligen russischen Nation mit dem destruktiven Westen eingemeindet, als eine Art Zarenreich mit anderen Mitteln. Konsequenterweise wird dann auch gleich Lenin entsorgt, während Stalin wieder hoch im Kurs steht. Am Ende wird alles auf eine positiv besetzte Nation und staatlichen Autoritarismus reduziert. Ich zitiere im Buch offizielle russische Verlautbarungen, die alles, was sie mit dem Westen verbinden, als Angriff auf die russische Identität werten – von Hitler über die Idee der Menschenrechte bis zur Unterstützung der Ukraine wird kein Unterschied gemacht. Auf Basis dieser Neudefinition von Geschichte konnten auch das russische Regime und die deutsche Rechte zueinanderfinden.
Alice Weidel ist kürzlich mit der These aufgefallen, Hitler sei eigentlich Kommunist gewesen. Welche Absicht sehen Sie bei Weidel hinter dieser bizarren Aussage?
Das war ein alter Taschenspielertrick, der in der äußersten Rechten schon lange kursiert. Man will sich damit der eigenen Geschichte nicht nur entledigen, sondern gleich den Gegner für die Verbrechen verantwortlich machen. Ein AfD-Parlamentarier, Oliver Kirchner, hat mit so einer Argumentation während einer Landtagsdebatte in Sachsen-Anhalt einmal der SPD vorgeworfen, für den Nationalsozialismus verantwortlich zu sein. Meist dienen die Einbindung der Massen in die Politik, Eingriffe in die Produktion und eine erhöhte Steuerlast während des Krieges als Beleg für einen angeblich „linken“ Charakter des Nationalsozialismus. Das waren allerdings keineswegs immer rein NS-spezifischen Maßnahmen, sondern sie hingen teils mit dem Krieg zusammen, teils waren sie gängige Methoden zur Krisenlösung, die auch andere nicht-sozialistische Länder kannten. Die sozialpolitischen Maßnahmen des NS wiederum entsprangen, soweit sie nicht ohnehin nur Propaganda waren, der Ideologie der „Volksgemeinschaft“. Die war allerdings ein dezidierter Gegenentwurf zu den sozialistischen Konzepten.
Nun ist es am 29.1.2025 zum ersten Mal im Bundestag zu einem Beschluss in Sachen Migrationspolitik gekommen, dessen Mehrheit für einen Antrag der CDU/CSU nur durch Zustimmung der AfD und FDP sowie Enthaltung des BSW zustande kam. Ein gefährlicher, dramatischer Dammbruch, eine Gefahr für unsere Demokratie oder Ausdruck eines überhitzten Wahlkampfes im kalten Winter?
Zumindest ein Vorgeschmack darauf, was möglich wird. Dabei sollten gerade die Konservativen verstehen, dass es der AfD darum geht, die CDU anzugreifen. Der Blick auf Österreich zeigt, wem solche Kooperationen nützen und wem nicht. Die ÖVP hat an der Kooperation mit der FPÖ massiven Schaden genommen, das weiß die AfD natürlich. Sie will die CDU langfristig ersetzen.
Danke, Herr Weiß, für das Interview!
In der Wochentaz vom 22.2.2025 rezensiert Ulrich Gutmair das Buch von Volker Weiss unter dem Titel „Vergangenheit, die es nie gab. In „Das Deutsche Demokratische Reich“ zeigt der Historiker Volker Weiß, wie die AfD und Putin Geschichte umschreiben.“
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