Teil 2 des Interviews mit Richard Rohrmoser zum Film „Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“, Roxy-Kino Neustadt, 4.6.2025, 19 Uhr
Am 4.6.2025, 19 Uhr wird im Roxy-Kino in Neustadt der Film „Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“ (Trailer) gezeigt. Die Vorführung findet statt im Rahmen des „Solidarischen Frühlings – Neustadt ‘25“. In dem aktuellen Dokumentarfilm sprechen fünf Antifa-Aktivist:innen über ihre Aktivitäten während der sogenannten Baseballschlägerjahre in den 1990er-Jahren.

Der Mannheimer Historiker Dr. Richard Rohrmoser hat sich in seinem Buch „Antifa – Porträt einer linksradikalen Bewegung von den 1920er Jahren bis heute“ mit der Geschichte der Antifa befasst. Richard Rohrmoser wird am 4.6. im Roxy-Kino in die Zeit, die der Film behandelt, einführen und bei der anschließenden Diskussion Rede und Antwort stehen.
Im ersten Teil des Interviews, das am 9.4.2025 in Mannheim für den Hambach-Blog von Rainer Steen und Ulrich Riehm geführt wurde, ging es vor allem um die Einordnung der Baseballschlägerjahre und um die Intentionen des Films. Im zweiten und letzten Teil diskutierten wir mit Richard Rohrmoser aktuelle Tendenzen des Rechtsextremismus und der antifaschistischen Strategien.
Hambach-Blog: Aber vielleicht können wir nun noch auf die Jetztzeit schauen. Ich sehe die Gefahr, dass wir vor neuen Baseballschläger-Jahren stehen. Wenn man sich Fotos anschaut von Demos, z.B. 2024 in Bautzen, wo die 14-, 15-jährigen Nazi-Jungs wieder in dieser martialischen Geste auftreten, was ja im Zuge der Dominanz der AfD in der rechten Szene und des Niedergangs der NPD eine Zeit lang gar nicht mehr so dominant war.
Richard Rohrmoser: Das kann ich leider nur bestätigen. Anfang der 2000er-Jahre haben die Rechtsextremisten den Kurs gefahren, dass sie als „autonome Nationalisten“ aufgetreten sind. Und da waren sie optisch kaum zu unterscheiden von linken Gruppen mit schwarzen Jacken, Skater-Klamotten, bis hin zu Irokesen-Frisuren.
HB: Und auch auf der Seite der Antifa sind wieder militante Aktionen angesagt, z.B. in Leipzig, oder Eisenach, wo Faschos brutal zusammengeschlagen wurden.
Vor einer neuen Gewaltspirale?
RR: Ich bin ja überhaupt kein Anhänger der Hufeisen-Theorie. Aber klar, man findet einen Anstieg der Gewalt. Im Jahr 2024 gab es deutlich über 30.000 Strafdelikte von der rechten Seite, davon waren etwa 1.100 Gewaltdelikte. Aber auf der linken Seite hat die Bereitschaft, Gewalt auszuüben, auch zugenommen. In der linken Szene gilt ja eigentlich oder galt lange der Konsens, Gewalt nur gegen Sachen, und wenn es gegen Personen geht, nur zur Selbstverteidigung. Und der bröckelt anscheinend momentan. Das hat man nicht zuletzt auch an dieser „Hammer-Bande“ um Lina E. in Dresden/Leipzig gesehen, die sind proaktiv auf die Rechten losgegangen.
HB: Allerdings gab es doch auch eine vorschnelle mediale Skandalisierung und Vorverurteilung der Aktivisten.
RR: Ja, aus Lina E. sollte – so mein Eindruck – so eine Art „linke Beate Tschäpe“ gemacht werden. Die mediale Aufmerksamkeit vor dem Prozess, das fand ich schon einigermaßen überzogen, da sollte auch viel vom staatlichen Versagen abgelenkt werden.

HB: Bei den Aufnahmen im Film wird ja deutlich, dass die Antifa als „schwarzer Block“, mit Transparenten rundherum, sichtbar sein wollte, etwa bei dem G20-Treffen in Hamburg 2017. Das scheint ja abgenommen zu haben, nach meinem Eindruck. Diese Uniformierung sieht man nicht mehr in diesem Ausmaß. Aber so, wie ich das jetzt verstanden habe, könnte es sein, dass martialische Auftritte und organisierter Selbstschutz wieder eine stärkere Rolle spielen.
RR: Ja, diese Einschätzung würde ich so teilen.
HB: Aber wenn man Antifa-Demos etwa in Berlin anschaust – die sehen immer noch so aus – dort gibt es immer noch diesen „Schwarzen Block“.
RR: Ich hatte zwischenzeitlich mal den Eindruck, dass diese klassischen, autonomen Antifa-Gruppen nicht mehr so stark vertreten sind. Etwa Fridays-for-future-Gruppen hatten teilweise auch den Rechtsextremismus zum Thema gemacht. Aber das war vielleicht vor fünf Jahren eine gewisse Tendenz. Möglicherweise wird derzeit wieder stärker auf Selbstschutz-Konzepte zurückgegriffen.
HB: Es steht ja auch die Frage im Raum, wie sieht das mit Bündnissen zwischen der „autonomen Antifa“ und mit der Linken, den Grünen, dem sozialdemokratischen Spektrum aus. Wenn die Militanz wieder sichtbarer wird, stärkt das auch die Abgrenzungstendenzen oder man könnte auch sagen Spaltungstendenzen?
RR: Ja, das ist auch mein vorläufiger Eindruck. Aber als Historiker halte ich mich ja zurück mit Prognosen. Es würde mich nicht wundern, wenn es so käme.
HB: Aber was ist der Kern dieser Abgrenzungstendenz? Woran macht sich die liberale Öffentlichkeit oder die liberale, linke politische Szene fest, wenn sie sagt „Mit der Antifa wollen wir nix zu tun haben!“?
Antifa (k)ein Zerfallsprodukt der 68er oder der RAF
RR: Ich glaube, wenn man das größer, historisch betrachtet, schwingt da auch noch viel Missverständnis und Unkenntnis mit. Es gibt doch die relativ weit verbreitete Vorstellung, die Antifa sei irgendwie ein Zerfallsprodukt der 68er-Bewegung oder gar der RAF.
Bei meinen Vorträgen zum Thema kamen Zuhörer zu mir, die erklärten, dass sie gar nicht gewusst hätten, dass die Antifa-Bewegung eine hundertjährige Geschichte hätte.
Die These meines Buches ist ja, dass die Antifa-Bewegung eine soziale Bewegung ist. Und so wie es in den1980er-Jahren die Friedensbewegung gab, die Anti-AKW-Bewegung, die Frauenbewegung oder die Homosexuellen-Bewegung hat diese Bewegung dafür gesorgt, dass ein sozialer Wandel stattgefunden hat. Die anderen Bewegungen, die ich genannt habe, hatten zunächst auch etwas „Anrüchiges“, hatten nicht den Stellenwert, den diese Bewegungen heute haben. Aber „die Geschichte“ hat ihnen sozusagen rechtgegeben oder vielleicht etwas vorsichtiger formuliert, es sind mittlerweile respektierte Bewegungen. Und das ist bei der Antifa-Bewegung bisher ausgeblieben.
HB: Steht die Antifa-Bewegung nicht für eine gewisse Gewaltbereitschaft? Dies wird ihr jedenfalls immer wieder vorgeworfen.
DIE Antifa-Bewegung gibt es nicht!
Richard Rohrmoser
RR: Das ist sehr vereinfachend. DIE Antifa-Bewegung gibt es nicht. Es gibt Gruppen, die ganz explizit sagen, Beispiel Dresden, dass sie nur friedliche Demonstrationsformen unterstützen. Man beruft sich dann etwa auf Konzepte des zivilen Ungehorsams. In meiner Definition der Antifa gehören auch gesellschaftliche Zusammenschlüsse, Bündnisse, zur Antifa-Bewegung, die explizit gewaltkritisch sind. Aber medial ist immer die Antifa-Gruppe im Fokus, die, wie in Leipzig, „Barrikaden“ anzündet. Wenn aber irgendwo eine Straße mit einer Sitzblockade blockiert wird, damit die Nazis nicht aufmarschieren können, wird relativ wenig berichtet.
HB: Die sozialwissenschaftliche Forschung zum Rechtsextremismus geht schon lange davon aus, dass es in der Gesellschaft ein Potential von etwa zehn Prozent der Bevölkerung gibt, die für rassistisches und rechtsextremes Denken offen sind. Aber es gibt offensichtlich Konjunkturen des Zuwachses und der Abnahme. Was sind die Gründe, dass der militante Rechtsextremismus vielleicht gerade wieder zunimmt. Was sind die sozialen, politischen und die kulturellen Bedingungen?
RR: Das ist die große Frage. Ich war kürzlich auf einer Konferenz zum Thema Rechtsextremismus, und genau die Frage ist wahnsinnig schwer zu beantworten. Lange Zeit galt die soziale Frage als der Auslöser, aber es gibt Akteure und Akteurinnen – Stichwort Sylt – die davon nicht betroffen sind. Und es gibt noch einen blinden Fleck in der Forschung, woher das dann kommt. Es gibt sicher wahrgenommene, empfundene, reale, aber auch irgendwie irrationale Verlustängste als Ursache. Eine Reaktion ist dann, nach unten zu treten. Aber die SozialwissenschaftlerInnen sind m.E. eher wieder von der These von den sozialen Gründen für die Rechtsentwicklung abgekommen. Als Erklärungsansatz reicht sie nicht aus.
HB: Versuchen wir nochmals den Blick zu weiten. Wir haben jetzt gut zehn Jahre den Aufstieg der AfD, nicht bloß politisch und mit dramatisch angestiegenen Wahlergebnissen, sondern auch kulturell. Die AfD konnte den öffentlichen Diskurs immer besser dominieren. Hat das, wenn ich mal ein bisschen spekuliere, vielleicht den gewaltbereiten Rechtsextremismus tendenziell eingehegt? Und was passiert jetzt? Ist die von uns in Ansätzen beobachtete und besprochene neue öffentliche Präsenz des militanten Rechtsextremismus eine Kritik an der parlamentarischen Strategie der AfD, eine Anti-AfD-Bewegung rechts von der AfD? Oder ist der sich neu formierende Rechtsextremismus nicht genau Ausdruck des Aufstiegs der AfD, die das rechte Gedankengut sagbarer gemacht hat?
AfD „verschiebt die Grenzen des Sagbaren“
RR: Ich tendiere eher zu der Auffassung, dass die AfD in den letzten zehn Jahren die Grenzen des Sagbaren verschoben hat, und sich dadurch in den rechten Netzwerken, Gruppen und Strömungen neue Gelegenheitsfenster ergeben haben.
HB: Und dann gibt es noch die Akteure im „Hintergrund“, die an diesen Strategien stricken – der Götz Kubitschek beispielsweise oder der Identitäre Martin Sellner, die ja ganz gezielt und ganz bewusst formulieren, dass sie Strategien der Linken übernehmen.
Versuchen wir eine Bilanz dieses Interviews zu ziehen: Was ist die Substanz, was ist das Wichtige an der Antifa-Bewegung? Warum brauchen wir sie?
Die Antifa hat die Gesellschaft sensibilisiert gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Sie ist oft besser im Bilde über Strukturen und Aktivitäten des Rechtsextremismus als staatliche Behörden.
Richard Rohrmoser
RR: Ich zähle dazu die Vorleistungen, die sie erbracht hat in all diesen Jahrzehnten. Sie hat die Gesellschaft sensibilisiert gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Teilweise ist es gelungen, dass diese Aufgabe vom Staat übernommen wurde, mal mehr, mal weniger. Die Antifa ist eine zivilgesellschaftliche Bewegung, die oftmals besser im Bilde ist über Strukturen und Aktivitäten des Rechtsextremismus als staatliche Behörden. Beispiele dafür gibt es genügend. Insofern ist der Untertitel des Films – „wo der Staat versagte“ – treffend.
Natürlich muss man bei der Frage der Anwendung von Gewalt den Finger in die Wunde legen. Da bekomme auch ich sehr schnell Gegenwind. Das enttäuscht mich auch ein bisschen, dass offensichtlich Teile der Bewegung nicht gesprächsbereiter sind oder offen für Kritik. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Teile der linken Antifa-Bewegung sich gar nicht dafür interessieren, wie sie wahrgenommen werden, wie sie sich vielleicht auch irgendwie attraktiver machen, breiter aufstellen könnten.
HB: Sie haben mal in einem anderen Gespräch gesagt, es gebe drei Schlüsselfragen: Es gehe um die Legitimität von Gewalt, es gehe um die Frage der Bündnisbereitschaft oder -fähigkeit und es gehe um die Frage des staatlichen Aspektes von Antifaschismus. Ich kann mir gut vorstellen, dass das eine hohe Irritation für Aktivisten mitbringt, weil sich die Antifa-Bewegung ja offenbar differenziert hat – etwa mit einer feministischen oder türkischen Antifa. Dies setzt Kommunikationsfähigkeit und Kommunikationsbereitschaft voraus – und diese ist, solange es um Militanz geht, begrenzt.
Aber nochmals zur „Gewaltfrage“. Hängt die Gewaltfrage nicht mit der „Systemfrage“ zusammen? Wenn das „System“ abgelehnt wird – egal ob von Rechts oder von Links – ist doch die Neigung zur gewaltsamen Abschaffung des „Systems“ naheliegend.

RR: Dazu wird gerne Max Horkheimer zitiert, der gesagt hat: Antifaschismus geht nur mit Antikapitalismus.
Danke für das Interview und die Bereitschaft am 4.6.2025 im Roxy-Kino in Neustadt über den Film „Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte!“ zu sprechen.
Die Vorführung des Films im Roxy-Kino in Neustadt am 4.6.2025 wurde initiiert vom Freundesrkreis Hambacher Fest 1832 und ist Bestandteil des „Solidarischen Frühlings – Neustadt ’25“.

Mögliche Änderungen oder Ergänzungen am Programm des Solidarischen Frühlings auf dem Hambach-Blog https://hambacherfest1832.blog/
Was sonst noch so los ist in den nächsten Tagen und Wochen …
… findet ihr auf dem Veranstaltungskalender des Hambach-Blogs



