Was es mit dem Gedenkstein für Kaiser Wilhelm I. auf dem Wilhelmsplatz auf sich hat : ein Interview mit dem Politikwissenschaftler und Experten für die Demokratiegeschichte der Pfalz Thomas Handrich
Läuft man am Haardter Schloss bergaufwärts, gelangt man in die ehemalige Wolfsche Anlage, ehemals ein etwa 5 ha großer Landschaftspark, und man stößt auf einige interessante, teils auch skurrile Überbleibsel von Bauwerken, die meist im 19. Jahrhundert entstanden sind.
Die alte „Eremitage“ entstand um 1840, wurde von 1947 bis 1952 als Hühnerstall genutzt, verfiel dann oder wurde mutwillig zerstört. Das kann man einer Infotafel der Stadtverwaltung Neustadt aus dem Jahr 2016 entnehmen.
Oder nicht weit von der Eremitage entfernt das „Schweizerhaus“, von dem nur noch die Grundmauern zu sehen sind. Um 1900 wurde es auf einer Aussichtsterrasse als „Sommerhaus“ errichtet. Während des Zweiten Weltkriegs diente es als militärische Unterkunft, nach dem Krieg als Notunterkunft und Ort einer Bernhardinerzucht und kurzzeitig bis 1952 als Café. Danach stand es leer und wurde 1962 durch einen Brand bis auf die Grundmauern zerstört. Auch hierzu findet man eine informative Texttafel der Stadt Neustadt.
Schließlich gelangt man auf dem „Panoramaweg,“ mit tollen Aussichten in die Rheinebene, Richtung Gimmeldingen zum Wilhelmsplatz.
Wilhelmsplatz
Der Wilhelmsplatz ist ein terrassenförmig angelegtes Gelände mit einer unbewirtschafteten Schutzhütte und einem Denkmal.
Dem Denkmal kann man entnehmen, dass der Platz 1886 als „Festplatz“ angelegt, der Gedenkstein für Kaiser Wilhelm I. 1912 errichtet und 1980 die gesamte Anlage erneuert wurde. Weitere Erläuterungen, etwa eine Infotafel der Stadt Neustadt, sind nicht vorhanden.

Frägt man nach Hintergründen zur Entstehung dieses Platzes und des Gedenksteins und zu den Kräften und Motiven seiner Erneuerung 1980 kommt man beim Historischen Verein der Pfalz nicht viel weiter. In den „Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz e.V.“ scheint dazu nichts Relevantes vorhanden zu sein.
Ein kurzer Eintrag bei Wikipedia weist immerhin darauf hin, dass der „Verschönerungsverein Haardt“ (1884 gegründet) 1885/86 der ursprüngliche Errichter des Platzes war.
Dem Band von Hermann Fischer und Alfred Sitzmann („ Sonnenterrasse Hardt. Geschichte und Geschichten“ 2005) kann man entnehmen, dass die Einweihung des Gedenksteins für Kaiser Wilhelm I. am 1.9.1912 erfolgte, und man sich mit diesem Datum auf den sog. Sedantag bezog, der an die Kapitulation der französischen Armee am 2. September 1870 nach der Schlacht bei Sedan erinnert.
Hugenottenfamilie Dacqué – nicht Ludwig, sondern Enkel Eugen war der Förderer
Dass der Gedenkstein, damals noch mit einem Porträt des Kaisers versehen, vom Neustadter Bankier Ludwig Dacqué weitgehend finanziert wurde (Fischer/Sitzmann 2005, S. 70) ist allerdings ein Missverständnis, das in allen zu Rate gezogenen Veröffentlichungen weitergetragen wird. Ludwig Dacqué war 1912 schon fast 60 Jahre tot (geb. 1786 in Neustadt). Er stammt aus einer wohlhabenden Hugenottenfamilie, die 1752 nach Neustadt übersiedelte und dort 1776 eine Bank gründete. Ludwig Dacqué führte diese Bank selbst in der Hauptstraße 75 in Neustadt. Er war außerdem der Eigentümer der Papiermühle im Kaltenbrunnerthal (heute Anwesen Schöntalstraße 1-7), die er von 1816 bis 1843 selbst betrieb. Im Bayerischen Landtag war er Abgeordneter für den Rheinkreis von 1825-1828 und ab Dezember 1829 bis über die Zeit des Hambacher Festes 1832 hinaus Bürgermeister von Neustadt (Quelle1 Quelle 2 Quelle 3 )

Der eigentliche Förderer des Kaiserdenkmals war Eugen Dacqué (1848-1922), ein Enkel von Ludwig Dacqué, ebenfalls Bankier (zur Genealogie der Familie Dacqué). Ein im Stadtarchiv Neustadt vorhandener Brief von Eugen Dacqué vom 31.8.1912 an den Verschönerungsverein verweist auf diesen Zusammenhang.

Bereits im 19. Jahrhundert bis in unsere Zeit fanden immer wieder auf dem Wilhelmsplatz gut besuchte „Waldfeste“ statt, die der Haardter Männergesangverein 1835/70 veranstaltete.
Am 29. Juni 1980 restaurieren die Fördergemeinschaft Haardt (1976 gegründet) und der Männergesangsverein den Gedenkstein und die gesamte Anlage (Fischer/Sitzmann 2005 S. 175).
Soweit das zusammengetragene Wissen zum Wilhelmsplatz, sicherlich noch lückenhaft. Für eine erste Einordnung hat der Hambach-Blog Thomas Handrich befragt, der sich intensiv mit der Demokratiegeschichte der Pfalz und Rheinhessens auseinandergesetzt und jüngst ein Buch zu den „Erinnerungsorten der Geschichte der Demokratie“ veröffentlich hat.
Interview mit Thomas Handrich

1 Thomas, mich würde deine Meinung zum „Kaiser-Wilhelm-Platz“ am „Kaiserweg“ oberhalb von Neustadt-Haardt interessieren. Fangen wir vielleicht mal damit an, wer war eigentlich dieser Kaiser Wilhelm I. und welche Beziehung hatte er zur Pfalz?
Thomas Handrich: Wilhelm I. wurde am 18. Januar 1871 zum Kaiser des neu entstandenen Deutschen Reichs in Versailles gekrönt. Zuvor hatte die französische Armee bei der Schlacht von Sedan am 1./2.9.1870 kapituliert, Napoleon III. wurde von den Preußen gefangen genommen.
Als Prinz von Preußen (ab 1840) wird er im Zusammenhang mit der Niederschlagung der demokratischen März-Revolution 1848 in Berlin gerne als „Kartätschen-Prinz“, bezeichnet. Er gilt, so etwa der Historiker Christopher Clark, als mitverantwortlich für die militärische Niederschlagung des Volksaufstandes. 200 „Märzgefallene“ Zivilisten waren zu beklagen.
Wilhelm war ab 1849 Oberbefehlshaber der preußischen Rheinarmee und in dieser Funktion dirigierte er die Niederschlagung der pfälzischen und badischen Revolution. Am 14. Juni wurde dem Pfälzischen Aufstand der Krieg erklärt, der in wenigen Tagen niedergeschlagen werden konnte. Schließlich siegte unter seiner Führung im Gefecht bei Waghäusel die preußische Armee über die badischen Revolutionstruppen.
Zusammenfassend würde ich sagen, Wilhelm I. war immer ein Scharfmacher, stand für ein Deutsches Reich unter preußischer Führung ohne Zugeständnisse an die bürgerlich demokratischen Bestrebungen und schon gar nicht an die aufstrebende Arbeiterbewegung.
2 Kannst du etwas zum wahrscheinlich widersprüchlichen Verhältnis der Neustadter zu Frankreich sagen. Du erwähnst ja in deinem Buch, dass Neustadt nach der franz. Revolution einige Zeit französisch besetzt war? Mich interessiert das, weil das Denkmal für Kaiser Wilhelm I. 1912 einen Tag vor dem Sedantag eingeweiht wurde.
Thomas Handrich: Die „Franzosenzeit“ ist in Neustadt sehr unterschiedlich bewertet worden. Es gab 1798 eine Reunionsadresse, also eine Art Vereinigungsgesuch mit Frankreich. Die Bürger konnten – mussten aber nicht – unterschreiben, dass sie zu Frankreich bzw. zum Département du Mont-Tonnerre (Département Donnersberg) gehören wollten. Das war noch vor der Machtergreifung Napoleons. Durch die Zugehörigkeit zu Frankreich verloren insbesondere der Adel und die Kirche ihre Macht und einen Teil ihrer Besitztümer. Diejenigen, die bereit waren mit den Franzosen zu kooperieren, bildeten eine neue bürgerliche Mittelschicht. Sie hatten die Chance die enteigneten Güter des Adels und der Kirche zu erwerben. Diese „Notabeln“ waren profranzösisch eingestellt.
Natürlich gab es auch antifranzösische Stimmungen, z.B. als die Franzosen versuchten Französisch als Amtssprache einzuführen, was dann wieder zurückgenommen wurde. Spätestens als die Mobilmachung auch in der Pfalz für Napoleons Armeen erfolgte, distanzierten sich viele Pfälzerinnen und Pfälzer von Frankreich.
Trotzdem, die Einführung des Code Napoleon und die Veränderung der Besitz- und Machtverhältnisse waren für die Pfalz ein Fortschritt, der nach 1816 in dem dann bayerischen „Rheinkreis“ verteidigt wurde. Das Hambacher Fest 1832 fand nicht zufällig in der Pfalz statt.
Wenn man auf die Zeit zwischen der Reichsgründung 1871 und dem ersten Weltkrieg 1814 schaut, in der ja 1886 der Wilhelmsplatz und 1912 der Gedenkstein für Wilhelm I. entstand, dann ist dies die Zeit, in der die Arbeiterbewegung an Einfluss und auch (Gegen-)Macht gewann. Bismarck, zeitweise Reichskanzler, und seine Sozialistengesetze (1878-1890) waren Ausdruck einer Repressionspolitik. Gleichzeitig erlebte der preußische Nationalismus seine Blüte, was sich in vielen damals entstandenen Kaiser- oder auch Bismarck-Denkmälern und Plätzen zeigte.
Demokratiegeschichtlich ist interessant, dass in dieser Zeit auch Denkmäler entstanden, die z. B. an die 1848/49-Revolution erinnerten. Das Denkmal an die Gefallenen vom Gefecht bei Rinnthal z.B. entstand 1880. Die pfälzische Revolutionsarmee versuchte am 17. Juni 1849 bei Rinnthal im Tal der Queich vergeblich, den Vormarsch der konterrevolutionären preußischen Truppen in die Rheinebene aufzuhalten. Allerdings war dieses Denkmal für die Gefallenen bei Rinnthal nur möglich mit der den historischen Konflikt verdunkelnden Widmung „Auch sie starben für das Vaterland“. Nur im nationalistischen Kontext durfte an die Freiheitskämpfer erinnert werden.
Insgesamt würde ich diese Zeit zwischen dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 und dem Ersten Weltkrieg als eine Zeit der Konfrontation ansehen zwischen den nationalchauvinistischen Vertretern des Kaiserreiches und der erstarkenden Arbeiterbewegung. Und jede dieser Strömungen hat versucht seine Gedenk- und Feierorte zu etablieren.
Dahinein gehört sicher auch der Wilhelmsplatz oberhalb von Neustadt-Haardt, auch wenn seine Entstehungsgeschichte, seine Protagonisten und seine eventuellen Gegner erst noch in den Archiven erforscht werden müssten.
Es gibt sehr viele Denkmäler in der Pfalz, die an den Sieg über Frankreich 1870 erinnern. Mir fällt z.B. noch der Moltke- oder Adlerbogen am Donnersberg ein, 1880 entstanden, ein monomentales Denkmal, das weit in der Landschaft des Donnersbergs sichtbar ist. Ein weiteres markantes Beispiel wäre die Germania bzw. das Niederwalddenkmal in Rüdesheim, 1883 vollendet. Die Botschaft war „Wir gegen Frankreich“. Frankreich war der Erbfeind.
3 Abschließend die Frage: Wie stehst du zu diesem Gedenkplatz und Gedenkstein für Kaiser Wilhelm I in der „Demokratiestadt“ Neustadt? Wie soll man mit solchen Denkmälern umgehen?
Thomas Handrich: Es macht keinen Sinn, dieses Denkmal zu zerstören, weil es für Nationalismus und Chauvinismus steht. Es ist ein Teil unserer Geschichte und diesen sollte man einordnen. Man muss also erklären, in welchen Zusammenhängen dieser Platz entstanden ist, und dass es einerseits Abschnitte in der deutschen Geschichte gab, wo die Pfalz französisch beeinflusst war bzw. auch zu Frankreich gehörte und den Franzosen auch viel zu verdanken hat, andererseits auch im Kaiserreich eine starke Franzosenfeindschaft gepflegt wurde, für die dieses Kaiserdenkmal am Wilhelmsplatz steht. Dass Prinz Wilhelm maßgeblich verantwortlich für die Niederschlagung der badischen und pfälzischen Revolution 1849 war, sollte man nicht verschweigen. Allgemeinverständliche Hinweise auf einer Tafel wären sinnvoll. Es muss aber Menschen in Neustadt geben, die dieses Thema aufgreifen und darüber eine öffentliche Debatte anzetteln. Eine neue Tafel bringt nichts, wenn es nicht Ergebnis eines öffentlichen Diskussionsprozesses ist.
Danke, dass du deine Einschätzungen mit den Leserinnen des Hambach-Blog geteilt hast.
Danke an das Stadtarchiv Neustadt für die sehr wertvolle Unterstützung bei der Recherche. Einleitungstext und Interview UR.
Thomas Handrich

In Ludwigshafen geboren, lebt in Brandenburg. Ist Politikwissenschaftler, Bildungsreferent und Autor. Seine jüngste umfangreiche Veröffentlichung „Erinnerungsorte zur Geschichte der Demokratie. Auf den Spuren der Demokratiebewegung in Rheinhessen und der Pfalz (1789-1849)“ ist 2024 in Nünnerich-Asmus-Verlag erschienen. Thomas Handrich veranstaltet seit vielen Jahren „politische Radreisen“ in Baden, der Pfalz und Rheinhessen, aber nicht nur dort. Das sind lebendige Exkursionen in die Geschichte einer Region mit interessanten „Zeitzeugen“ vor Ort und Reflexionen darüber, wie die Geschichte bis in das aktuelle Zeitgeschehen wirkt. Die politischen Radreisen sind in der Regel als Bildungsurlaub anerkannt.


