Ein Chamäleon hackt dem anderen kein Auge aus

Max Otte lädt Daniele Ganser nach Neustadt ein

Einer der Referenten bei Max Ottes zweitem, sogenannten neuen Hambacher Fest, am 8.6.2019 in Neustadt an der Weinstraße ist der Schweizer Daniele Ganser, eine ähnlich schillernde Figur wie Max Otte selbst.

In einem Video-Interview im Internet vom April dieses Jahres sieht man Daniele Ganser in einem Park sitzen. Im Hintergrund die Meistersingerhalle in Nürnberg, in der Ganser einen Vortrag halten wird. Eine nette Internet-Journalistin stellt im lockeren Gespräch Daniele Ganser ihren Zuschauern auf Youtube vor. „Es geht nur um Macht und Geld“ ist die Botschaft von Ganser, der als smarter und sympathischer Schwiegermutters Liebling über den Bildschirm kommt. Natürlich redet man sich per Du an, hier Julia, da Daniele, und Julia freut sich, dass sogar in den alten Bundesländern Daniele die Halle bis auf den letzten Platz füllen konnte, immerhin 1.200 zahlende Zuhörer. Julia findet dies großartig, Daniele findet dies auch großartig. Was dann in rund 25 Minuten über die Person Ganser vermittelt wird, ist das Bild eines wahren Menschenfreundes, der auch den Krieg der Menschen gegen die Natur verurteilt, sich für erneuerbare Energien und Nachhaltigkeit einsetzt und gegen Plastikmüll und illegale Kriege ist und für Frieden zwischen den Menschen eintritt. Und Ganser sagt Dinge, die man – angeblich – in der Tagesschau nicht sehen und in der FAZ nicht lesen kann. Ein echter Sympathieträger und Aufklärer, oder?

Auf seiner Website zitiert Ganser sich selbst mit Kernsätzen aus seinen Buch-Bestsellern und Vorträgen:

Alles Leben ist heilig

„Ich setze mich gegen das Abwerten ein, indem ich Achtsamkeit für das Fremde, für das Andere kultiviere. Ich setze mich gegen das Töten ein, indem ich die Empathie fördere und sage: Alles Leben ist heilig.“

Toleranz gegenüber allen Religionen, Nationen, Klassen, Parteien

„Wir sollten ohne Folter, ohne Krieg, ohne Terror in Frieden und Respekt miteinander leben, unabhängig davon, welcher Nationalität, Religion, Klasse oder politischer Partei man angehört.“

„Wir müssen aufpassen, dass wir nicht 1,5 Milliarden Muslime kollektiv als Terroristen diffamieren. Es gibt sicher militante Muslime, es gibt auch militante Christen, Juden, Hindus und Atheisten. Das Problem ist nicht die Religion, das Problem ist die militante Gruppe.“

Gewaltverbot der UNO einhalten

„Der Grundgedanke der UNO ist einfach und klar: Kriege sind illegal. … Zu diesem Gewaltverbot gibt es nur zwei Ausnahmen: Erstens gilt das Recht auf Selbstverteidigung … Zweitens darf Krieg gegen ein Land geführt werden, wenn ein ausdrückliches Mandat des UNO Sicherheitsrates vorliegt.“

Die CIA ist eine Terrorgruppe

„De facto gibt es keine moralische Orientierung in der CIA. Sie ist von Terrorgruppen wie Al-Qaida kaum zu unterscheiden, denn sie verfolgt wie diese Machtziele, schreckt vor Mord und Staatsstreich in fremden Ländern nicht zurück … Die CIA war und ist in sehr viele Verbrechen verwickelt.“

Donald Trump

„Ich persönlich halte Donald Trump für einen Kriegsverbrecher und sage das auch in meinen Vorträgen.“

Illegale Kriege auch von Russland und China

„Auch der Einmarsch von China in Tibet 1950 war meiner Meinung nach illegal. Genauso der Einmarsch der Russen 1979 in Afghanistan.“

Wer wollte dem widersprechen?

Doch Daniele Ganser hat nicht nur eine große Fan-Gemeinde, sondern steht auch in der öffentlichen Kritik. Teilweise wird er in die Nähe von Verschwörungstheoretikern gestellt, insbesondere wegen seinen „kritischen Fragen“ zum Anschlag auf das World Trade Center in New York 2001, das, so Ganser, vielleicht ja gar nicht von Al-Qaida durchgeführt wurde, sondern von der US-amerikanischen Regierung selbst.

Ähnlichkeiten mit Auffassungen der Reichsbürger, die die Bundesrepublik nicht als Staat anerkennen, kann man ihm auch vorwerfen, wenn er davon spricht, Deutschland sei ein „besetztes Land“ und dem Willen der USA unterworfen.

Gansers „Medienmatrix“

Etwas simpel ist sein Blick auf die Medien. Da gibt es die „NATO-konformen“ Mainstream-Medien und die Nato-kritischen alternativen Medien. Zu den NATO-konformen-Medien zählt Ganser z.B. so unterschiedliche Zeitungen und Rundfunksender wie die Bildzeitung, Die Zeit, Spiegel, Süddeutsche, NZZ, taz, ARD, zu den NATO-kritischen etwa Rubikon, KenFM, Russia Today (RT), Neues Deutschland. Dass ein russischer Staatssender wie Russia Today sich NATO-kritisch gibt, ist trivial. Dass es bei der eigenen Meinungsbildung immer auch wichtig ist, sich mit Auffassungen und Sichtweisen anderer, auch nicht „befreundeter“ Länder auseinanderzusetzen, ist ebenfalls geschenkt. Wes Geistes Kind aber Ganser ist, muss man sich fragen, wenn er Staatsmedien von diktatorischen Staaten wie Russland oder dem Iran unseren pluralen, keiner Zensur unterworfenen, staatsunabhängigen Medien quasi gleichwertig gegenüberstellt bzw. diese Staatsmedien wegen ihrer NATO-Kritik anscheinend sogar für glaubwürdiger hält.

Kritisiert wird an Ganser auch, welchen Medien und Veranstaltern er sich zur Verfügung stellt. Das sind natürlich diejenigen Medien, die er in seiner „Medien-Matrix“ zu den kritischen zählt wie KenFM, NuoViso.TV oder Rubikon. Ganser pariert diese Kritik, indem er erklärt, dass es ihn nicht interessiere, wo er zu Wort kommt, sondern dass er zu Wort kommt. Aber kann man als Menschenfreund („Alles Leben ist heilig“), möchte man Daniele Ganser fragen, auch auf Veranstaltungen etwa des Schweizer Ivo Sasek auftreten, der sich nicht scheut, auch Holocaustleugner einzuladen wie Bernhard Schaub und Horst Mahlers ehemalige Lebensgefährtin Sylvia Stolz. Letztere wurde, wie Mahler selbst, wegen Leugnung des Holocaust verurteilt.

Kritik an der CIA und den „geheimen Kriegen“

Im Mittelpunkt seiner sehr erfolgreichen Buchpublikationen steht die Kritik an der CIA und den „geheimen Kriegen“, die sie vorbereitet, provoziert und durchgeführt hat. So erinnert Ganser an den vom CIA unterstützten Putsch 1953 gegen den gewählten iranischen Premierminister Mossadegh, an den ebenfalls von der CIA geförderten Militärputsch 1973 gegen Allende, den frei gewählten, sozialistischen Präsidenten Chiles, und an den mit „Fake-News“ provozierten Irak-Krieg der USA 2003, um nur einige markante Beispiele zu nennen. Damit fördert er natürlich nichts Neues zu Tage. „Alt-Linke 68er“ haben gegen den US-Imperialismus und die CIA schon auf der Straße demonstriert als Ganser noch gar nicht geboren war. Für einen Historiker ist das natürlich etwas kurzsichtig, diese breite antiimperialistische und USA-kritische Bewegung seit den 1960er Jahren in (West-)Deutschland nicht wahrzunehmen, passt sie doch nicht in sein Bild eines „besetzten Landes“, in dem sich „die Deutschen“ nicht trauen ihre „Besatzer“ USA zu kritisieren.

Mit dem Thema „Geheime Kriege“ steht eine weitere Facette seiner Vorträge und Publikationen in Verbindung, nämlich diejenige des geheimdienstlich provozierten Terrors. Auch hierzu kann man nur sagen, wie naiv muss eigentlich ein Schweizer Wissenschaftler sein, der äußert, dass er lange gedacht hatte, dass es einen (staatlich) inszenierten Terror nicht geben könne. Hat der studierte Historiker noch nie etwas von Agents Provocateurs gehört, die schon im zaristischen Russland ihr Unwesen trieben, die revolutionären Bewegungen infiltrieren und an die Polizei verrieten und sich durch provokante Mordanschläge gegen Regierungsbeamte hervortaten. Die Geschichte kennt unzählige solche Beispiele – auch aus der Geschichte Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Erst seit seiner Beschäftigung mit der italienischen „Geheimarmee“ Gladio, so Ganser, „legte sich bei mir ein Schalter um. Klick“. Er wisse heute, dass man durch Terrorismus die Bevölkerung täuschen könne. Und es hat „Klick“ gemacht: Nach diesem „Klick“ scheint für Ganser von 9/11 bis zum Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo 2015 und auf dem Berliner Breitscheidplatz 2016 alles staatlich inszenierter Terror zu sein.

Gut zu wissen ist in diesem Zusammenhang, dass Ganser keineswegs die italienische Gladio-Geschichte aufgedeckt hat, ein Mythos, den er gerne nahelegt, sondern die italienische Justiz und der italienische Staat damit selbst an die Öffentlichkeit gegangen sind. Gut zu wissen, dass seinem Buch über die „NATO-Geheimarmee“ aus der Historikerzunft auch fachlich-wissenschaftliche Mängel nachgewiesen wurden.

Ganser und die deutsche Geschichte

Mit der Kritik an der CIA und den USA erheischte Ganser auch bei Anhängern der Friedensbewegung Sympathien. Aber das heißt keineswegs, dass man ihn im links-grün-friedensbewegten Lager verorten sollte. Er scheut auch die Nähe zu Positionen der AfD nicht. Das zeigt sich etwa in seinem Blick auf die Deutsche Geschichte. Ganz ähnlich wie der AfD-Vorsitzende Gauland – man erinnere sich an Gaulands Vogelschiss-Rede: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte.“ – relativiert auch Ganser die Ungeheuerlichkeit der Verbrechen der Nationalsozialisten, ihrer Staatsorgane und der Wehrmacht. Die Naziverbrechen seien zwar unstrittig, aber Deutschland als Land der Dichter und Denker werde „völlig untergebuttert“, so Ganser. Die Deutschen trauten sich nicht, den US-Imperialismus zu kritisieren, weil sie dafür angeblich keine moralische Autorität hätten! „Der Deutsche darf nichts sagen!“ Das hatten wir ja oben schon gehört, wobei da die Begründung die „Besatzung“ der USA war.

Warum lädt Max Otte Daniele Ganser ein und warum geht Ganser zu Otte?

Und nun lädt Max Otte 2019 Daniele Ganser auf sein großspurig „Kongress für Frieden und Sicherheit“ genanntes Treffen in Neustadt ein. Im letzten Jahr hatte Otte noch Redner wie Sarrazin, Meuthen und Lengsfeld aufgeboten, die vor allem durch fremdenfeindliche, nationalistisch bis rassistische Thesen bekannt geworden sind. Ganser gibt sich als Menschenfreund, der Nationalismus und Rassismus verurteilt. Wie passt das zusammen? Natürlich ist Otte wie Ganser geschäftstüchtig. Otte weiß, dass Ganser Säle füllen kann und Ganser weiß, dass Otte ihm mit seinen Kontakten in die rechtspopulistische bis rechtsextremistische Mittelstandsecke neue „Kunden“ zuführt.

Otte ist wie Ganser wandlungsfähig wie ein Chamäleon. Gestern Fremdenfeind heute Friedensfreund. Man wäre ja blöd, sich zu sehr festzulegen. Es reicht für Ganser und Otte, Dinge in Frage zu stellen und damit zu unterstellen, man dürfe ja die „Wahrheit“ nicht sagen. So stilisiert sich Otte wie Ganser als Opfer von Zensur und politischer Unterdrückung, als aufrechte Kämpfer für die Wahrheit. Der mehr oder weniger ausgesprochene Subtext drückt sich in der Rede von den herrschenden „Systemparteien“ (Nazi-Jargon) und den (gleichgeschalteten, NATO-konformen) Mainstream-Medien aus. Man kann dies nur mit einer gehörigen Portion Verblendung und Realitätsverlust erklären.

Vielleicht ist es ja müßig, irgendeine konsistente politische Linie bei Otte und Ganser zu suchen. Max Otte betreibt selbst konsequent das Geschäft der Verwirrung: CDU-Mitglied, Mitglied der WerteUnion der CDU, bekennender AfD-Wähler, Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Wie passt das eigentlich zusammen? Doch nur so, dass Otte die AfD in der CDU hoffähig machen und ein Bündnis zwischen beiden Parteien vorbereiten will. Dass die CDU Otte noch nicht vor die Tür gesetzt hat, ist eines der Mysterien dieser Partei, die bei den Kommunalwahlen am 26. Mai 2019 in Mannheim mit dem 1960er Wahlslogan „Freiheit statt Sozialismus“ in den Wahlkampf gezogen ist – und dafür von den Wählern deutlich abgestraft wurde.

Otte scheut sich nicht, auch eher „linksradikale“ Steuerforderungen aufzustellen (etwa Erhöhung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommenssteuer auf bis zu 60 % und bei der Erbschaftssteuer auf bis zu 90%), was ihm zeitweise Vortragseinladungen bei Attac-Gruppen eingebracht hatte, aber im diametralen Gegensatz zu den steuerpolitischen Forderungen der WerteUnion (Steuersenkung, Abschaffung des Solidaritätszuschlags), bei der er Mitglied ist, steht.

Und Gansers Anti-NATO Botschaften passen kaum mit den Forderungen der WerteUnion zusammen, die die NATO als Garant der deutschen Sicherheit ansieht (Forderungen zur Europawahl 2019) und die die Anhebung des Verteidigungsetats der Bundesrepublik auf 2 % des Bundeshaushaltes fordert (Bundestagswahlprogramm 2017).

So what? Da haben sich zwei eitle Selbstdarsteller gefunden, die ein gefährliches Spiel der Verwirrung der Öffentlichkeit unter dem Mäntelchen von Aufklärung und Wahrheit betreiben.

Das Regionale Bündnis gegen Rechts veranstaltet aus Protest gegen Ottes Rechtspopulisten-Treffen ein Demokratiefest. Der Aufruf zum Demokratiefest hier.