Max Ottes Gastredner Markus Krall predigt den Aufstand gegen die Demokratie: „Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten und der Tyrannen begossen werden.“
Als im Frühjahr 2018 bekannt wurde, dass der ehemalige Wormser Fachhochschulprofessor, Mitglied der CDU-WerteUnion und bekennender AfD-Wähler, Max Otte, ein sogenanntes neues Hambacher Fest auf dem Hambacher Schloss feiern will, hat dies in der Region Irritationen und Proteste ausgelöst.
Was will dieser „Privatinvestor“ und schillernde Ökonom mit dem Hambacher Fest? Wie kommen er und sein Finanzunternehmen dazu, das Schloss einen ganzen langen Tag für sich zu okkupieren und die Öffentlichkeit vom Besuch des Schlosses und der Hambach-Ausstellung auszuschließen? Und wer versammelt sich da eigentlich auf Ottes Veranstaltung?
Die Liste der Redner war umfangreich und gruselig. Dazu gehörten u.a. AfD-Chef Jörg Meuthen, CDU-Dissidentin Vera Lengsfeld, „Islamkritiker“ Thilo Sarrazin (SPD), Ex-Verteidigungsstaatssekretär Willy Wimmer (CDU) oder Ex-AfD-Europaabgeordneter Joachim Starbatty.
In einem beachtenswerten Artikel im Mannheimer Morgen, eine der großen Regionalzeitungen des Kurpfälzer Raums, schrieb damals der renommierte Politikwissenschaftler und Professor an der Humboldt-Universität Berlin, Herfried Münkler, dass der „notorische Selbstdarsteller Max Otte“ mit seiner Veranstaltung „die Aussicht auf eine politische Koalition von CDU und AfD als neue politische Perspektive für die Berliner Politik“ in Szene setzen wolle. Sie „kaperten“ dazu, so Münkler weiter, das Hambacher Schloss als Kulisse, „um ihr Vorhaben in die Medien und vor allem in die Fernsehnachrichten zu bringen.“
Max Otte, eine schillernde Person
Max Otte, in Wanderkluft und mit der Klampfe in der Hand, gibt sich harmlos bei seinen mehrtägigen „Spaziergängen nach Berlin“ oder bei den „Patriotenmärschen“ auf das Hambacher Schloss und umgibt sich dabei mit den wohlbetuchten Kunden seiner Firma für Finanzdienstleistungen und Finanzpublikationen.
Aus der Perspektive der CDU ist eigentlich kaum nachvollziehbar, dass Ottes CDU-Mitgliedschaft unangetastet bleibt, obwohl er die AfD aktiv unterstützt. Mittlerweile ist der bekennende AfD-Wähler auch Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.
Aber auch seine Mitgliedschaft in der am rechten Rand angesiedelten CDU/CSU-Mitgliedervereinigung WerteUnion, die sich für einen „Neuanfang“ ohne Merkel stark macht, ist mit Ottes öffentlichen Äußerungen nur schwer vereinbar:
Die Werteunion fordert Steuersenkung, Otte ist schon mit Forderungen nach einer deutlichen Erhöhung der Einkommenssteuer (bis zu 60%) und der Erbschaftssteuer (bis zu 90%) aufgetreten.
Die WerteUnion fordert die Abschaffung einer doppelten Staatsbürgerschaft. Otte besitzt selbst eine doppelte Staatsbürgerschaft, nämlich von Deutschland und den USA.
Die WerteUnion fordert eine deutliche Erhöhung des Wehretats und des Beitrags Deutschlands zur NATO und sieht in der NATO einen Garant der Sicherheit Deutschlands. Otte lädt den NATO-Kritiker Daniele Ganser zu seinem Pfingsttreffen 2019 nach Neustadt ein.
Diese hier nur beispielhaft aufgeführten Inkonsistenzen verwundern. Handelt es sich um Realitätsverlust, blanken Opportunismus oder einfach nur um das Heischen nach öffentlicher Aufmerksamkeit?
Dass rechtskonservative Kreise, die sich in der WerteUnion, der AfD und anderen Vereinigungen sammeln, die freie Marktwirtschaft hoch leben lassen und die Sozialsysteme möglichst abbauen, das „versiffte 68er-Deutschland“ endlich hinter sich lassen und alle Flüchtlinge, AsylbewerberInnen und MigrantInnen möglichst über das Mittelmeer zurück nach Afrika oder Asien schicken wollen, ist wenig überraschend.
Aber wenn man Markus Kralls Rede auf Ottes Veranstaltung 2018 auf dem Hambacher Schloss hört, erkennt man plötzlich, dass die Botschaften, die da verkündet werden, überhaupt nicht harmlos konservativ gemeint sind. Hier werden Grenzen bewusst überschritten und die „Systemfrage“ gestellt. Krall schreckt nicht davor zurück, eine blutige Revolution des deutschen Bürgertums in Betracht zu ziehen.
Wer ist dieser Markus Krall?
Er könnte ein rechtsgedrehter Linksradikaler aus der 68er-Generation sein, von denen es ja einige gibt. Aber er ist mit dem Geburtsjahr 1962 für diesen Frontenwechsel zu jung. Krall hat Volkswirtschaft in Freiburg studiert, wo der marktradikale Ökonom Friedrich Hayek lange Jahre lehrte und als dessen Anhänger sich Krall ausgibt. Krall war dann beruflich in der Versicherungs-, Finanz- und Beratungsbranche tätig, u.a. bei McKinsey, Roland Berger und Boston Consulting. Seit 2017 hat er drei Bücher im rechtsgerichteten FinanzBuch Verlag publiziert: Der Draghi-Crash (2017), Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen (2018) und – als Mitautor – Der Crash ist da! (2019), in denen er sich weit über sein Fachthema der Finanz- und Währungspolitik auf das gesellschaftspolitische Terrain begibt.
In seinem viel beklatschten Vortrag auf dem Hambacher Schloss 2018 skizziert er seine Weltsicht. Einige Kostproben aus dem Diagnose-Teil [eigene Transkription des Videos]:
„Die Freiheit, für die wir hier heute stehen, befindet sich im Belagerungszustand. Die Freiheit wird attackiert vom Nihilismus des Werteverfalls. Er hat sich unter dem Motto ‚Marsch durch die Institutionen‘ der 68er-Marxisten tief in die Substanz unseres Gemeinwesens hinein gefressen, geradezu hinein geätzt. [Bravo-Rufe, Beifall]
Die Freiheit wird bekämpft von den Vertretern der grandios gescheiterten sozialistischen Ideologien [Beifall], in dem diese, teils subtil und teils offen, die Grundlagen des Erfolgs dieser Gesellschaft angreifen: Eigentum, Marktwirtschaft, Familie, unser Weltbild begründet auf der jüdisch-christlichen Aufklärung und dem Humanismus. [Beifall]
Die Freiheit wird unterhöhlt von den Wegbereitern des totalitären Überwachungsstaates, die uns einreden wollen, dass die Demokratie die Abschaffung der Privatsphäre überleben könnte. In Wahrheit errichten sie die Infrastruktur der Tyrannei, weil sie hoffen, so in der kommenden Krise und Auseinandersetzung die Kontrolle behalten zu können. [heftiger Beifall]
Die Freiheit wird bedroht durch eine jedem Maß und Mitte entzogene Politik der bewusst gesteuerten Völkerwanderung. Sie hat zur Wirkung, dem Zusammenhalt der Gesellschaft einen geradezu tödlichen Stoß zu versetzen. Ihre Propagandisten und ihre Profiteure stehen für eine Republik der Messer, und Scham ist ihre Sache nicht.
Die Freiheit wird angegriffen durch eine Welle der Zensur, sie ist die logische Folge der Politik der Korrektheit. Aber in ihrem Anspruch geht sie weit darüber hinaus. Sie findet ihre geistige Komplizenschaft, spirituelle Quelle und Tradition in den Zensurgesetzen totalitärer Systeme, die in der deutschen Geschichte einen unrühmlichen Platz eingenommen haben. [Beifall]“
Und so geht es weiter in der Beschreibung einer Gesellschaft, die angeblich von sozialistischer Planwirtschaft bestimmt und mit Verboten und Geboten drangsaliert wird, in der Stimmenkauf durch Umverteilung, eine spezielle Form der Korruption, an der Tagesordnung ist und die kurz vor dem wirtschaftlichen und sozialen Kollaps steht.
Die politischen „Trickbetrüger“ würden Europa „an den Rand seiner zivilisatorischen Existenz bringen“. Der Zusammenbruch sei vorprogrammiert.
Nach diesem Katastrophenszenario müssen außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen werden. Und Krall benennt diese in aller Deutlichkeit. Wenn angeblich unsere Gesellschaft kurz vor dem wirtschaftlichen, moralischen, politischen, kulturellen und sozialen Untergang steht, können nur „revolutionäre“ Maßnahmen noch Abhilfe schaffen. Das klingt bei Markus Krall dann so:
„Wir brauchen den Rollback des 68er-Marsches durch die von ihnen korrumpierten Institutionen. Und um das zu erreichen, muss das deutsche Bürgertum lernen, wie Revolution geht. [Heftiger Beifall, zustimmende Zwischenrufe] In Abwandlung eines Lutherzitats möchte ich dazu sagen: Das deutsche Bürgertum muss sagen können ‚Hier stehe ich, ich kann noch ganz anders! [heftiger Beifall] Dann helf euch Gott! Amen.‘ “
Aber was hat es mit der Freiheit auf sich, die von Zeit zu Zeit mit Blut begossen werden muss? Markus Krall bezieht sich dabei auf ein Zitat von Thomas Jefferson aus dem Jahr 1787, also nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskriegs, einer völlig anderen historischen Situation als heute. Das Jefferson-Zitat, das er ans Ende seines Vortrags setzt, lautet:
„Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten und der Tyrannen begossen werden. Dies ist der Freiheit natürlicher Dünger.“ [Gemurmel bei den Zuhörern]

Hier spielt einer bewusst mit dem Feuer. Hier wird nicht einfach Kritik an den bestehenden Verhältnissen geübt, sondern diese in die Nähe der Tyrannei gerückt und daraus die Notwendigkeit einer gewaltsamen Revolution abgeleitet und legitimiert. Hier ist eine Grenze überschritten. Hier hört die rechte Gemütlichkeit eines klampfenden Max Ottes auf, der den Biedermann gibt und die Brandstifter, wie Markus Krall, auch 2019 wieder auf sein Pfingsttreffen in Neustadt eingeladen hat.
Ein weiterer, äußerst umstrittener Redner auf Ottes Veranstaltung an Pfingsten ist Daniele Ganser.
Das Regionale Bündnis gegen Rechts veranstaltet aus Protest gegen Ottes Rechtextremisten-Treffen ein Demokratiefest. Lesen Sie den Aufruf zum Demokratiefest und kommen Sie am Samstag, 8.6. ab 10 Uhr nach Neustadt.