Erfolgreiches Demokratiefest in Neustadt gegen Max Ottes Populistentreffen

Rede des Demokratischen Bündnisses gegen Rechts auf dem Demokratiefest am 8.6.2019 in Neustadt an der Weinstraße

Dem Aufruf des Regionalen Bündnisses gegen Rechts zu einem Demokratiefest am 8.6. in Neustadt sind nach Angaben des SWR  rund 300 Menschen gefolgt. Unterstützt wurde dieser Aufruf des Bündnisses von einer Reihe von Organisationen und Parteien, wie der IG Metall, dem DGB, den Grünen, den Linken und der SPD. Das Demokratiefest richtete sich gegen die am gleichen Tag im Saalbau Neustadts stattfindende Veranstaltung des bekennenden AfD-Wählers und CDU-Mitglieds, Max Otte, der bereits im letzten Jahr versuchte, den guten Namen des Hambacher Festes von 1832 für seine rechtspolitischen Zwecke zu okkupieren. Auf dem Fest wurde ein buntes, aber auch politisch hoch relevantes Programm aus musikalischen Darbietungen und Redebeiträgen dargeboten. Im Folgenden dokumentieren wir den zentralen Beitrag des Regionalen Bündnisses gegen Rechts.

Demokratiefest in Neustadt am 8.6.2019

Max Otte, die AfD und Europa

Mit unserem heutigen Demokratiefest wollen wir die demokratischen und europäischen Ziele des Hambacher Festes von 1832 aufgreifen, stärken und verteidigen. Wir lassen nicht zu, dass Hambach 1832 durch nationalistische Kräfte umgedeutet und vereinnahmt wird.

Wie schon 2018 hat Max Otte, langjähriges CDU-Mitglied und bekennender AfD-Wähler, für den 7. und 8. Juni 2019 erneut zu einem sogenannten „Neuen Hambacher Fest“ in Neustadt an der Weinstraße aufgerufen. Nach der so betitelten „Patriotenwanderung“ zum Schloss gestern Nachmittag findet heute ab 14 Uhr unter dem Titel „Kongress für Frieden und Sicherheit in Europa“ die Hauptveranstaltung im Saalbau uns direkt gegenüber statt. 

Wer ist Max Otte?

Max Otte, der sich in Videos gern als singender und klampfender Biedermann präsentiert, ist eine schillernde Figur. Der Ökonom und Manager von Finanzfonds war unter anderem Professor für allgemeine und internationale Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Worms und von 2011 bis 2016 Professor für Unternehmensanalyse an der Universität Graz. Er ist ein Bindeglied zwischen der AfD und der sogenannten „Werteunion“ innerhalb von CDU und CSU, die nach eigenen Aussagen als Reaktion auf die angeblich zunehmend linke Politik der Großen Koalition eine  „konservative und wirtschaftsliberale Politikwende“ herbeiführen will. Otte ist auch Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.

In Interviews mit den Medien hütet er sich, offen rechtsradikale Positionen zu beziehen und bezeichnet sich als „Konservativen“, der vor allem den deutschen Mittelstand vor der Macht der internationalen Konzerne schützen will. Wie das jenseits der EU in nationalen Alleingängen geschehen soll, bleibt sein Geheimnis. Denn in direktem Gegensatz zu Ottes Wirtschaftsthesen, die u.a. die Rückkehr zu autonomen Nationalökonomien ohne EU-Dach propagieren, liegt offensichtlich nur in einem starken, demokratischen und geeinten Europa eine Chance, die Macht der globalen Konzerne und Finanzmärkte zu begrenzen und sie zu zwingen, sich an klar definierte Sozial-, Umwelt- und Arbeitsnehmerstandards zu halten. Nur so ist zu verhindern, dass die internationalen Konzerne und Finanzimperien die Einzelstaaten gnadenlos gegeneinander ausspielen.

Auf der Bühne ein vielfältiges kulturelles und politisches Programm

Es gibt berechtigte Kritik an der neoliberalen Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU, etwa an ihren drastischen Spardiktaten gegenüber Griechenland. Auch in der EU stehen sich die Interessen von Konzernen und Wirtschaftslobbys und die Interessen des Gemeinwohls oft unversöhnlich gegenüber. Doch die EU, eine entsprechende politische Mobilisierung vorausgesetzt, kann mit Regeln, Richtlinien und Verordnungen die Macht von Konzernen einschränken. Hier nur ein Beispiel: Dass Amazon 18 Milliarden Euro an Steuern nachzahlen muss, liegt am EU-Beihilferecht gegen illegale Steuervorteile.

Wie hält es Max Otte mit Europa?

Ottes öffentliche Äußerungen dazu sind durchaus widersprüchlich. In seinen Interviews spricht er sich nie direkt für einen Austritt Deutschlands aus der EU oder die Auflösung der EU aus. Implizit ist darin jedoch die These zu finden, dass es zwangsläufig zur Selbstdemontage der EU und Auflösung durch einen finanziellen Crash kommen wird – vor allem aufgrund der unterschiedlichen Nationalökonomien innerhalb Europas, die laut Otte dann letztendlich mehrheitlich und permanent von der BRD gestützt werden müssten. Während der globalen Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/2008 bezeichnete er den spekulativen internationalen Finanzmarkt als „Bedrohung für die Demokratie“, die herrschende Wirtschaftsordnung als „Beutekapitalismus“ und setzte sich – wie verschiedene linksgerichtete Organisationen, etwa attac, auch – für die „massive Regulierung des Finanzmarkts“ ein. Aber er wurde auch als einer der ersten Unterzeichner der migrationsfeindlichen „Erklärung 2018“ bekannt, die pauschal eine „Beschädigung Deutschlands“ durch sogenannte „illegale Masseneinwanderung“ behauptet.

„Im Prinzip geht es jetzt schon um die Auflösung Deutschlands“, äußert Otte 2018 warnend in einem Interview auf dem YouTube-Kanal „Zensierte Videos“. Eine starke These: Auflösung Deutschlands! Interessant und typisch auch, dass der für jeden einsehbare Videokanal, sich als „zensiert“ stilisiert. In dem Interview heißt es:

„Die Budgethoheit ist komplett weg, aber auch da kann es sein, dass diese Bewegung schon langsam am Ende ist, denn da ist die Gegenbewegung, die starken Stimmen …“ Wohlgemerkt: Hier sind die rechten Strömungen insbesondere in Deutschland, Frankreich, Ungarn und Polen, England und Italien gemeint, die, genau wie die AfD, mit den Europa-Wahlen am 26. Mai vor allem eine Absicht verbunden haben: die Herausbildung einer gemeinsamen Plattform und starken Fraktion rechter Bewegungen und Parteien der Mitgliedstaaten, um das EU-Parlament zugunsten rein nationalistischer Interessen zu lähmen.

Der befürchtete, alles überschwemmende Tsunami rechter Strömungen ist bei den Europawahlen nicht eingetreten. Insbesondere sehr viele junge Wählerinnen und Wähler haben ihre Wahlentscheidung an den Klimaschutz gebunden. Bei Umfragen in allen Altersgruppen vor den Wahlen wurden in Deutschland als wichtigste Zukunftsthemen der Klima- und Umweltschutz und die soziale Sicherheit genannt. Und die Wahlbeteiligung in Deutschland ist von 48% im Jahr 2014 auf 61% im Jahr 2019 angestiegen. Das gibt mir persönlich Anlass zur Hoffnung auf demokratische, ökologische und sozial orientierte Neuerungen innerhalb der EU, die der paradoxen Strategie „Gemeinsam sind wir vaterländische Alleingänger stärker“ erfolgreich entgegenwirken. Derweil basteln die nationalistischen Parteien noch an der Gründung einer gemeinsamen Fraktion. Interne Spaltungen, Zerwürfnisse und Regierungskrisen innerhalb einer solchen Fraktion sind jetzt schon absehbar, wie der Blick auf Österreich zeigt.

Die AfD im Europa-Wahlkampf

Ähnlich schillernd wie Max Ottes Äußerungen hat die AfD ihr Programm zu den Europa-Wahlen formuliert. In der Ausgabe der Zeitung „Welt“ vom 20. Februar 2019 schreibt Professor Thomas Straubhaar, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg, dazu einen Artikel mit der Überschrift „Die gefährlich gut gemachte Europa Agenda der AfD“. Darin heißt es: „Das 86-seitige Europawahlprogramm der AfD schafft es auf verführerische Art und Weise, tief sitzende Ängste und Sorgen der Bevölkerung aufzuwühlen und einfache Therapien zu deren Behebung einzufordern“. Der Philosoph und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels Jürgen Habermas hat die zugrunde liegende Ideologie als „Umfälschung von sozialen Fragen innerhalb Europas in nationale Fragen“ bezeichnet.

Aus diesem Programm will ich ein paar Punkte herausgreifen. Im öffentlichen Fokus der Stimmenfänger steht derzeit bekanntlich die

Migrations- und Flüchtlingspolitik

Dazu heißt es im AfD-Europaprogramm unter anderem:

„Asyl ist ein Gastrecht auf Zeit! Das noch aus dem 20. Jahrhundert stammende heutige Asylsystem, einschließlich der Genfer Flüchtlingskonvention, war für einen eng begrenzten Personenkreis konzipiert und zu keiner Zeit als Steuerungsinstrument für Masseneinwanderung gedacht. (…) Eine Aufnahme einer begrenzten Zahl von Menschen aus humanitären Gründen in Deutschland kann künftig allein auf freiwilliger Basis erfolgen, wobei über Anzahl und Auswahlkriterien der Deutsche Bundestag entscheiden sollte.“

Mit anderen Worten: Ziel ist die Aushebelung des bestehenden Asylrechts und der Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention.

Zur Zuwanderung sagt das EU-Wahlprogramm der AfD:

„Viele europäische Regierungen versuchen, den Bevölkerungsschwund durch Zuwanderung auszugleichen (…). Die AfD befürwortet hingegen eine explizit Geburten fördernde Familienpolitik (…) Zuwanderung löst keines der in der demografischen Entwicklung wurzelnden Probleme Europas, sie verschärft die Konkurrenz um Ressourcen und bedroht den sozialen Frieden, ohne substanziell zur Wertschöpfung beizutragen.“

Mit anderen Worten: Besser keinen mehr reinlassen, der kein „substanzieller Wertschöpfer“ ist.

Zu den Sozialleistungen für Immigranten

heißt es: „Die europäische Personenfreizügigkeit hat zu massiven Wanderungsbewegungen innerhalb der EU aus den ärmeren in die reicheren Staaten, besonders nach Deutschland, allein zum Zweck des Sozialhilfebezugs geführt. (…) Allen EU-Ländern muss „die Möglichkeit eröffnet werden, den Anspruch auf steuerfinanzierte Sozialleistungen für EU-Bürger und ihre Familienangehörigen von einer mindestens zehnjährigen, durchgängig sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ohne staatliche Zuschüsse abhängig zu machen.“

Mit anderen Worten: Sozialleistungen nur für diejenigen, die die Chance hatten, sich 10 Jahre ohne Unterbrechung abzurackern.

Familienpolitik

Interessant ist auch ein Blick in die AfD-Vorstellungen zur Familienpolitik

„Die AfD bekennt sich in ihrer Familienpolitik zum klassischen Leitbild der Familie, in der Vater und Mutter in dauerhafter gemeinsamer Verantwortung für ihre Kinder sorgen. (…) Wir streben Chancengleichheit für Frauen und Männer an, lehnen aber die Stigmatisierung traditioneller Geschlechterrollen ab.“

Dem klassisch-völkischen Familienbild nicht entsprechende sexuelle Identitäten spricht die AfD die Daseinsberechtigung sowieso ab. Ergänzt wird diese nicht der sozialen Wirklichkeit entsprechende Familien-Ideologie durch das geforderte nahezu absolute Abtreibungsverbot.

Hambach ist Vielfalt und nicht Einfalt

Klimapolitik

In der schönen heilen Welt der Ewig Gestrigen existiert selbstverständlich auch keine existenzielle Bedrohung unseres Planeten durch die Klimakatastrophe.

Zitat: „Klimaschutzpolitik ist (…) ein Irrweg. (…) Nicht zuletzt durch den steigenden CO2–Anteil in der Atmosphäre haben die Weltnahrungsernten signifikant zugenommen. Die AfD lehnt die Pariser Klimavereinbarung ab. (…) Ferner lehnt die AfD alle EU-Maßnahmen ab, welche die Reduzierung von CO2-Emissionen mit dem Schutz des Klimas begründen.“

Mit anderen Worten: Die „Lügenpresse“ verbreitet laut AfD selbstverständlich auch „Klimalügen“. Die AfD betrachtet die Klimakatastrophe als Hirngespinst.

Zu diesem reaktionären, die Realitäten verleugnenden Weltbild passt auch die Verherrlichung der Armee als „Schule der Nation“ aus Kaisers Zeiten.

Der Zusammenschluss in der EU hat es Staaten und Menschen, die sich über Jahrhunderte bekriegt haben, ermöglicht, Frieden unter sich zu bewahren und einen gemeinsamen Rechtsraum zu schaffen. Der Nationalismus gebiert, wie uns die Geschichte gelehrt hat, Feindseligkeit und Kriegspotenzial. Der Hambacher Demonstrationszug von 1832 steht nicht zufällig auch für Frieden und Völkerfreundschaft.

Deshalb zum Schluss noch ein paar Worte zu Max Ottes Anmaßung, das sogenannte „Neue Hambacher Fest“ zu begründen.

Woher nehmen Max Otte und seine Anhänger die Dreistigkeit, sich als legitime Erben der Demokraten von 1832 auszugeben? Sie tun das, indem sie ein Deutschland der Gegenwart zeichnen, das seine Einwohnerinnen und Einwohner so drangsaliert und unterdrückt, wie es nicht einmal die Willkürherrschaft des Adels um 1832 geschafft hat. Beispielhaft dafür, welche Weltsicht hier verbreitet wird, ist der Vortrag, den der Volkswirt Markus Krall – er ist auch heute Nachmittag einer der Gastredner auf Ottes Europakonferenz – 2018 auf dem Hambacher Schloss hielt. Hier eine kleine Probe aus dem ideologischen Fundus von Krall:

Das Hambacher Fest von 1832 wurde hochgehalten

„Die Freiheit wird unterhöhlt von den Wegbereitern des totalitären Überwachungsstaates, die uns einreden wollen, dass die Demokratie die Abschaffung der Privatsphäre überleben könnte. In Wahrheit errichten sie die Infrastruktur der Tyrannei, weil sie hoffen, so in der kommenden Krise und Auseinandersetzung die Kontrolle behalten zu können. (…) Die Freiheit wird angegriffen durch eine Welle der Zensur (…) Sie findet ihre geistige Komplizenschaft, spirituelle Quelle und Tradition in den Zensurgesetzen totalitärer Systeme, die in der deutschen Geschichte einen unrühmlichen Platz eingenommen haben.“ Und er schloss seine Rede 2018 mit einem Jefferson-Zitat, das unverhüllt Gewalt ankündigt: „Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten und der Tyrannen begossen werden. Dies ist der Freiheit natürlicher Dünger.“

Ein Hauptredner des Kongresses im Saalbau ist der Schweizer Historiker und Publizist Daniele Ganser. Was den Status der Bundesrepublik Deutschland betrifft, geht Ganser von einem „besetzten Land“ aus, das dem Willen der USA unterworfen ist. In dieser, wenn auch nicht in anderer Hinsicht, gibt es bei ihm Parallelen zu den Auffassungen der „Reichsbürger“, die die Bundesrepublik nicht als Staat anerkennen.

Ganser wie Krall und Otte stilisieren sich zu Opfern von Zensur und politischer Unterdrückung, als Patrioten, als aufrechte Kämpfer für die Freiheit des Menschen und den Nationalstaat in der Tradition von Hambach. Doch sie sind Geschichtsklitterer und Manipulateure. 1832 forderten die Hambacher Demokraten den Nationalstaat nicht als Schutzbastion gegenüber ihren europäischen Nachbarn, sondern – in Anbetracht der 39 Einzelstaaten diverser Fürstenhäuser, Herzogtümer und Königreiche – als Schutz vor der wirtschaftlichen und politischen Willkürherrschaft des Adels. Sie verlangten Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, politische Rechte und das Recht auf Bildung. Und sie wollten die friedliche Kooperation mit den Nachbarländern.

Beim heutigen Demokratiefest sollten wir uns an Johann Georg Wirths Hambacher Brandrede von 1832 erinnern: Er beendete sie mit den Worten „Dreimal hoch das conföderierte republikanische Europa!“

Die EU braucht sehr viele demokratische und sozial orientierte Reformen, die nicht vom Himmel fallen werden, sondern von uns selbst, den EU-Bürgerinnen und -Bürger, in der Tradition von Hambach eingefordert und politisch durchgesetzt werden müssen.

Meinen knappen Schlusssatz habe ich mir von Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung ausgeliehen. Er schreibt:

Europa hat Fehler. Europa macht Fehler.
Aber der Nationalismus ist ein einziger großer Fehler