Noch wenige Tage vor dem 28.5. hatte der Initiator der „Giga-Demo“ in Weiß, Dr. Wolfgang Kochanek, von 10.000 bis 11.000 „Anmeldungen“ getönt und weiterhin verbreitet, dass 30.000 und mehr, er sprach in den letzten Wochen auch schon von 50.000, seinem Aufruf folgen würden: „Widerstand“ sei zu leisten gegen die politischen Eliten, die im Hintergrund ihre eigene Agenda verfolgten, alle Institutionen des Staates bis hin zum Bundesverfassungsgericht ausgehöhlt und mit ihren willfährigen Vasallen besetzt hätten, so K. am 23.4. in Landau.
Damit hat sich der Neustadter Unternehmer doch deutlich überhoben. Kaum zehn Prozent seiner Zielmarke hat er nach Neustadt locken können. Und sie kamen, viele in Weiß, auch von jenseits des Rheins, von der Bergstraße, aus Südhessen und aus dem schwäbischen Querdenker-Milieu.

„Deutschland ist am A…“ hat K. vor wenigen Tagen noch verkündet, wenn keine 30.000 plus aufs Schloss zögen.
Nein, „Deutschland ist nicht am A…“ Herr Kochanek! Sie sind kläglich gescheitert mit ihren (angeblich) investierten 250.000 Euro für diesen Auflauf, ihren wichtigtuerischen Bodyguards und ihrem Versuch, das Hambacher Fest von 1832 mit ihrer Laienspielertruppe nachzuspielen.
Einerseits, aber andererseits …
… war es den 2.000 bis 3.000 Trommlern und Fahnenschwenker doch gelungen, mit einer nicht angemeldeten Demonstration von der Innenstadt bis auf den Schlossberg zu kommen. Dort wurden nicht nur Bilder und Videos en masse produziert, um einen Erfolg, der keiner ist, der eigenen Blase vorzugaukeln, sondern es wurde auch das vielfältige und bunte Programm der Stiftung Hambacher Schloss massiv gestört. So mussten z.B. die Mitmachaktionen für Kinder oder das Konzert aus der französischen Partnerstadt Mâcon abgebrochen werden. Durch die Blockade der „Weißen“ wurde der Transfer mit Shuttlebussen zwischen Stadt und Schloss unterbrochen und viele interessierte BesucherInnen konnten die Veranstaltungen auf dem Schloss nicht erreichen.
In einer gemeinsamen Presseerklärung der Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt, e.V. und ihres Verbundmitglieds Deutscher Gewerkschaftsbund Region Pfalz vom 29.5.2022 werden noch weitergehende Vorwürfe formuliert:
Die Gedenkstätte und das Regionale Bündnis gegen Rechts Neustadt waren neben anderen mit einem Stand auf einer der Terrassen auf dem Schlossberg vertreten. Die Stadt habe die angekündigten Aktionen von Querdenkern, Reichsbürgern, Neonazis und weiteren demokratiefeindlichen Kräften offensichtlich unterschätzt. Der Zug der Weißgekleideten sei kurzfristig als Demonstration zugelassen worden. Am Nachmittag des 28.5. seien etwa 2.300 Weißgekleidete auf das Schloss gelassen worden, was von der Polizei mit einer Deeskalationsstrategie begründet worden wäre. Die Gedenkstätte und das Regionale Bündnis Gegen Rechts seien aufgefordert worden, so die Presseerklärung weiter, ihre Banner einzurollen und ihre Stände abzubauen, um die Weißgewandten nicht zu provozieren. Die ehrenamtlichen Festaktiven wären angefeindet und mit Müll beworfen worden. Neben der Deutschlandfahne wären auf dem Hambacher Schloss auch Flaggen und Symbole der Reichsbürgerbewegung gesichtet und antisemitische und holocaustrelativierende Parolen ausgegeben worden. „Da unter diesen Bedingungen kein Demokratiefest zu feiern ist und keine Mitmachtaktionen für Familien möglich sind, haben wir uns nach langer Diskussion entschieden, am 2. Festtag nicht mehr dabei zu sein.“ Unterschrieben ist die Mitteilung von Dr. Anja-Maria Bassimir, der stellvertretenden Vorsitzenden der Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt und von Rüdiger Stein, dem Geschäftsführer der Region Pfalz des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
An ihren Fahnen sollt ihr sie erkennen
Was da weiß uniformiert zusammengekommen ist, lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Aber die Fahnen, die gesichtet wurden, geben durchaus Hinweise, wer da auch mitgelaufen ist. Gesichtet wurden u.a. die Schwarz-weiß-rote-Fahne des deutschen Kaiserreichs, die weiße Fahne mit schwarzem Adler des Königreich Preußens und die deutsche Fahne in umgedrehte Farbreihenfolge.
Zu letzterem hatte die Stiftung Hambacher Schloss im Februar Stellung bezogen:
Gold-Rot-Schwarz? Hambach ist Schwarz-Rot-Gold!
In letzter Zeit erreicht uns häufiger die Frage, was eine verkehrt herum gehisste Deutschlandflagge bedeutet. Zuletzt wurden solche Symbole auch vor unserem Schlosstor geschwenkt, zudem schrecken die Betreiber gewisser Telegram-Kanäle nicht davor zurück, auf den Turm des Hambacher Schlosses eine gold-rot-schwarze Fahne zu retuschieren.
Ursprünglich drückt eine verkehrt herum gehisste Fahne in der Seefahrt einen Notstand aus. Rechtsextreme, Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker signalisieren mit der umgekehrten Farbreihenfolge ihre völlige Ablehnung des Staates. Sie verachten die bundesrepublikanische Demokratie und deren freiheitliche Werte. Indem sie sich zu Opfern einer „Diktatur“ oder eines „Staatsterrorismus“ stilisieren, verhöhnen sie in schamloser Weise alle wirklichen Opfer von Diktaturen und Gewaltherrschaft. Darüber hinaus ist eine verkehrt herum gehisste Flagge ein antisemitischer Code: Deutschland würde vom Judentum, der „goldenen Internationalen“, beherrscht.
Die Stiftung Hambacher Schloss distanziert sich mit Nachdruck von allen Gruppierungen, die sich hinter einer verkehrt herum gehissten Deutschlandflagge versammeln, und wir weisen jeden Versuch zurück, das Hambacher Schloss für deren Verschwörungstheorien und Opferstilisierungen zu missbrauchen. Schwarz-Rot-Gold sind die Farben der Bundesrepublik Deutschland. Sie stehen für die lange freiheitlich-demokratische Tradition in unserem Land. Und insbesondere in Hambach stehen sie auch für den Gedanken der europäischen Solidarität.
Stiftung Hambacher Schloss 15.2.2022 Facebook
Und wer die Farben Preußens oder des Kaiserreichs schwenkt und damit signalisiert, in welche Staatsform er gerne leben will, kann schwerlich noch als Demokrat durchgehen.

Nun kann man sich auf so einer Kundgebung und Demonstration nicht immer aussuchen, wer da alles mitläuft. Aber jeder der mitläuft muss sich zwei Fragen stellen: Warum reihen sich Reichsbürger, reaktionäre Kaiserreichnostalgiker, rechtsextreme AfDler und sog. Freie Pfälzer in eine Demonstration ein, die angeblich „nur“ für Frieden, Freiheit und Demokratie eintritt? Und will ich auf einer solchen Demonstration als Demokrat mitmarschieren, wo solche Leute dabei sind?
Zum Sicherheitsmanagement bleiben offene Fragen an die Stadt Neustadt, die Ordnungsbehörde, die Polizei und das Innenministerium, etwa:
- Wurde der Aufmarsch der „Weißen“ unterschätzt?
- Warum, wann und vom wem wurde deren nicht angemeldeter Demonstrationszug genehmigt? Wer war Versammlungsleiter dieses weißen Demonstrationszugs?
- Wurden verfassungsfeindliche, volksverhetzende oder verbotene Symbole, Fahnen oder Parolen bemerkt?
- Wie konnte es dazu kommen, dass interessierte Besucher des Schlosses daran gehindert wurden, das Festprogramm auf dem Schloss zu besuchen? Warum waren die Ordnungskräfte nicht in der Lage den Shuttlebusverkehr und den Besuchern des Demokratiefestes einen Zugang zum Schloss zu sichern?
- Warum mussten die Stände des Regionalen Bündnisses und der Gedenkstätte ihre Transparente und Stände abbauen? Wer hat dies veranlasst?
- Wer entschied, die „Weißen“ auf das „Privatgelände“ des Schlossbergs zu lassen, obwohl absehbar war, dass dadurch das normale Festprogramm massiv gestört würde? Welche Überlegungen lagen dieser Entscheidung zugrunde?
Vielleicht finden sich Landtagsabgeordnete oder Stadtratsmitglieder, die solche Fragen an die verantwortlichen Stellen richten können.
Jeder und jede, der oder die am Wochenende beim Demokratiefest dabei war, dieses vielleicht sogar aktiv mitgetragen und mitgestaltet oder auch nur beobachtet hat, hat eigene Erfahrungen gemacht und daraus Schlüsse gezogen. Was an diesem 190. Jahrestag des Hambacher Festes von 1832 gut und was schlecht gelaufen ist, wird deswegen unterschiedlich beurteilt. Um die verschiedenen Standpunkte auszutauschen, kann der Hambach-Blog als Plattform dienen. Diese Beobachtungen und Stellungnahmen könnten vorbereitendes Material für eine Diskussion aller Interessierten sein, das Vergangene auszuwerten und über Folgerungen für die nächsten Jahre nachzudenken. Denn bis zum großen 200-jährigen Jubiläum 2032 sind noch vier weitere Demokratiefeste in Neustadt, 2024, 2026, 2028 und 2030 geplant.
Ulrich Riehm, Freundeskreis Hambacher Fest von 1832
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