Es geht um mehr als Sonntagsruhe – Info-Abend in Hambach

Am 22.4.2024 fand eine Informationsveranstaltung, organisiert von der Stadt Neustadt, zu den Demonstrationen rund um das Hambacher Schloss, statt. Mit der Einladung waren die Erwartungen an einen Dialog oder gar eine politische Diskussion über die damit verbundenen Konflikte niedrig gehalten worden. Trotzdem (oder deswegen?) nahmen ca. 150 Personen aus Hambach, Neustadt und der Region teil, um von der Stadtverwaltung Neustadts etwas über die Hintergründe der Proteste und den kommunalen Umgang damit zu erfahren. Auch bekannte Leitungsfiguren aus Kreisen „der Weißen“ waren anwesend, meldeten sich aber nicht zu Wort. Wie wurden die Konflikte um Demokratie(deutungen) am Schloss hier verhandelt?

Hintergrund der Veranstaltung, so beschrieb es Oberbürgermeister Marc Weigel in seiner Begrüßung, sei die zahlenmäßig sehr starke Zunahme an Demonstrationszügen zum Hambacher Schloss. Er verweist damit auf alle zwei Wochen stattfindende Proteste von teils rechtsextremen, „systemkritischen“ und verschwörungsgläubigen Personen. (Über eine Gegenaktion Hambacher Bürger:innen berichtete der Hambach-Blog kürzlich.) Dadurch wachse die Belastung von Anwohner:innen und Behörden, und es komme zunehmend zu kritischen Anfragen an die Stadtverwaltung. Insbesondere das laute Trommeln und Videoaufnahmen bei den Demonstrationen seien für Menschen, die in Hambach wohnten, direkt spürbare Grenzüberschreitungen. Die Ortsvorsteherin Hambachs, Gerda Bolz, ergänzte, dass aus einen anfänglichen Gefühl von Irritation mittlerweile großer Ärger und Fassungslosigkeit geworden sei — umso mehr Menschen waren der Einladung in die Turnhalle der Dr.-Albert-Finck-Schule gefolgt. Ziel des OB und der Verwaltung war es, über das behördliche Vorgehen zu informieren und es zu begründen.

Der Abend begann sehr vielversprechend mit einem ebenso dichten wie anschaulichen Vortrag von Kristian Buchna, dem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Stiftung Hambacher Schloss. Aufbauend auf seiner Aufarbeitung historischer Vereinnahmungen der Geschichte des Hambacher Festes zeigte er an einer Vielzahl konkreter Belege aus dem Demonstrationsgeschehen und dazugehörigen Social Media-Beiträgen deren politische Positionen auf: Er belegte Verschwörungserzählungen, Rechtsextremismus und radikale Systemkritik. Dem häufig vorgebrachten Einwand, dass die durchaus heterogenen Demonstrationsgruppen von solchen Leuten „unterwandert” sein könnten, hielt er detaillierte Belege entgegen. Beispielsweise hätten sich Leitungspersonen bewusst doppeldeutig und somit selbstentlarvend von einem den Holocaust relativierenden Trommler distanziert, doch man habe ihm gleichzeitig ideelle Loyalität zugesichert.

Die rhetorische Nüchternheit, Klarheit und schiere Menge und Schwere an Belegen erzeugte fast schon körperlich spürbare Fassungslosigkeit im Saal — es folgte ein minutenlanger Applaus. Die als Nachrednerin vorgesehene Hambacher Ortsvorsteherin Gerda Bolz brachte es dann auf den Punkt: Nach diesem Vortrag sei es für sie schwierig weiterzumachen. Denn leider — und darauf soll später zurückgekommen werden — sah der dramaturgische Bogen des Abends vor, Buchnas differenziert-sachliche, aber politische Steilvorlage in die Erläuterung von Verwaltungsvorgängen übergehen zu lassen.

Nach den nahbaren und authentischen Ausführungen von Frau Bolz zur Betroffenheit in Hambach sprachen der Bürgermeister, die Leitung der Versammlungsbehörde und der Polizeipräsident, allesamt fachlich professionell und rechtlich versiert, über den Vorrang der Versammlungsfreiheit als Grundrecht. Der enorme behördliche, personelle, organisatorische und finanzielle Aufwand sowie die Lärmbelästigung wurden beklagt – die Dauerdemonstrierenden sollten sich doch eine weniger aufwändige Form der Meinungsäußerung suchen, sagte OB Weigel sinngemäß. Auf Nachfrage wurde bestätigt, dass es nur sehr selten zu Straftatbeständen käme – die meisten Symbole, die Kristian Buchna vorstellte, seien zwar klar rechtsextrem, aber eben nicht illegal. Ebenso erlaubt sei das Fotografieren (ohne Veröffentlichung) und das Veröffentlichen von Übersichtsaufnahmen (Fotos von Gruppen) aus den Protestzügen heraus, was die Hambacher:innen zuletzt besonders bewegte.

Als dann OB Weigel auch noch verkündeten musste, dass für die Zukunft nicht nur zweiwöchentlich, sondern wöchentlich Demonstrationen angemeldet worden seien, ging ein Raunen durch den Saal. Die sicherlich vorhersehbare Frustration der Hambacher:innen wurde mit einer Ankündigung erneuter rechtlicher Schritte aufgefangen. Man wolle prüfen, ob hier die Verhältnismäßigkeit vor dem Hintergrund der Belastung von Verwaltung und Anwohner:innen noch gewahrt sei, notfalls vor einem hohen, vielleicht dem höchsten (Bundesverfassungs-) Gericht, kündigte Weigel an. Das sollte aus Sicht der Stadt vermutlich die Key-Message des Abends werden – Hoffnung, darauf, dass es bald nicht mehr regelmäßig vor „unserer Haustür“ stattfindet. Aber, ist es realistisch und – viel wichtiger – demokratiestärkend, Grundrechtseinschränkungen auf Basis von Verwaltungsüberlastung einzuklagen? Worum geht es bei der Kritik der Bürger:innen denn eigentlich?

In keiner Weise sollen die Belastungen der Hambacher:innen hier klein geredet werden. Als Friedenspädagogin über die Veranstaltungsgestaltung nachsinnend, frage ich mich allerdings, ob ihre Sorgen von der Stadt Neustadt entweder falsch verstanden oder bewusst zu einer rein praktischen Frage „reduziert“ wurden. Geht es den Anwohner:innen tatsächlich um die Einigung auf drei statt 15 Trommeln oder den Schutz vor unbefugten Bildaufnahmen, dem Recht am eigenen Bild? Oder schwingt in diesen Beschwerden die, so viel schwieriger zu kommunizierende, Bedrohungswahrnehmung autoritärer Gewalt in ihren vielfältigen Formen mit? Da die von Buchna belegten politischen Positionen bekannt sind, trägt jeder Trommelschlag den Klang „Schlafschaf“ und jede Kamera weckt die Angst, in den sozialen Medien einem rechten Shitstorm ausgesetzt zu werden. Sind die Beschwerden, gar Empörung über die wiederholten Proteste überhaupt losgelöst von den politischen Positionen der Demonstrierenden zu verstehen?

Hinter den verwaltungsrechtlichen Fragen rückte die Gefahr für die Demokratie auf der Infoveranstaltung in den Hintergrund. In den Wortbeiträgen der Bürger:innen wurde diese Diskrepanz jedoch angesprochen und nach politischen Handlungsmöglichkeiten gefragt. Und erneut begründete der Oberbürgermeister seine Vorsicht gegenüber politischen Positionierungen mit der Priorisierung ordnungsbehördlicher Handlungsfähigkeit: Im Falle einer Befangenheitsklage gegen ihn oder die Stadtverwaltung könnte die Kommune die Möglichkeit verlieren, Kooperationsgespräche mit rechten Leitungsfiguren zu führen, um die Versammlungen berechenbarer zu machen.

Und selbst wenn es vielen Teilnehmenden tatsächlich nur um das laute Trommeln oder das Freihalten der Zufahrtswege zum Schloss ginge – so kann das erzwungene wöchentliche Aushalten der grundgesetzlich geschützten Aushandlungsprozesse qua Wohnort, nicht ohne Einordnung in dessen größere demokratische Bedeutung erwartet werden. Eine Zusicherung der Solidarität durch die Stadtverwaltung mit den Hambacher:innen würde dann nicht nur bedeuten über das ebenso anfallende ordnungsbehördliche Leid zu klagen, sondern dessen politische Ursachen zu bearbeiten. Das heißt natürlich nicht den Inhalten nachzugeben, aber z.B. Beteiligungs- und Austauschräume zu öffnen oder alternative Formen des politischen Engagements zu fördern.

Die Veranstaltung hat den Eindruck, dass es hier gar nicht um Politik geht, sicherlich gefestigt, ob bewusst oder fahrlässig. Ihre „Komposition“ war ausgerichtet auf Beruhigung. Dazu diente die Versicherung, dass die Verwaltung alles in ihrer Macht Stehende tue (und mehr eben nicht geht). Es lässt sich streiten, ob eine solche Deeskalationsstrategie nur wenige Wochen vor der angemeldeten Großdemonstration der nachgewiesenermaßen in Teilen rechtsextremen Bewegung politisch geboten ist.

In all der Ohnmachtsrhetorik werden hier auch Handlungsmöglichkeiten sichtbar: Stellen wir uns vor, die engagierte inhaltliche Auseinandersetzung von Kristian Buchna wäre als letzter Vortrag eingeplant gewesen. Hätten sich die Fragen und Beiträge der Bewohner:innen Hambachs in rechtlichen Abwägungen erschöpft? Hätten die von den direkten und strukturellen Gewaltaufrufen direkt angesprochenen Anmelder:innen der Demos so ruhig auf ihren Stühlen sitzen können?

Wenn der Appell an die Bürger:innen ernst gemeint ist, „die wehrhafte Demokratie doch selber zu gestalten“, was hätte es gekostet, den Raum für politische Diskussion zu öffnen? Was hätte sich gar verändert, wenn ein Dialog-Format angestrebt worden wäre? Stellen wir uns einen Stuhlkreis anstelle der Sitzreihen und eine unabhängige Moderation vor, die Stimmen losgelöst von Gruppenzugehörigkeit Gehör ermöglicht und gleichzeitig Gewalt klar benennt. Solch externe Angebote habe ich auf dem Blog der Friedensakademie Rheinland-Pfalz für die genannten Konflikte beschrieben.

Schließlich lässt sich noch einwerfen, dass die Veranstaltung natürlich nicht im luftleeren Raum konzeptioniert wurde, sondern als Antwort auf die – überwiegend verwaltungspraktischen – Anfragen der Bürger:innen. So sind auch wir aufgerufen, uns nicht vor der politischen Auseinandersetzung zu drücken und neben dem Wunsch nach einer ungestörten Sonntagsruhe auch für die gefährdeten Rechte, wie der Schutz vor Diskriminierung oder das Recht auf Asyl, zu streiten. Denn im zunehmenden Demonstrationsgeschehen und der kommunalen Ohnmachtsrhetorik spüren wir bereits die Vorboten dessen, was inhaltlich bei den Versammlungen gefordert wird. Hier waren die Wortmeldungen klar: Es liegt auch – wenn auch nicht ausschließlich – an uns Bürger:innen dagegen Position zu beziehen!

Abschließen möchte ich mit Worten der Wertschätzung und Zuversicht. Denn zu beobachten war auch, dass solche Kommunikationsformate fast ausschließlich durch kritische Auseinandersetzung geprägt sind und die vielen kleinen Schritte der Transformation, die bereits passieren, unsichtbar machen. Eine Turnhalle, bestuhlt mit 200 Plätzen war zu 2/3 gefüllt mit engagierten Menschen. Stadt, Schloss und Zivilgesellschaft sind in den direkten Austausch getreten. Es gab eine differenzierte Einordnung von verschiedenen Gewaltformen und die Wortbeiträge blieben weitgehend respektvoll. Und in den kommenden Wochen wird es eine Vielzahl weiterer Veranstaltungen von Schloss und Zivilgesellschaft geben (hierüber informiert aktuell der Hambach-Blog). So eröffnet jeder mutige Schritt einen solchen Raum zu gestalten, zu halten und der (kritischen) Reflexion auszusetzen neue Handlungsmöglichkeiten für die Zukunft.

Annalena Groppe, Friedensakademie Rheinland-Pfalz und Freundeskreis Hambacher Fest 1832

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