Die „Widerstandsbewegung“ zieht erneut aus der gesamten Bundesrepublik zum Hambacher Schloss
Der Ton wird anders gesetzt. Freundlicher, verbindlicher, achtsamer. Die Kochanekschen Tiraden der letzten beiden Jahre vom Untergang Deutschlands, von den Faulenzern in den Behördenstuben, die entsorg gehört werden, von den korrupten Eliten, den gleichgeschalteten Medien und den geheimen Mächten hinter der Regierung (siehe Wolfgang K. aus Neustadt: Porträt eines nach rechtsaußen abgedrifteten Bürgers), die hört man von den Anmeldern und Organisatoren des Pfingsttreffens der „Widerstandsbewegung“ in diesem Jahr so nicht mehr.
Der neuer „Anchorman“ ist Karl-Friedrich Rothe aus Neustadt und die neue „Anchorwoman“ Stephanie Mahl aus Weinheim. Ich habe mir zwei Interviews mit den Beiden angehört, die in den einschlägigen Youtube-Kanälen in den letzten Tagen veröffentlich wurden.
Der Ton macht die Musik, aber was sind die Inhalte?
Zum Programm des Pfingstwochenendes wird mitgeteilt, man wolle ein „Fest für die Menschen“, ein Fest der „ausgelassenen Freude und des Sonnenscheins“ mit „unserer Gedankenfamilie“ feiern. „Wir feiern die Demokratie“. Die aus der ganzen Bundesrepublik anreisenden Initiativen sollten nicht wegen mehr oder weniger berühmter Redner (gibt es keine Rednerinnen?) kommen, sondern um sich untereinander und mit anderen auszutauschen. „Wir sind nicht die Bösen. Wir wollen ‚den Anderen‘ zeigen, dass man mit uns ins Gespräch kommen kann.“
Was im Einzelnen alles am Pfingstwochenende an Aktionen geplant ist, findet man im Blogbeitrag DemokratInnen, am Pfingsten nach Hambach! und immer aktuell auf der Startseite des Hambach-Blogs.
Aber in manchen Nebensätzen bricht sich dann doch die nicht so freundliche Gesinnung durch.
Rothe/Mahl: „Das Volk“ wird nicht mehr von den Politikern repräsentiert.
Meine Antwort: Diese Gegenüberstellung von angeblichem „Volkswillen“ und politischer Elite ist ein Kernelement des Populismus.
Rothe/Mahl: Die Meinungsfreiheit sei bedroht. Wir erleben ein Meinungsvielfalttheater.
Meine Antwort: Die Meinungsfreiheit sehen sie bedroht, weil ihre teilweise hasserfüllten und lügenhaften „Meinungen“ nicht unwidersprochen bleiben. Das ist aber der Kern der Meinungsfreiheit: Meinung und Gegenmeinung – soweit die geltenden Gesetze nicht missachtet werden.
Rothe/Mahl: Wir unterliegen einer „differenzierten Diktatur“. Das gehe mit der Einschränkung der Meinungsfreiheit los und endet mit der Einschränkung der Wahlfreiheit bei den Medikamenten. Wir leben in einer WHO-Diktatur (WHO = Weltgesundheitsorganisation der UN).
Meine Antwort: Und das ist die „Wir-leben-in-einer-Diktatur“-These, die konsequent zu Ende gedacht, wie bei Markus Krall oder Wolfgang Kochanek, in herbeigeredeten oder gar herbeigesehnten Aufstandsphantasien endet. Und das gilt um so mehr, wenn man Änderungen auf dem parlamentarischen Weg für schwierig hält, was in diesen Interviews nahe gelegt wird. Welcher Weg für politische Änderungen außer dem parlamentarischen soll dann wohl eingeschlagen werden?
Rothe/Mahl: Die EU, sie will uns nicht verbinden über die Grenzen hinweg, sondern verwalten und nicht zuletzt vergiften.
Meine Antwort: Richtig gehört!? VERGIFTEN. Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode.
Rothe/Mahl: Aber es müsse noch deutlich schlimmer werden, bis die Deutschen es merken.
Meine Antwort: Und diese Aussage redet die Verschlechterung der Lage, die Krise herbei, damit „das Volk“ endlich aufwacht.
Kommunalwahl ohne die „Weißen“
Ein Randaspekt des Interviews war die Absage der groß angekündigten Beteiligung von Kochaneks Weißen bei den Kommunalwahlen in Neustadt. Während Kochanek diesbezüglich verkündete, der parlamentarische Weg der Veränderung sei nicht mehr gangbar und Deutschland werde in einem blutigen Aufstand der Massen enden, argumentiert Karl-Friedrich Rothe, stellvertretende Vorsitzender der Weißen, es habe zu wenig Unterstützung für eine Weiße Kandidatur gegeben. Sie hätten die Kandidatenliste nicht füllen können.
Natürlich lag dies nicht daran, dass sich kaum jemand für diese Großsprecherpartei (20-30 % der Wählerstimmen aus dem Stand wollten sie erreichen) interessiert hat oder deren Ansichten für wirr und gefährlich hielt, sondern der Grund war, so Rothe, dass die Menschen „eingeschüchtert“ waren.
Hier wird die Opferkarte gespielt, das kennt man schon.
Gemeinsamer Nenner: Wir leben (fast) in einer Diktatur
Wie soll man diese Szene politisch charakterisieren, die sich selbst seit neuestem „frei einig“ nennt und daraus eine bundesweite neue Bewegung machen will? Klar, da gibt es ganz unterschiedliche Strömungen. Leute die sich über die Corona-Zeit politisiert haben und z.B. gegen Impfungen sind, solche, die keine Waffenlieferungen an die Ukraine oder Israel haben wollen, Menschen, die ihr Vertrauen in die herrschende Politik verloren haben. Auf ihren Märschen und unter den Rednern, die sie einladen, findet man aber Reichsbürger wie Wolfgang Burkard aus Lorsch, oder Rechtsextremisten wie den Antidemokraten Markus Krall, mehrfach in Hambach als Redner aufgetreten. Solange sich diese Szene nicht von diesen Extremisten distanziert, kann ihr Demokratie-Gesülze nicht ernst genommen werden.
Trotzdem, die Leute, die sich jetzt wieder am Pfingstwochenende in Neustadt und am Hambacher Schloss versammelt, sind in ihrer Mehrzahl nicht einfach Nazis oder Faschisten. Der Verfassungsschutz nennt sie Delegitimierer unserer demokratischen Staatsverfassung. Ein etwas schwieriges Wort. Ich sehe die Gemeinsamkeit unter all den verschiedenen Strömungen in der Auffassung, wir seien auf dem Weg oder lebten bereits in einer Diktatur. Deswegen nenne ich sie gerne die „Wir-leben-in-einer-Diktatur“-Szene.
DemokratInnen, an Pfingsten auf nach Hambach!
Dagegen aufzutreten sind alle DemokratInnen aufgerufen. Am Pfingstsamstag, am Pfingstsonntag und am Pfingstmontag. Mehr dazu im Blogbeitrag DemokratInnen, am Pfingsten nach Hambach! und immer aktuell auf der Startseite des Hambach-Blogs.
Ulrich Riehm, Freundeskreis Hambacher Fest 1832