Wolfgang, der Trommler aus Lorsch, auf dem Hambacher Schloss

„Eine bewegende Rede“, die nicht veröffentlicht werden sollte …

Rückblick in die Geschichte

Im Ersten Weltkrieg kamen rund 10 Millionen Soldaten zu Tode. Nicht zu vergessen sind die zivilen Opfer, die auch in die Millionen gehen. Für Deutschland werden etwa 700.000 zivile Tote gezählt, in erster Linie Hungertote aufgrund der miserablen Verfügbarkeit von Lebensmitteln.

Die von der Stadt Kiel aufgestellt Gedenkstele für die ehemalige Marine-Arrestanstalt an der Feldstraße, in der die rebellierenden Matrosen vom 29.10.1918 inhaftiert und dann von den Aufständischen befreit wurden. Foto Klaus Kuhl, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

Dagegen gab es Widerstand. Etwa im April 1917 der sogenannte „Brotstreik“ und neun Monate später der „Januarstreik“ im letzten Kriegsjahr 1918. Über eine Million Arbeiter und Arbeiterinnen forderten bessere Lebensbedingungen, das Ende des Kriegs und demokratische Verhältnisse. Der Streik wurde durch Polizei und Militär niedergeschlagen, Anführer verhaftet und viele streikende Arbeiter zum Militär eingezogen. Keine der Forderungen der Streikenden wurde erfüllt.

Aber 10 Monate später ist das Deutsche Kaiserreich am Ende – nicht nur auf den europäischen Schlachtfeldern, sondern auch in Deutschland. Die Novemberrevolution 1918 nahm ihren Ausgangspunkt in Kiel, als Matrosen der Kriegsmarine Ende Oktober sich weigerten, erneut zu einer Seeschlacht gegen die britische Marine auszulaufen. Wenige Tage später, am 10. November wurde der Kaiser abgesetzt und floh in die Niederlande. Die Armee ließ sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gegen die demonstrierende Bevölkerung und die Arbeiter- und Soldatenräte einsetzen.

Warum dieser Exkurs in die Geschichte?

Immer wieder sonntags …

Seit Pfingsten finden 14-täglich sonntags Demonstrationen zum Hambacher Schloss statt. Organisiert werden diese von wechselnden Gruppen aus der Anti-Corona-Impf-Bewegung und der „Wir-leben-in-einer-Diktatur“-Szene. Da kommen gerne mal 100, mal mehr, mal weniger TrommlerInnen und andere Empörte zusammen, die von der Dammstraße in Hambach hoch auf das Schloss ziehen und – das ist besonders bitter – auf dem Schlossgelände ihre Kundgebung abhalten.

Dass die Stiftung Hambacher Schloss momentan keine Handhabe sieht, ihr Hausrecht geltend zu machen und diese Kundgebungen auf ihrem Gelände zu untersagen, liegt am sog. „Fraport-Urteil“, das von den Rechtsanwälten Wolfgang Kochaneks wenige Tage vor Pfingsten erfolgreich herangezogen wurde, um die Stiftung zu zwingen, das Kochaneks Weiße das Schlossgelände als quasi öffentlichen Raum für Demonstrationen und Kundgebungen nutzen können. Ob zwischenzeitlich eine solide juristische Überprüfung dieser Rechtsauffassung erfolgte, ist nicht bekannt.

Wolfgang B. aus Lorsch – der Mann mit der Landsknechtstrommel

Am 13.8.2023 fand eine dieser Kundgebungen auf dem Schlossgelände statt. Im Vorfeld wurde über einschlägige Telegram-Kanäle mitgeteilt, dass Tanja, die Anmelderin der Demonstration, bittet, „dass die Rede von Wolfgang heute nicht veröffentlicht wird“. Üblicherweise werden in dieser QuerWeißBraunen-Szene Demonstrationszüge, Kundgebungen und die dabei gehaltenen Reden in unzähligen Bildern und stundenlangen Videos dokumentiert, live gestreamt und im Internet veröffentlicht. Warum also bei „Wolfgangs Rede“ diese Ausnahme?

Screenshot Telegrammkanal Neustadt-steht-auf

Wolfgang B. aus Lorsch ist eine markante Gestalt in der Szene. In der Regel führt er die Krachmacher-Sektion der Trommler mit einer umgehängten Landsknechtstrommel an, trägt einen spitzen schwarzen Hut und einen beeindruckenden Vollbart. Es gibt kaum eine Demonstration in der Region, auf der er nicht die Schlägel schwingt.

So etwa auch am 17.9.2022 in Mannheim auf dem Marktplatz: Das Grundgesetz sei ein Besatzungsstatut, das müssten wir ändern, war da von ihm zu hören. Da wird schon klarer, zu welcher Fraktion der forsche Lorscher Trommler gehört. Verteidiger des Grundgesetzes? Wohl kaum.

„Eine bewegende Rede“

Aber zurück zum 13.8.2023 auf dem Hambacher Schlossgelände. Was war so bewegend an der Rede dieses besonderen Unikums der Querschläger-Bewegung, die trotz Bitte der Versammlungsleiterin in voller Länge im Internet veröffentlicht wurde?

Zunächst ergoss sich Wolfgang B. aus Lorsch in den üblichen Behauptungen, wir lebten in einer Diktatur, wenn diese auch schleichend und scheibchenweise daherkomme. Es folgte ein ziemlich langatmiges Gejammer darüber, dass „die Medien“ und insbesondere der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk überhaupt nicht oder nicht ausgewogen über „unsere Bewegung“ berichten würde.

Dann kam er zum Eigentlichen, was er einmal aussprechen wolle.

Er sei jetzt seit vier Jahren mit Trommeln, Fahnen und Bannern unterwegs, um die Verfassungs- und die Grundrechte zu schützen, zu wahren und zu verteidigen. – Wir erinnern uns, was der Heuchler in Mannheim gesagt hat: Das Grundgesetz ist ein Besatzungsstatut.

Diese Anstrengungen hätten aber keinen Erfolg gehabt. Deshalb fordere er nun Militär, Spezial- und exekutive Kräfte dazu auf, uns von Menschenrechtsverbrechern, Völkerrechtsverbrechern, Kriegstreibern, Grundrechtsfeinden und Verfassungsfeinden zu befreien. Das Militär, die Polizei, die Spezialkräfte seien missbraucht, verarscht, belogen und betrogen worden. Sie sollten jetzt Charakter zeigen, ihren Job machen und uns von solchen schwerstverbrecherischen und kriminellen Handlungen erlösen.

An dieser Stelle gab es im Publikum „Richtig-“ und „Bravo-“Rufe sowie heftiges Klatschen.

Damit keine Missverständnisse entstehen. Gemeint sind bei seiner Aufzählung von „Verbrechern“ die gewählten Repräsentanten unseres Landes.

„Ihr Berufssoldaten und ihr Berufspolizisten habt einen Eid und einen Schwur geleistet. Stellt euch auf die Seite der Freiheit, des Friedens und der Souveränität. … Wir sind die Menschen und wir werden hinter euch stehen!“

Man würde gerne in die Köpfe dieser Leute schauen, was sie mit Freiheit, Frieden, Souveränität eigentlich meinen. Beinhalt ihr Freiheitverständnis nicht einen hemmungslosen Egoismus, in dem Solidarität und das schwierige Geschäft Kompromisse zu finden, keinen Platz hat? Sind sie für Frieden in der Ukraine unter der Knute Russlands? Meinen sie mit Souveränität die Schließung der Grenzen für Klima-, Kriegs- und Hungerflüchtlinge sowie politisch Verfolgte?

Der Aufruf an die Berufssoldaten und Berufspolizisten zielt auf Befehls- oder Gehorsamsverweigerung, auf Meuterei und Rebellion in den staatlich legitimierten Sicherheitsorganen. Die Rede des Trommlers ist vermutlich ein Straftatbestand nach § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten).

Tanja aus Mainz, früher bei den Grünen aktiv, ist bei ihrer Abmoderation der „bewegenden Rede“ ganz hin und weg. Wolfgang hat ihr offensichtlich aus dem Herzen gesprochen:

„Hut ab, lieber Wolfgang. Hut ab für deine Worte. Wenn du dafür angeklagt werden solltest, dann tut es mir leid für Deutschland.“

Aus der Geschichte lernen?

So wurden aus Corona-Impfgegnern und Gegnern der ukrainischen Selbstverteidigung „Revolutionsstrategen“, die aus der Geschichte erfolgreicher Revolutionen meinen gelernt zu haben, dass es für eine erfolgreiche Revolution notwendig ist, Teile des Militärs, der Polizei und des Staatsapparats auf die eigene Seite zu ziehen.

Der Unterschied von heute zur Meuterei der Kieler Matrosen 1918 ist, dass damals die kaiserliche Regierung die deutsche Bevölkerung in millionenfachen Tod, Hunger und Elend geführt hat, wovon heute wohl kaum die Rede sein kann. Mit der Revolution von 1918 wurde in Deutschland ein erster demokratischer Staat erkämpft. Der Trommler und seine MitdemonstrantInnen wollen dagegen unsere Demokratie mit gewalttätigen Mitteln abschaffen.

Ulrich Riehm, Freundeskreis Hambacher Fest von 1832

Für Hinweise zu einer ersten Version dieses Beitrages Danke an MH und GR.


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