Rückblick auf die Ereignisse am 28.5.2023 – Teil 3

Weiß mit braunen Streifen: Eindrücke von den politischen Fraktionierungen der „Genug-ist-Genug“-Bewegung

Im ersten Teil dieses dreiteiligen Rückblicks auf Pfingstsonntag, 28.5.2023, wurde der Ablauf des Tages in groben Zügen rekapituliert, auf die Diskussion um die Teilnehmerzahl (2.800) eingegangen und auf Teilnehmer hingewiesen, die die Fürstentürmer des 19. Jahrhunderts in Sachsen und Thüringen wieder herstellen wollen – womöglich Reichsbürger?

Im zweiten Teil wurde auf die (verwaltungs-)rechtlichen Auseinandersetzungen um die Demonstrationsroute und weitere rechts-politische Fragen des Vorgehens von Polizei und Ordnungsbehörde eingegangen.

In diesem dritten und letzten Teil werden die politischen Strömungen und Fraktionierungen in der weißen „Widerstandsbewegung“ einer näheren Betrachtung unterzogen.

Kochaneks Rede auf der Festwiese

In der gut einstündigen Rede des Herrn K. aus N. auf der Festwiese, griff er die Themen auf, die er seit gut eineinhalb Jahren traktiert: Deutschland fährt gegen die Wand, die Unternehmer verlassen in Scharen Deutschland, die Politiker sind völlig unfähig, die Exekutive besetzt alle wichtigen Positionen mit „Clan-Mitgliedern“. All dies werde begleitet und beklatscht von einer „korrupten Medienlandschaft“. Nichts Neues also aus dem Munde von Herrn K.

Auftaktkundgebung auf der Festwiese in Neustadt am 28.5.2023 – Ein Mann aus Neustadt redet und redet und redet (Foto: privat)

Dass Herr K. bei der Mengenlehre nicht richtig aufgepasst hat, wird an folgenden Sentenzen seines Vortrags deutlich: Noch stünden die meisten der Bevölkerung auf der Seite des Systems. Aber die andere Hälfte stehe jetzt auf und zeige der unfähigen Politikkaste, dass ihre Zeit abgelaufen sei.

Seinen Hass auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst kleidet er dieses Mal in die nicht zitierfähige Formulierung, dass die „Systemlinge“ ihren A… im öffentlichen Dienst zu retten versuchten. Das etwas unfeine Wort mit A… verwendet er durchaus gerne und ausgiebig. Auch „Deutschland ist am A…“ ist eine von ihm verwendete Schmähung. Mit „Systemlingen“, ein in der „Bewegung“ häufig verwendeter Begriff, den sich K. angeeignet hat, sind die „Anhänger“ der Bundesrepublik Deutschland gemeint, die diese nicht auf dem Weg in eine Diktatur (DDR 2.0) sehen und keinen „Systembruch“ oder „Systemwechsel“ anstreben.

Die Hetze gegen die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst ist notorisch. Das klingt dann z.B. so: „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auf jeden Leistungsträger 10.000 staatsgeile Versager kommen.“ Dass es „ein stetig anwachsendes Heer im Öffentlichen Dienst“ gebe, ist im Übrigen eine der beliebten „fake news“ des Herrn aus Neustadt.

Richtig ist, die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sank zwischen 1991 und 2008 von über 6,7 Millionen auf 4,5 Millionen. Seit dem Jahr 2009 ist zwar wieder ein Personalanstieg im öffentlichen Dienst zu verzeichnen, der allerdings „im Wesentlichen aus dem Ausbau des Angebots an Kinderbetreuungsplätzen und aus Personalzuwächsen im Bildungsbereich“ resultiere (Datenreport 2021, S. 146 f. , siehe zum Thema Kochanek und der Öffentliche Dienst auch den Blogbeitrag „Kochaneks Hassreden gegen Politik, NGOs und Staatsbedienstete“).

Aus der Luft gegriffen ist Kochaneks Behauptung, die Bürger würden mit den höchsten Steuern und Abgaben auf der ganzen Welt belastet.

Woher wissen Sie das so genau, Herr Kochanek? Nennen Sie ihre Quelle!

Schaut man nach in der Broschüre „Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich 2021“, S. 8, herausgegeben vom Bundesfinanzministerium (Vorsicht vom FDP-Clan durchseucht!), dann haben die folgenden Länder unter den EU- und einigen weiteren Industrieländern, die in den Vergleich einbezogen wurden, eine höhere Steuer- und Abgabelast als Deutschland (in Relation zum Bruttoinlandsprodukt): Luxemburg, Norwegen, Griechenland, Niederlande, Finnland, Österreich, Schweden, Italien, Belgien, Frankreich, Dänemark.

Gerne versucht Herr K. auch Personen und Institutionen, die nicht auf seiner weißen Welle schwimmen, mit Drohungen, Ultimaten oder gar Strafanzeigen einzuschüchtern: So verkündet er auf der Festwiese, dass er einen Neustadter SPD-Politiker mit einer Strafanzeige wegen Verhinderung einer ordnungsgemäß angemeldeten Versammlung überzogen habe. Natürlich fordert der Mann aus Neustadt auch den Oberbürgermeister auf, den er noch bei der letzten Wahl unterstützt hatte, „sofort“ von seinen Ämtern als OB zurückzutreten. Aber auch an anderer Stelle „müssen Köpfe rollen“: Bei den „Strippenziehern im Rathaus“ und bei der Stiftung Hambacher Schloss.

Wer sind die weiß verkleideten „Follower“ des Herrn aus Neustadt?

Wen hat Kochanek um sich geschart und wer ist Kochaneks Aufruf „Genug ist genug“ gefolgt? Eine erste Antwort liefern die TeilnehmerInnen einer „Podiumsdiskussion“ abends am Pfingstsonntag auf Kochaneks Parkplatz bei der ehemaligen Papierfabrik, nun im Besitz des Unternehmers aus Neustadt.

Blick auf Kochaneks Parkplatz am Pfingstsamstag, im Hintergrund Teile der ehemaligen Papierfabrik (Foto: privat)

Da saß u.a. „Ingrid aus Frankfurt“, „Aktivistin seit Beginn“ wie Moderatorin „Tanja aus Mainz“ sie vorstellte. Ingrid ist beteiligt an wöchentlichen „Mahnwachen“ vor den Häusern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und setzt sich ein für eine „ehrliche und freie Presse“. Sie ruft auf zu einem „GEZ-Gebührenboykott“, da wir alle von den Medien „manipuliert“ werden.

Aus der näheren Region, Weinheim, stammt die Ärztin Dr. Monika Jiang. Über sie berichtete der SWR am 3.1.2023:

„In einem der größten Prozesse wegen falscher Masken-Atteste hat das Gericht die Weinheimer Ärztin zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und ordnete an, rund 28.000 Euro einzuziehen. Zudem erhielt die Medizinerin ein dreijähriges Berufsverbot. … Bei den 28.000 Euro handelt es sich nach Angaben der Richterin um die Summe, die die Ärztin für das Erstellen der Atteste von den Empfängerinnen und Empfängern eingenommen hat. Bundesweit hätten Menschen entsprechende Atteste bestellt und bekommen – ohne dass die Ärztin sie untersucht hätte oder auch nur Kenntnisse über etwaige Vorerkrankungen gehabt hätte. Es seien auch keine Patientenakten angelegt worden. ‚Der Vorgang erinnert eher an einen Verkauf von Attesten als an eine medizinische Maßnahme‘, hieß es in der Mitteilung.“

Laut Staatsanwaltschaft geht es in etwa 4.000 Fällen um den Tatbestand des „Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse“. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Jiang sprach auf Kochaneks Parkplatz von einem spirituellen Weg. Statt an den Verordnungen des Staates sollten wir uns „am Schöpfer, an Gott ausrichten“. Den Corona-Impfstoff bezeichnete sie als „Biowaffe“. „Unsere Gegner“ sind aber nicht diejenigen, „die wir da oben sehen“, auch die Presse sei nicht schuld, die sei einfach nur „ein Werkzeug“. „Wir sind seit 1947 massiv der Gehirnwäsche ausgesetzt“ verkündete sie raunend. Das klingt dann schon verdammt nach der großen Weltverschwörung, bei der die Regierungen und die Medien nur Marionetten in der Hand geheimer Mächte sind.

Jiang wünschte sich kein Zurück in eine vergangene, angeblich bessere Zeit. Diese sei noch nie so selbstbestimmt und selbstermächtigt gewesen, wie sie sich das gesellschaftliche Leben wohl vorstellt. „Bloß nicht zurück, sondern vorwärts. Und dann bitte in die echte Variante und nicht in so eine Pseudofreiheit.“ Auch diese Aussage bleibt vage und verschwurbelt, aber Jiang bringt damit zweifellos zum Ausdruck, dass sie sich eine ganz andere gesellschaftliche Ordnung vorstellt. Einen „Gottesstaat“ vielleicht?

Ein weiterer Teilnehmer der Diskussion auf Kochaneks Parkplatz war Frank Großenbach, Rechtsanwalt in Frankfurt, ehemaliges SPD-Mitglied, dann Kandidat für die Kleinstpartei „Die Basis“ bei der Wahl zum Oberbürgermeister 2023 in Frankfurt. Er hält die repräsentative Demokratie für „überholt“. Was setzt er an ihre Stelle? Das blieb vage: Macht muss wieder „in die Basis“ verankert werden. Wir sollten Abstimmungsplattformen schaffen und darüber direkt entscheiden. „Wir müssen in den revolutionären Prozess gehen, friedlich natürlich …“.

Der vierte Gast des Podiums war Dr. Daniel Langhans, Verkaufstrainer aus Ulm und „Aktivist seit Anfang an“, so die Moderatorin bei der Vorstellung. Er habe klare Worte zum Konflikt Ukraine-Russland. Welche Botschaft hat er am Pfingstsonntag zu verkaufen?

„Jeder weiß, was für eine dreckige Weltanschauung in der Ukraine den Ton angibt, womit die Menschen dort unterdrückt werden.“

Daniel Langhans, Verkaufstrainer aus Ulm, bei der Podiumsdiskussion

Die Neu-Ulmer Zeitung (18.5.2022) zitiert Langhans‘ Botschaft „Nazis geben in der Ukraine den Ton an“. Er unterstütze Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, so die Lokalzeitung weiter. Wegen Billigung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges und der Störung des öffentlichen Friedens wurde er verurteilt (§ 140 StGB und § 126 StGB).

Schließlich Numero Fünf in der „illustren“ Runde, der „Preisträger“ Michael Ballweg. Er ergänzt die Liste derjenigen, die wegen unterschiedlicher Delikte vor Gericht verurteilt wurden bzw. gegen die noch ein entsprechendes Verfahren, wie bei Ballweg, läuft. Natürlich gilt bei ihm die Unschuldsvermutung, solange kein Urteil gefällt ist. Vorgeworfen wird ihm von der Staatsanwaltschaft in Stuttgart versuchter gewerbsmäßiger Betrug und Geldwäsche – von Spendengeldern, die er aus der Querdenken-Bewegung eingenommen hat. Er saß wegen Fluchtgefahr und einem dringenden Tatverdacht seit Ende Juni 2022 bis Anfang April 2023 in Untersuchungshaft.

Moderatorin Tanja stellte ihn vor als eine in der Szene umstrittene Persönlichkeit. Er wolle über die Blase hinaus mobilisieren.

Auf dem Podium gab sich Ballweg versöhnlich. Kein harsches Wort ging über seine Lippen. Er forderte Geduld, Ausdauer und Professionalität in der Bewegung. Nur mit freiwilligen Kräften laufe es nicht. „Wir brauchen auch Hauptamtliche in der Bewegung.“

Der Sechste in der Runde war natürlich der Neustadter Guru der Weißen. Seine Ein-Stunden-Rede auf der Festwiese vormittags wurde oben schon „gewürdigt“. Kochanek unterstützte auf dem Parkplatz abends die Professionalisierungsforderung Ballwegs: „Wir brauchen 100.000 Euro im Monat, da wir gegen knallharte Strukturen antreten.“

Friedensbewegte, Putin-Freunde und Reichsbürger

Hat man TeilnehmerInnen der Weißen auf ihre Motivation für diese Demonstration angesprochen, dann stand der Krieg Russlands gegen die Ukraine oft an erster Stelle, auch wenn dieser nicht unbedingt so genannt wurde. Das bedeutet nicht, dass diese gleichzeitig zu den Putin-Freunden zu zählen sind. Nein, sie sorgen sich um den Frieden in Europa, wünschen eine „deeskalierende“ Politik, sind gegen weitere Waffenlieferungen. Aber es gibt auch die anderen, ebenfalls Mitläufer bei den Weißen, die etwa in einer Mail an den Hambach-Blog schreiben: In Russland herrsche mehr Meinungs- und Pressefreiheit als bei uns in Deutschland. „Russland ist freiheitlich!“ Da bleibt einem die Spucke weg.

Auf die Fraktion der Fans der Fürstentümer des 19. Jahrhunderts wurde schon in Teil 1 dieses Rückblicks eingegangen. Angesichts der schwarz-rot-goldenen Fahne auf dem Hambacher Schloss monierte ein weiß gekleidetes Paar, dass dies die falsche Fahne sei. Richtig müsse über dem Schloss Schwarz-Weiß-Rot, die „Reichsflagge“ von 1871, wehen. Schwarz-Rot-Gold sei nicht „unsere Fahne“. Das sei die Fahne der Weimarer Republik. Man kann sich diese kuriosen Äußerungen bei Twitter ansehen, und man will sich nicht ausmalen, wie weit solche Leute in der Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland gehen könnten.

Wer fehlte?

Zurück zur „Podiumsdiskussion“ am Abend. Ganz rechts stand ein leerer Stuhl, der für Markus Krall vorgesehen und der auch öffentlich an prominenter Stelle angekündigt war.

Kochanek wusste auch nicht, wo Krall geblieben sei, der nachmittags noch in einer kurzen Rede als Stifter des Preisgeldes für Michael Ballweg auf dem Schlossgelände gesprochen hatte.

Preisverleihung an Michael Ballweg auf dem Schlossgelände (Foto: privat)

Dort verkündete Krall, dass die Meinungsfreiheit in diesem Land nur noch respektiert werde, wenn die geäußerte Meinung mit der Auffassung der Regierung konform gehe. Dass seine Redefreiheit von der Polizei gegen angebliche Antifanten geschützt wurde, sieht er nicht als Widerspruch an. Den Impfstoff nennt er zwar nicht eine „Biowaffe“ wie Frau Dr. Jiang, aber hält ihn für eine „Genplörre“. Die Pandemie ist eine „angebliche Pandemie“ und die Regierung versuche mittels der Weltgesundheitsorganisation (WHO) diktatorisch durchzuregieren.

Dunkel beendete Krall seine Preis-Laudatio: „Die Frage ist nicht, wer uns die Erlaubnis gibt, die Frage ist, wer uns aufhalten kann.“ Den Preisträger und sein Wirken erwähnt er in seiner Preisrede mit keinem Wort. Hat das was zu bedeuten?

Auf dem Hambach-Blog wurde bereits mehrfach Krall als Demokratiefeind und gewaltpredigender Rechtsextremist charakterisiert. Das braucht hier nicht wiederholt werden.

Wenn Mitglieder des Freundeskreises mit einem Flugblatt „Drei Fragen an die TeilnehmerInnen der Genug-ist-Genug-Demonstration am 28.5.2023 in Neustadt-Hambach“ weiß verkleidete DemonstrantInnen darauf ansprachen, warum sie dem von Kochanek prominent herausgestellten Preisspender Markus Krall folgten, gab es typischerweise drei Antworten: a) Krall, kenne ich nicht. b) Krall folgen? Nein, ich folge hier niemandem, ich bin nur für mich selbst verantwortlich! c) Krall ein Antidemokrat? Das habe ich nicht gewusst, ich kenne ihn nur als „Finanzexperten“.

Kochanek sieht in Krall in erster Linie den „Finanzfachmann“ und hält ihn für „intellektuell brillant“. Kralls politisches Programm zurück ins Kaiserreich will er nicht wahrhaben. Krall würde eher den konservativen Teil des Podiums darstellen „ohne rechtsradikal zu sein“, verkündete Kochanek, der seine Bewegung ja gerne als von rechts bis links verortet, wobei „Linke“ ihm bisher erkennbar nicht gefolgt sind.

Max Otte 2019 vor dem Saalbau in Neustadt (Foto: privat)

Und noch einen „neuen Hambacher“ könnte man vermissen. Er war in der Mobilisierungsphase für den Pfingstsonntag auf der Liste „prominenter Gäste“ zunächst mit Krall und anderen aufgeführt. Einige Tage später fehlte er: Max Otte, der von 2018 bis 2020 ein „neues Hambacher Fest“ auf dem Schloss bzw. in Neustadt abhielt und zu einem Treffen Rechtskonservativer bis Rechtsextremisten machte. Otte hatte auch Markus Krall als Redner 2018 und 2019 eingeladen.

Max Otte wurde an diesem Pfingstsonntag 2023 in Hambach auf dem Schlossgelände gesehen. Er stand eher etwas verschämt und wenig beachtet in der Ecke. Im letzten Jahr, hatte Ottes Youtube-Kanal mit mehreren Kochanek-Interviews noch kräftig Werbung für den Neustadter Unternehmer und seine weiße Bewegung gemacht. In diesem Jahr hielt er sich offensichtlich zurück. Über Gründe kann nur spekuliert werden. Eventuell gefällt Otte Kochaneks Pläne für eine neue Parteigründung nicht, weil er mehr Chancen bei einer Unterstützung der AfD sieht. Ottes Ego wäre sicherlich geschmeichelt, wenn die AfD ihn bei der Europawahl 2024 als Kandidaten aufstellen würde. Von der Eifel, Ottes „home base“, ist es nach Brüssel nur ein Katzensprung.

Wenn Kochaneks Gefolgschaft auf dem Hambach-Blog bisher als Corona-Leugner, Impfgegner, Putin-Freunde, Reichsbürger oder Verschwörungserzählerinnen bezeichnet wurde, dann war das keine ganz falsche Einschätzung, wie der „Scan“ der Podiumsteilnehmer vom 28.5. und weitere Erfahrungen mit den TeilnehmerInnen der weißen Versammlung gezeigt hat. Was über diese Themen hinaus diese Gruppe eint, ist das tief verankerte Misstrauen gegenüber der Regierung, die auf dem Weg zu einer Diktatur sei oder bereist zu einer Diktatur geworden ist.

Friendly Fire

Aber Kochaneks Marsch auf das Schloss blieb nicht ohne Kritik aus dem eigenen quer-rechten Milieu.

Eine erste Art von Kritik thematisiert den Ablauf der Demonstration. Insbesondere die Aufteilung in solche, die auf’s Schloss durften und solche, die am Parkplatz in Hambach zurückbleiben mussten, war für einige ein Ärgernis. Moniert wurde auch die enge Kooperation zwischen Kochanek und der Polizei und sein überschwänglicher Dank an diese.

Eine „Initiative für Demokratie und Aufklärung“ fasst diese Kritik wie folgt:

Die Demonstranten seien auf dem Schlossgelände zwischen Gittern, wie die Schafe zur Schlachtbank, zum Kundgebungsplatz geführt worden. So ein „betreutes Demonstrieren“ sei einer Demokratie nicht würdig. Mal wieder seien die Grundrechte durch die Verantwortlichen in Neustadt mit Füßen getreten worden, und es fanden sich willige Helfer, die in faschistoider Manier mitgemacht hätten. Wer diese „willige Helfer“ gewesen sein sollen, bleibt unklar.

In die gleiche Richtung äußerte sich ein gewisser Eduard Meßmer: Das Hambacher Fest 2023 sei kontrolliert in die Sackgasse geraten. Er kritisiert die Aufspaltung der Demo in Hambach, in diejenigen, die aufs Schloss durften und der Rest, der unten bleiben musste. Der ursprünglich angemeldete Ablauf des Demokratiefestes sei zu einer Farce degradiert worden und nur noch ein vergitterter Torso übrig geblieben. Der Veranstalter, so der ehemalige Kripobeamte aus Bühlertal, bewies wohl umfänglich Kooperationsbereitschaft bei den Gesprächen mit der Versammlungsbehörde in Neustadt und könnte damit auch etwas übertrieben haben. Der Veranstalter sei zum Kollaborateur geworden, so die harsche Kritik an Kochanek.

Deutlich politischer ist die Kritik eines gewissen Elijah Tee auf seinem Youtube-Kanal, die er bereits am Pfingstsonntagabend über drei Stunden ausbreitete.

„Hambacher Fest 2.0, ein neuer Tiefpunkt. Viele haben es befürchtet. Jetzt steht es fest: Wir sind von Idioten umgeben. Beim Hambacher Fest 2.0 ist heute ausgerechnet Michael Ballweg mit dem hochdotierten Demokratie-Preis ‚ausgezeichnet‘ worden.“

Elijah Tee auf seinem Youtube-Kanal am 28.5.2023

Elijah Tee begründet wortreich, dass 1. Hambach ein total abgelegener Ort in der Pampa und schwer erreichbar sei, 2. das Hambacher Fest von 1832 für heute keinerlei Relevanz habe, 3. der Marsch auf das Schloss keinerlei politische Stoßrichtung hatte und 4. der Preis an Michael Ballweg eine riesige Fehlentscheidung gewesen sei.

Ballweg sei kein Teil mehr der „Bewegung“. Er sei ein vermögender Mann, auch wenn ein Teil seines Vermögens momentan konfisziert sei. „Michael Ballweg braucht weder das [Preis-]Geld noch verdient er es.“ Wie das Strafverfahren gegen ihn ausgehe, sei offen. Allein das Treffen in Saalfeld im November 2020 mit dem „König von Deutschland“, dem Reichsbürger Peter Fitzek, sei ein Grund sich von Ballweg zu distanzieren anstatt ihm einen Preis zuzusprechen.

Auch Krall, nach Elijah Tee ein „apokalyptischer Prophet“, wird von ihm kritisiert und wegen seiner Prognosen lächerlich gemacht. Krall sei nur an sich selbst und an seiner eigenen Bereicherung interessiert. Vor vier Jahren habe er gesagt, in zwei Jahren sind wir alle Pleite. „Das habe ich nicht wirklich mitbekommen.“ Vor drei Jahren habe Krall gesagt, Corona wird zu einem Ende des Euro führen. „Ich weiß nicht, mit was ihr bezahlt …?“ Vor zwei Jahren habe er gesagt, wir werden alle hungern. „Habe ich da was verpasst?“ Nun wisse Krall, dass wir 2023 alles verlieren werden.

Wenn auch diese Kritik an Kralls Crash-Prophetie zutreffend ist, so bleibt sie doch oberflächlich, weil sie Kralls reaktionäres und rechtsextremes Programm der Abschaffung eines demokratischen Wahlrechts und der Einführung eines (Wahl-)Königtums nicht auf- und angreift.

… und in einem Jahr 2024?

Kochanek quält sich schon länger mit der Frage, ob die „Bewegung“ Partei werden oder APO bleiben soll. Diese Frage breitete er auch bei der „Podiumsdiskussion“ aus und entschied sich relativ klar für die Parteigründung. Er stellt sich eine Art „Meta-Partei“ vor, die über dem bestehenden Parteiensystem „von rechts bis links“ steht. Damit könne man, wenn man es richtig mache, locker 40 bis 75 % der Wähler gewinnen. „Dann haben wir es geschafft“.

„Links und rechts, diese ganze Sch… muss mal aufhören. Wir müssen oben drüber stehen.“

Kochanek auf seinem Parkplatz am 28.5.2023

Nur zu, Herr Kochanek, nächstes Jahr sind ja Kommunalwahlen in Rheinland-Pfalz, da können Sie schon mal mit ihrer „farblosen“ Partei üben.

Es war gut, dass unterschiedliche Gruppen gegen den Missbrauch des Hambacher Schlosses durch die „Weißen“ und ihre Gefolgschaft angetreten sind. Leider waren diese Kräfte relativ schwach.

Im nächsten Jahr soll es wieder, bereits mit Blick auf die 200-Jahrfeier 2032, ein Demokratiefest im Mai von der Stadt Neustadt und der Stiftung Hambacher Schloss geben. Es ist absehbar, dass dabei Kochaneks Leute wieder „mitmischen“ werden. Nur eine frühzeitige und breit angelegte, öffentliche Kampagne der demokratischen Kräfte wird in der Lage sein, gegen die „Wir-leben-in-einer-Diktatur“-Szene klar Stellung zu beziehen. Der Hambach-Blog kann ein Medium dieser Kampagne sein.

Ulrich Riehm, Freundeskreis Hambacher Fest von 1832

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