Rückblick auf die Ereignisse am 28.5.2023 in Neustadt-Hambach

Teil 1: Hambach 2.0 oder ein schwarzer Sonntag für die weiße Bewegung?

Schon wieder ist „Deutschland am A…“. Großsprecherisch hatte der „Mann aus Neustadt“ im letzten Jahr 30.000 bis 50.000 weißgekleidete Demonstranten für seinen Marsch auf das Hambacher Schloss angekündigt. Tatsächlich hatten sich etwa 3.500 Personen aus der „Wir leben in einer Diktatur“-Szene unter die Gäste des Demokratiefestes gemischt und das Demokratiefest in Teilen zum Abbruch gezwungen. Herr K. prophezeite, wenn die „Massen“ nicht seinen Vorgaben folgten, sei „Deutschland am A…“.

Beim zweiten „Ansturm“ auf das Schloss in diesem Jahr lief es keineswegs besser. Etwas bescheidener meldete der Neustadt Unternehmer „nur“ 10.000 Teilnehmer für einen Zug vom Marktplatz auf das Schloss für den 28.5.2023 an. Auch dieses Ziel wurde krachend verfehlt. Es waren sogar weniger als im Jahr zuvor. Nach Angaben der Polizei etwa 2.800, die ab 11 Uhr von der Festwiese in Neustadt Richtung Hambach zogen. Jetzt ist Deutschland mit Sicherheit „am A…“ – oder vielleicht die Bewegung der „Weißen“, deren braune Streifen immer deutlicher zum Vorschein kommen?

In drei Blogbeiträgen wird rekapituliert, was an Pfingstsonntag in Neustadt, Hambach und auf dem Schloss passiert ist, wie die diversen politischen Akteure in der Vorbereitung und am „Aktionstag“ sich verhalten haben (Teil 2) und welche politischen Strömungen und Fraktionierungen in der weißen „Widerstandsbewegung“ auszumachen sind (Teil 3).

An Pfingstsonntag versammeln sich ab 10 Uhr die meist weißgekleideten DemonstrantInnen in Neustadt auf der Festwiese, die keineswegs eine Wiese ist, sondern ein innenstadtnaher, langgezogener, etwa 300 m langer Parkplatz. Dieser war vor der Bühne zu etwa einem Drittel locker mit TeilnehmerInnen gefüllt, die Herrn K. mehr oder weniger aufmerksam bei seiner gut einstündigen Rede zuhörten.

Am 28.5.2023 auf der Festwiese in Neustadt. Auf dem Laster der Dauerredner aus Neustadt (Foto: privat)

Weiß bis in die grauen Haarspitzen

Dem Aufruf der „Weißen“, ein eingetragener Verein mit Sitz in Neustadt, waren Leute aus der ganzen Bundesrepublik gefolgt. Viele waren aus Schwaben, aber auch aus Berlin, Thüringen, Sachsen und andere Regionen Deutschlands angereist.

Altersmäßig dominierten die 50- bis 80-Jährigen. Junge Leute sah man kaum. Parteifahnen waren wohl nicht erwünscht. Aber die schwarz-rot-goldene Deutschlandfahne, die blaue Fahne der Friedensbewegung mit weißer Taube und eine weiße Fahne mit einem roten Strich, die Fahne der „Bewegung“ wie es hieß, flatterten im leichten Wind unter heißer Sonne. Daneben sah man aber auch häufig die „umgedrehte“ Deutschlandfahne gold-rot-schwarz, ein Symbol derjenigen, die die Bundesrepublik nicht anerkennen – oder gerne auf den Kopf stellen würden.

Flaggenparade auf der Festwiese am 28.5.2023: Schwarz-Rot-Gold und Gold-Rot-Schwarz (Foto: privat)
Festwiese Neustadt: Links die sächsische weiß-grüne Fahne mit Wappen des Königreichs Sachsen (Foto: privat)

Es lebe „Sachsen – Coburg und Gotha“ – Zurück ins 19. Jahrhundert!

Vereinzelt trugen Menschen Fahnen verblichener deutscher Fürstentümer. Bekanntlich hatten sich die Hambacher von 1832 gegen die Zersplitterung Deutschlands in absolutistische Kleinstaaten eingesetzt. Sollen diese Fürstentümer jetzt wieder hergestellt werden?

Man muss sich das, was in dieser Anti-Hambach1832-Szene verkündet wird, einmal im Original anhören:

„Wir leben nach wie vor in einem Firmenkonstrukt, was im See und Handelsrecht agiert. Es handelt sich sicher bei der BRD um staatliche Strukturen, aber definitiv nicht um einen Staat. …. Wie kommen wir zurück zu Staatsstrukturen im rechtlich sauberen Zustand? … indem wir aus dem Notstand heraus über Wahlkommissionen, die die Siegelrechte innehaben, parallele Strukturen aufbauen, bis wir handlungsfähig sind. Mitmenschen, ihr solltet Eure Staatsangehörigkeit mit Hilfe der Standesämter/Stadtarchive/Kirchenarchive vor 1914 aus dem jeweiligen Bundesstaat nachweisen (im Optimalfall vor 1900, jeder sollte so weit zurückgehen wie es möglich ist).“

Website der „Wahlkommission“ Sachsen – Coburg und Gotha

Die Arbeit der Wahlkommission „begann mit der Einsicht in die Notwendigkeit, der nun seit über 100 Jahren andauernden Fremdbestimmung über die Deutschen Völker, so auch der Bevölkerung des Bundesstaates Sachsen-Weimar-Eisenach, endlich ein Ende zu setzen. Mit unserer Arbeit helfen wir vielen Menschen ihre richtige Identität wiederzufinden, endlich auch diese ihre richtige Rechtsstellung zu beanspruchen, die unsere Ahnen für uns in weiser Voraussicht vorhergesehen haben. Wir sorgen dafür, dass die Rechtsstellung der indigenen Einwohner, begründet auf die Landständische Verfassung des Großherzogthums Sachsen-Weimar-Eisenach vom 5. Mai 1816, wieder Geltung erlangt. Wir bauen etwas NEUES auf den Grundsteinen unserer Vorfahren auf anstatt gegen etwas zu kämpfen. Der Schritt zurück auf die Rechtsgrundlagen im Rechtsstand vom 27.10.1918 ist notwendig, um ein Fundament zu haben.“

Website der „Wahlkommission“ Großherzogtum Sachsen Weimar Eisenach

Ist das wirklich ernst gemeint? Muss man das ernst nehmen? Oder ist diese Szene, die den Reichsbürgern zugeordnet werden kann, nicht sogar gefährlich, wenn sie „parallele Strukturen aufbauen“ wollen, bis sie selbst „handlungsfähig“ werden? Prinz Reuss mit seinen Möchtegern-Putschisten lässt grüßen. Und was sagt Herr K. aus Neustadt, nach eigenem Bekunden „Fan des Grundgesetzes“, zu diesen Leuten, die seinem Aufruf zum Marsch auf das Hambacher Schloss gefolgt sind? Eine Distanzierung? Fehlanzeige!

Teilnehmerzahlen

Teilnehmerzahlen sind immer umstritten. Sie sind zu hoch oder zu gering, je nach eigener Sympathie und Involviertheit. Eine Feststellung ist aber wohl Konsens: Es waren keine 10.000! Die hatte Herr K. nicht nur angemeldet, sondern auch bis in die letzten Tage vor Pfingsten immer wieder großspurig angekündigt.

Markus Krall auf Twitter am 28.5.2023 10:20 (Screenshot)

Nur Markus Krall, Kochaneks neuer Freund, twitterte ungeniert und bar jeder Empirie: „10.000 für die Freiheit! Heute am Hambacher Schloss.“

Von Kochanek selbst sind keine Äußerungen zur TeilnehmerInnenzahl bekannt. Lange hieß es in den entsprechenden Telegram-Kanälen der „Widerstands-Szene“ es seien „einige Tausend“ gewesen. Das bestätigte auch die Polizei, die beim Abmarsch von der Festwiese rund 2.800 Personen gezählt hatte.

Polizeipräsidium Rheinpfalz: Pressemitteilung vom 28.5.2023, 17:47

Die Telegramm-Nachricht von „Hambach 2023 offiziell“ vom 28.5.2023 um 17:05, es seien bereits um 11 Uhr 5.000 und später 8.000 Teilnehmer gewesen, dies habe die Polizeibehörde mitgeteilt, ist offensichtlich erfunden. Eine Rückfrage bei der Pressestelle des Polizeipräsidiums Rheinpfalz am 30.5.2023 durch den Freundeskreis Hambacher Fest von 1832 wurde wie folgt beantwortet:

„Die Zahl der Versammlungsteilnehmenden der Versammlung ‚Deutschland steht auf‘ belief sich auf rund 2.800. Die Kollegen haben die Teilnehmer gezählt, als diese von der Festwiese zur Dammstraße losgelaufen sind. Aufgrund der Personenbegrenzung für die Versammlung im Hambacher Schloss wurde auch tatsächlich gezählt. Im späteren Verlauf wurden die Teilnehmer dann noch an weiteren Stellen gezählt. Insofern kann ich die Teilnehmerzahlen von 5.000 oder 8.000 nicht bestätigen.“

Mitteilung der Pressestelle des Polizeipräsidums Rheinpfalz vom 30.5.2023 zur Frage der teilnehmenden Personen auf der „weißen“ Demonstration

Kein Sonntagsspaziergang

Die Demonstrationsroute führte fast 4 km bis in die Dammstraße im Ortsteil Hambach. Dort durften gemäß den zwischen den Organisatoren der Demonstration und der Ordnungsbehörde abgeschlossenen Vereinbarung 1.500 Personen weiter auf das Hambacher Schloss ziehen. Das waren weitere 2 km verbunden mit einem beträchtlichen Anstieg. Die Zurückgebliebenen in der Dammstraße waren kaum mehr der Rede wert, oder wie jemand sagte, der nicht zitiert werden will, „ein kläglicher Haufen“.

Auf dem Schlossvorplatz, dem sogenannten Wendehammer mit Bushaltestelle, waren die „Gegendemonstranten“, die dem Aufruf des Regionalen Bündnisses gegen Rechts gefolgt waren, schon seit 11 Uhr versammelt. Das waren über den gesamten Zeitraum bis nach 15 Uhr etwa 200 Personen aus Neustadt und der Rhein-Neckar-Region. Als dann der weiße Zug den Berg erklommen hatte, schotte die zahlreich vertretene Polizei, angeblich wären 900 Polizisten aus Rheinland-Pfalz und Bayern im Einsatz gewesen, beide Gruppen hermetisch voneinander ab.

Rufe vom Schloss: „Krall ist ein Faschist“

Nur die weiß Verkleideten durften die letzten ca. 150 m aufs Schlossgelände ziehen. Dort fand in einem durch „Hamburger Gitter“ (Absperrgitter) abgegrenztem Teil des Schlossgeländes die sog. Preisverleihung an Michael Ballweg, dem Initiator der Querdenken-Bewegung in Stuttgart, statt. Das Preisgeld von 10.000 Euro hatte Markus Krall bzw. seine Atlas Initiative gespendet. Als dies bekannt wurde, erschallte von einigen Menschen vom Schlossberg auf die Weißen herunter: „Krall ist ein Faschist“.

Bemerkenswert ist noch, dass es einige kreative „Aushänge“ auf dem Weg nach Hambach und in Hambach gab, die unmissverständlich zum Ausdruck brachten, dass diese weiße Bewegung in Hambach nicht willkommen ist. Der Hambach-Blog hat darüber schon berichtet.

Eduard Meßmer, ehemaliger Kripobeamter und weißer Mitdemonstrant aus dem badischen Bühlertal, schrieb in einer Nachbetrachtung von einem „schwarzen Pfingstsonntag“. Auf diese Kritik aus den eigenen Reihen wird im dritten Teil dieses Rückblicks auf den 191. Jahrestag des Hambacher Festes von 1832 noch einzugehen sein.

In Teil 2 wird das Agieren des Demonstrationsanmelders, der Neustadter Ordnungsbehörde und des Verwaltungsgerichts in Neustadt rekonstruiert. Wurde das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verteidigt? Wenn ja, von wem?

In Teil 3 wir der Frage nachgegangen, welche politischen Kräfte sich an diesem sonnigen Pfingstsonntag hinter den Aufruf des „Manns aus Neustadt“ versammelt haben, der immer für sich und seine Bewegung behauptet, er repräsentiere die politische Mitte von rechts bis links.

Ulrich Riehm, Freundeskreis Hambacher Fest von 1832

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