Über Johann Georg August Wirth:
Der Versuch der Rechtsnationalen, das Hambacher Fest von 1832 zu kapern, ist eine gute Gelegenheit, die Kenntnisse darüber aufzufrischen und zu vertiefen. Interessant ist natürlich:
- Was waren das für Leute, die Organisatoren des Festes?
- Was trieb zum Beispiel Johann Georg August Wirth an?

Er war einer der Hauptredner. Ihm verdanken wir eine Dokumentation der damaligen Maitage. Auf der Suche nach seinem Leben stieß ich auf einen Artikel in der Wochenzeitung „Die Zeit“.
In einer Buchbesprechung in der Zeit aus dem Jahr 2005 unter der Überschrift: „Freiheitsfreund im Widerspruch“ kommt der Journalist Volker Ullrich dort zu dem Schluss, „dass der ‚Hambacher‘ Johann Georg August Wirth zum demokratischen Vorbild leider nicht taugt“.
Das vorgestellte Buch: Elisabeth Hüls (2004): Johann Georg August Wirth (1798-1848). Ein politisches Leben im Vormärz. Düsseldorf : Droste
Ullrich begründet sein Urteil folgendermaßen: „Besonders problematisch war, dass Wirth die aus den vermeintlichen Naturgesetzen abgeleitete Vorstellung eines unaufhaltsamen Fortschritts des Menschengeschlechts mit einer Rassentheorie verband, auf deren unterster Stufe ‚Neger und Eskimos‘ rangierten, gefolgt von ‚Mongolen, Malaien, Amerikanern oder Indianern und endlich der edlen Gattung der Europäer‘. Auch innerhalb der europäischen ‚Rasse‘ setzte Wirth Unterschiede.“ Geschrieben hat er das in den Haftjahren, die dem Hambacher Fest folgten.
Tja, ich muss schlucken. Knapp 100 Jahre später machte ja vor allem die „edle Gattung“ der Deutschen von sich reden, als sie in einem beispiellosen Angriff auf die Menschlichkeit Europa zum Schlachtfeld machte und Millionen Menschen tötete.
Die Schlussfolgerung von Ullrich ist knapp und eindeutig. Aber war das der wichtigste Schluss, den man aus der Biographie von Elisabeth Hüls ziehen musste? Und ich frage mich nicht zum 1. Mal: Welcher Lebenslauf in seiner ganzen Länge taugt als Vorbild? Schon oft beschlich mich das Gefühl: Je länger ein Mensch tot ist, desto weniger eignet sich dessen Leben als Vorbild. Oder: Je jünger ein Mensch stirbt, desto eher eignet er sich als Vorbild.
Was mir imponiert, und was E. Hüls in mühsamer Arbeit aus Archiven ans Licht brachte, ist: Wirth war ein entschiedener Kämpfer für die Pressefreiheit, was er immer wieder mit Arrest und Gefängnis bezahlen musste. Als Journalist (und manchmal sogar Drucker) widersetzte er sich der Zensur. Er missachtete regelmäßig Verbote, indem er für die Zeitung gestrichene Textstellen als Flugblätter verbreitete, uneingeschüchtert auch durch die Androhung hoher Geldstrafen. Der bayerische Staat versuchte, Wirth längere Zeit festzusetzen, in der Hoffnung, seine Tätigkeit bei der Zeitung „Deutsche Tribüne“ würde ausfallen und die Herausgabe der Zeitung würde dadurch behindert. Wirth widerstand dem Versuch, ihn zu bestechen, als ihm eine Redakteursstelle beim Staat angeboten wurde. Ausweichend nach Homburg (heute eine gute Auto-Stunde von Hambach entfernt) umging er Verbote und Zensur, indem er keine Erlaubnis mehr einholte. Um weiter zu publizieren, druckte er mal hier, mal dort, auch indem er die Druckpresse von einer Stadt in die andere transportieren ließ. Auch durch neue Vertriebswege gelang es ihm zeitweilig, die Zensur ins Leere laufen zu lassen. Er war anscheinend ein glänzender Organisator, riskierte viel, er hatte Rückgrat.
Vielleicht sollten wir es eher bei der Feststellung seines Zeitgenossen Heinrich Heine belassen, der zu Johann Georg August Wirth urteilte, er sei „zwar irrender aber tapferer Ritter der Freiheit, wie Deutschland deren wenige gesehen“.
(lus)