Am vorletzten Wochenende fand auf dem Hambacher Schloss und in Neustadt das Demokratiefestival Hambach! statt. Das Programm war für einen Einzelnen in seiner Vielfalt kaum zu erfassen und zu bewerten.
In unserem Interview mit dem Leiter des Kulturbüros der Metropol Region Rhein-Neckar, Thomas Kraus, empfahl dieser zwei alternative „Zugänge“ zum Demokratiefestival: Entweder sollte man einfach aufs Schloss gehen und sich von dem vielfältigen Angebot animieren und treiben lassen. Oder man sollte sich im Vorfeld aus dem umfassenden und nicht ganz einfach zu überblickenden Programm gezielt einzelne Programmpunkte heraus suchen. Für dieses gezielte Vorgehen habe ich mich am Sonntag, 16.9.2018, dem letzten Tag des Festivals, entschieden. Morgens wollte ich am SpielZug teilnehmen, nachmittags dann an einem Workshop mit dem Titel Building Conversation. Das waren auch die zwei Programmbestandteile, zu denen man sich vorher anmelden sollte. Es war aber auch möglich, noch spontan teilzunehmen, was bei mir jedenfalls in beiden Fällen problemlos geklappt hatte. Im Folgenden ein Bericht zu meinen Erfahrungen mit Building Conversation
Wer seine Erfahrungen mit dem Demokratiefestival Hambach! mit einer interessierten Öffentlichkeit teilen will, ist eingeladen, dies auf unserer Website zu tun. Über die Kontaktseite können Sie mit uns in Verbindung treten.
Building Conversation
Der Programmbestandteil Building Conversation fand unten in Neustadt statt und erforderte ein intensives Einlassen und aktives Mitwirken über den gesamten Nachmittag hinweg. Das war nichts, was man mal so im Vorbeiflanieren erfassen und abhaken konnte.
Die niederländische Regisseurin Lotte van den Berg und der niederländische bildenden Künstler Daan’ t Sas haben dieses Format entwickelt, in dem man vier Kommunikationsweisen ausprobieren konnte: das „Gespräch ohne Worte“, das „unmögliche Gespräche“, das „agonistische Gespräch“ und „Gemeinsam denken – ein Experiment“. In der Woche vor dem Festivalwochenende wurden Jugendliche aus Neustadt und Umgebung von den Niederländern hierzu zu GruppenleiterInnen ausgebildet.
Ich hatte mich am Sonntagnachmittag für das agonistische Gespräch entschieden. Die beiden SchülerInnen machten in der Anleitung der 14 Personen umfassenden Gruppe einen hervorragenden Job. Alle Achtung! Aber um was geht es dabei?
Das agonistische Gespräch
Im Programm wird das agonistische Gespräch als „konstruktive Debatte zwischen Gegnern“ gekennzeichnet. Als Quellen der Inspiration werden eine Praxis der Maori genannt, die wohl gerne Streitigkeiten im Liegen lösen, und die Philosophin Chantal Mouffe, die ein Buch veröffentlicht hat mit dem Titel „Agonistik – Die Welt politisch denken“.
Bei der Bundeszentrale für politische Bildung kann man zu diesem Buch lesen: „Mit ihrem Konzept der Agonistik plädiert die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe für mehr Konkurrenz und weniger Konsens in der politischen Debatte. Basis eines solchen Wettstreits unter Kontrahenten sei die Akzeptanz demokratisch legitimierter Institutionen und das Einvernehmen über die Werte des politischen Umgangs. Davon ausgehend, so Mouffe, sollen politische Akteure klare inhaltliche und ideologische Alternativen anbieten. Dieser Pluralismus sei das beste Mittel gegen Politikverdrossenheit, aber auch gegen Extremismus sowie gegen Versuche, politische Ziele gewaltsam durchzusetzen.“
Aber was passierte nun wirklich an diesem Sonntagnachmittag?
Streitthema: Autoritäre oder liberale Erziehung
Zunächst wurde das Streitthema „Autoritärer oder liberalen Erziehung“ ausgewählt. Die TeilnehmerInnen wurden aufgefordert sich einer dieser Positionen zuzuordnen, ganz unabhängig von der eigenen Einstellung.
In der ersten Phase des agonistischen Gesprächs standen sich die Meinungsgegner etwa in einem Abstand von 2 m in zwei Reihen gegenüber. In erstaunlich schneller Abfolge wurden die Argumente den „Gegnern“ entgegen geschleudert. Nach 30 Minuten wurde der argumentative Schlagabtausch abgebrochen und die sich gegenüber stehenden Gruppen aufgelöst.
In der zweiten Phase liefen alle Personen schweigend im Raum umher und suchten die physische Nähe eines anderen. Das konnte einfach ein Näherkommen sein, ein Händeschütteln, eine Umarmung oder sonst eine Form der körperlichen Kontaktaufnahme.
In der folgenden dritten Phase legten sich alle Teilnehmer auf den Boden, schlossen die Augen oder starten an die Decke. Es begann ein unmoderiertes, freies Gespräch über das bisher Erlebte, eine Art Metagespräch. In diesem wurde wenig über Sinn und Zweck des vorher zelebrierten Streitgesprächs räsoniert oder das Streitthema „Erziehung“ fortgeführt. Vielmehr wurden bald aktuelle Themen wie „Chemnitz“ und die Frage, wie man denn mit Rechtsextremisten sprechen sollte, diskutiert.
Schließlich klang auf dem Juliusplatz in Neustadt bei Suppe und Salat der Nachmittag mit lockeren Gesprächen zwischen den TeilnehmerInnen aus.
Ist das Kunst?
Das Festival hat einen hohen künstlerischen Anspruch, und man kann deshalb durchaus fragen, ob „Building Conversation“ etwas mit Kunst zu tun hat. Gehört das an diesem Sonntagnachmittag Erfahrene und Mitgemachte nicht eher auf ein Wochenendseminar für Moderatoren oder in einen Volkshochschulkurs?
Auch die räumliche und inhaltliche Distanz zum Festival auf dem Schloss könnte man problematisieren. Ich hätte mir durchaus gewünscht, dass die verhandelten Themen, hier „Erziehung“, etwas mehr „Hambach-Nähe“ aufgewiesen hätten. So wäre z.B. ja von aktueller Brisanz die Frage gewesen, mit welchem Recht sich die AfD in die Tradition des Hambacher Festes stellen kann und ob es mit dem besonderen Charakter das Hambacher Schlosses vereinbar ist, dass sie dieses für ihre Veranstaltungen nutzt.
Wir wissen alle: Gelingende Kommunikation ist die Ausnahme und produktiv endende Streitgespräche sind noch seltener. Lässt der Nachmittag mit dem Kennenlernen und Ausprobieren des agonistischen Gesprächs diesbezüglich für die TeilnehmerInnen einen Fortschritt erwarten? Vermutlich nein. Das Format ist sicherlich nur in bestimmten Gruppen- und Themenkonstellationen sinnvoll einsetzbar. Es ist kein Allheilmittel dafür, z.B. die oft unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen den sich auf dem Hambacher Schloss ausbreitenden rechten, politischen Gruppen und Parteien und denjenigen, die das demokratische und europäisches Vermächtnis des Hambacher Festes von 1832 demgegenüber verteidigen wollen, zu überbrücken.
Dies soll alles kein Einwand gegen den Programmpunkt Building Conversation sein. Denn die hiermit gegebene Möglichkeit, neue Kommunikationsmethoden kennenzulernen und in einer von engagierten und kompetenten, jungen ModeratorInnen geleiteten Gruppe auszuprobieren, und dabei interessante Personen kennen zu lernen, ist auf jeden Fall eine gute Sache.
Alle Bilder Ulrich Riehm. Lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz .