Rückblick auf das Demokratiefestival Hambach! Der SpielZug

Am vorletzten Wochenende, 14.-16.9.2018, fand auf dem Hambacher Schloss und in Neustadt das Demokratiefestival Hambach! statt. Das Programm war für einen Einzelnen in seiner Vielfalt kaum zu erfassen und zu bewerten.

In unserem Interview mit dem Leiter des Kulturbüros der Metropolregion Rhein-Neckar, Thomas Kraus, empfahl dieser zwei alternative „Zugänge“ zum Demokratiefestival: Entweder man sollte einfach aufs Schloss gehen und sich von dem vielfältigen Angebot animieren und treiben lassen. Oder man sollte sich im Vorfeld aus dem umfassenden und nicht ganz einfach zu durchschauenden Programm gezielt einzelne Programmpunkte heraus suchen. Für dieses gezielte Vorgehen habe ich mich am Sonntag, 16.9.2018, dem letzten Tag des Festivals, entschieden. Morgens wollte ich am SpielZug teilnehmen, nachmittags dann an einem Workshop mit dem Titel Building Conversation. Das waren auch die zwei Programmbestandteile, zu denen man sich vorher anmelden sollte, es war aber auch möglich, noch spontan teilzunehmen, was bei mir in beiden Fällen problemlos geklappt hatte. Im Folgenden mein Bericht zu meinen Erfahrungen mit dem SpielZug.

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Hinauf, hinauf zum Schloss mit dem SpielZug am Sonntag

Kurz nach 10 Uhr lag über dem Ortsteil Hambach, unterhalb des Hambacher Schlosses gelegen, noch eine sonntägliche Stille. Nur ein seltsam goldiger Kreis von Menschen führte auf dem Platz vor dem Rathaus ein eigenartiges Ritual auf: „Du stinkst!“ riefen die rund 30 in goldene Blousons gewandten Menschen sich gegenseitig zu. Das waren die Spielleute des SpielZugs, die sich offensichtlich auf den Tag einstimmten. Bis 11 Uhr, dem Beginn des SpielZugs, hatte sich dann der Platz vor der Ortsverwaltung in Hambach gefüllt. Auffallend viele Jugendliche waren gekommen, etwa Schülerinnen und Schüler aus Lampertheim und aus Polen fielen mir auf, die im Klassenverband mit ihren LehrerInnen von der Neustadter Jugendherberge kamen und am SpielZug teilnehmen wollten.

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Aber was muss man sich eigentlich unter dem SpielZug vorstellen? Der SpielZug war eine der „Mitmach-Aktionen“  des Demokratiefestivals. Unter Leitung von Lea Aderjahn fanden sich schätzungsweise 30 junge und ältere, spielfreudige Menschen zusammen, die seit März dieses Jahres die Stationen des SpielZugs entwickelten und probten. Mitmachen mussten aber dann auch die schätzungsweise 150 bis 300 TeilnehmerInnen an diesem Sonntag, die in Gruppen zu 30 im Abstand von 15 Minuten „Hinauf, hinauf zum Schloss“ zogen und sich damit in die Tradition des Hambacher Festes vom Mai 1832 stellten, bei dem rund 30.000 Bürgerinnen und Bürger für demokratische Rechte, nationale Einheit und europäische Zusammenarbeit „hinauf, hinauf zum Schloss“ zogen.

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Im Programm des Festivals wird der Spielzug als ein „interaktiver Stationenparcours“ gekennzeichnet. Bei der ersten Station von insgesamt zehn wurde die Aufgabe gestellt, sich eine Parole oder einen Slogan auszudenken, unter dem man den Berg hinauf ziehen wollte: „Fang an! Die Hoffnung stirb zuletzt“, „Die Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied“ und „Einmal mehr aufstehen als hinfallen“ wurde nach kurzen Diskussionen in den Gruppen festgelegt und auf die Schilder gemalt.

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„Was bist du bereit für deine Ziele zu opfern?“

„Was bist du bereit für deine Ziele zu opfern?“ war die Frage an einer weiteren Station. Diese Frage stieß vor bis ins Zentrum der eigenen Befindlichkeit. Denn jeder sollte hier und jetzt etwas abgeben und ablegen. Was wurde da „geopfert“ von den TeilnehmerInnen unserer Gruppe? Ein Schwitztuch, das der Betreffende eigentlich brauchte, weil er so stark schwitzt; Hustenbonbons wurden geopfert, obwohl die Betreffende unter starkem Husten litt; eine Zeitung, die noch nicht gelesen war, für den Zeitungsleser natürlich ein großes Opfer und vieles andere mehr. Zwei Teilnehmer und eine Teilnehmerin „opferten“ sich aber selbst und setzten sich – wie anno 1983 Heinrich Böll, Petra Kelly, Gert Bastian und viele andere mehr beim Protest gegen die Pershing Atomraketen in Mutlangen – auf das dafür vorgesehene Opfertuch. Sie ließen sich auch nicht vom Spielleiter davon abbringen, als dieser erklärte, dann müssten sie aber auch bis zum Ende des Spielzuges sitzen bleiben. Klar, das war alles nur ein Spiel, aber gefragt zu werden, was man für seine Überzeugungen und Ideale denn eigentlich opfern oder einsetzen würde, ist schon eine unter die Haut gehende Herausforderung.

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Die vorletzte Station, bereits oben an der Schlossauffahrt, knüpfte an der ersten an. Hier lautete die Aufforderung an die Teilnehmer, sich eine kurze Parole zur Demokratie auszudenken und auf eine große Plakatwand zu sprayen. Auch hierzu kamen kreative und ernst zu nehmende Losungen zusammen: „Mut! Hinterfragen!!!“ oder „Demokratie fängt bei mir/dir an“ und „Demokratie ist Arbeit“.

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Zwischendrin gab eine Trachtentanzgrupppe ein Ständchen und ein Reiter führte die Spielzugleute zur nächsten Station. Am Endpunkt auf dem Schloss durften die Spielzugteilnehmer zusammen mit der Neustadter Liedertafel Schillers Ode an die Freude in der Beethovenschen musikalischen Umsetzung zum Besten geben: „Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elisium, Wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligthum. Deine Zauber binden wieder, Was die Mode streng geteilt, Alle Menschen werden Brüder, Wo dein sanfter Flügel weilt“.

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„Mitmachen“ – nur in engen Grenzen?

Nicht richtig realisiert werden konnte meines Erachtens, dass die Gruppen des SpielZugs sich „als Gruppe“ konstituierten und sich intensiver austauschten. So wurde etwa der Einwurf eines Teilnehmers, es werde von den „goldenen“ SpielleiterInnen „einseitige Agitation“ betrieben, nicht weiter diskutiert. Die Gruppen entwickelten nach meiner Beobachtung keinen Raum für diskursive Prozesse, dafür war auch nicht ausreichend Zeit eingeplant: Hinauf, hinauf zur nächsten Spielstation hieß es immer wieder.

Nach meinem Eindruck ging es aber keineswegs um „einseitige Agitation“, sondern um die Verunsicherung vermeintlich feststehender Wahrheiten. So etwa wenn die Notwendigkeit von „Spielregeln“ für eine Gesellschaft betont wurde, aber auch gleichzeitig die Frage aufgeworfen wurde, ob man Spielregeln nicht in bestimmten Fällen auch brechen dürfe oder gar müsse, wenn sich etwa die Umstände, unter denen sie entstanden sind, geändert hätten.

Ich hätte mir noch etwas mehr Bezugnahme auf das Hambacher Fest von 1832 gewünscht, denn es ist nicht davon auszugehen, dass alle Teilnehmer darüber gut informiert waren. Sogar im Mannheimer Morgen (vom 17.9.2018) wurde das Hambacher Fest als „Höhepunkt der bürgerlichen Revolution“ ziemlich ungetrübt von historischer Kenntnis gekennzeichnet. Das Hambacher Fest von 1832 war eine wichtige Etappe auf dem langen steinigen Weg Deutschlands und Europas zur Demokratie, mehr aber auch nicht, aber auch nicht weniger. In diesem Zusammenhang kann man die Auswahl des Abschlussliedes, die Ode an die Freude von Schiller und Beethoven, als nicht besonders geglückt in Frage stellen. Es hätte bestimmt andere Lieder gegeben, die mit dem Hambacher Fest und der demokratischen Volksbewegung mehr gemein gehabt hätten als die „Ode“, die ja weit vor 1832 entstanden ist.

Bei der Vorbereitung des SpielZugs gab es Vorschläge von Personen und Gruppen für Spielstationen, die von den Verantwortlichen nicht aufgegriffen und integriert wurden, ohne dass es dazu eine ausreichende Kommunikation und Begründung gegeben hätte. SpielStationen wie das Nägeleinschlagen wären ja durchaus entbehrlich gewesen und hätten Platz für thematisch passendere Mitmachaktionen machen können. Das ist schade, denn es nährt den Verdacht, dass das für das Festival großgeschriebene „MITMACHEN“ dann an seine Grenzen gestoßen sein könnte, wenn es mit dem Konzept der Initiatoren nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen war.

Alle Bilder Ulrich Riehm. Lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz .Creative Commons Lizenzvertrag