„Hoch! dreimal hoch das conförderierte republikanische Europa!“

Teil II des Interviews mit Prof. Wilhelm Kreutz zum Hambacher Fest von 1832

Das Hambacher Fest von 1832 war bis in die 1980er Jahre kaum im Bewusstsein der Bundesrepublik verankert, so die These von Wilhelm Kreutz, Professor am Historischen Institut der Universität Mannheim. Er ist ein ausgewiesener Kenner der demokratischen Bewegungen im Südwesten Deutschlands. Erst langsam wird die Bedeutung des Hambacher Festes für die Demokratiegeschichte Deutschlands klar. Aber was wissen wir wirklich über dieses Fest? In einem umfangreichen, vierteiligen Interview mit Wilhelm Kreutz soll dieser Frage nachgegangen werden, wohlwissend, dass die vielfältigen Aspekte dieses Festes oft nur angetippt werden können.

Im ersten Teil des Interviews ging Wilhelm Kreutz auf die Vorgeschichte des Hambacher Festes ein, die besondere politische Situation der Rhein-Pfalz, die nach dem Wiener Kongress an Bayern fiel, die wirtschaftlich schlechte Lage und die national-revolutionären Fanale insbesondere in Frankreich und Polen ab den 1830er Jahren. Behandelt wurde auch die in Linken Kreisen oft zu hörenden Vorbehalte, dass es in Hambach 1832 doch „nur“ um die Nationalfrage gegangen wäre. Im zweiten Teil des Interviews wird nun im Einzelnen auf das Fest eingegangen: Mobilisierung, Teilnehmer, Ablauf, Ziele und Ergebnisse.

Mobilisierung für das Fest

Freundeskreis Hambacher Fest: Wie muss man sich eigentlich die Mobilisierung zu diesem Fest vorstellen, an dem ja bis zu 30.000 Personen teilgenommen haben sollen? Gab es da einen „Aufruf“ von prominenten Personen oder waren es mehr die vorlaufenden politischen Ereignisse, wie die Verbote von demokratischen Zeitungen und Verhaftungen, die diese Mobilisierungswelle ausgelöst hatten?

Wilhelm Kreutz: Ursprünglich war ein Konstitutionsfest am 26. Mai 1832 in Erinnerung an die bayerische Verfassung, die am 26. Mai 1818 verkündet worden war, von einem Neustadter Geschäftsmann geplant. Als Ort für dieses Fest schien eine Burgruine geeignet. Das Biedermeier entdeckte ja die deutsche Ruinenlandschaft und auf den Burgruinen wurde gerne mit Kaffee, Kuchen und natürlich Pfälzer Wein gefeiert. Das „Hambacher Schloss“, damals noch Kästenburg genannt, gehörte acht Bürgern. Sie hatten die Ruine im Zuge der sog. Nationalgüterversteigerung in der napoleonischen Zeit gekauft. Das Fest war zunächst eher unpolitisch und gesellig gedacht.

Siebenpfeiffer, neben Wirth der zweite prominente Hambacher, hatte davon gehört und am 20. April seinen Aufruf „Der deutsche Mai“ veröffentlicht: Auf dem Hambacher Schlossberg sollte nicht das Vergangene, die bayerische Verfassung, sondern das zukünftige Deutschland gefeiert werden. Es ging ihm um die „Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt“. Unterstützt wurde dieser Aufruf vom Neustadter Preßverein um den Apotheker Schoopmann, der dann auch Abgeordneter in München wurde. Wirth veröffentlichte einen Tag später den „Aufruf an die Volksfreunde Deutschlands“. Der Festcharakter wurde so deutlich politischer.

Siebenpfeiffers Aufruf zum Fest (Quelle: Wikipedia)

Der Staatscommissär für die Pfalz hatte dann das Fest am 8. Mai zunächst verboten. Nach Protesten wurde dieses Verbot wieder aufgehoben. Die Aufforderung Bayerns an die Nachbarländer, niemanden in die Pfalz zu lassen, also die Grenzen zu schließen, konnten diese nach der Rücknahme des Verbots nicht mehr nachvollziehen und öffneten wieder ihre Grenzen. So war es dann möglich, dass aus Mannheim und Heidelberg und den anderen anliegenden Regionen auch größere Gruppen nach Hambach kommen konnten.

Es gab Teilnehmerkarten für ein Festmenü für das gehobene Bürgertum. Die normalen Teilnehmer hätten das nicht bezahlen können. Dass aber 20- bis 30-Tausend Leute kommen würden, das hatten die Organisatoren auch nicht vorausgesehen. Es ist schon bemerkenswert, dass eine Veranstaltung mit einer so großen Menge friedlich abgelaufen ist.

Wie ist diese große Zahl noch weiter zu erklären? War z.B. Siebenpfeiffer schon vorher und überregional als „Leitfigur“ bekannt? Oder waren es die aktuellen politischen Ereignisse, Zensur, Verbotsversuche, die dann weit über die Pfalz ausgestrahlt hatten?

Philipp Jakob Siebenpfeiffer (1789-1845) (Quelle: Wikipedia)

Siebenpfeiffer war sicherlich in der Pfalz bekannt. Er war Landrat oder Landcommissär, wie das damals hieß, in Homburg und hat die Zeitschrift „Rheinbayern“ herausgegeben, die dann verboten wurde. Die Obrigkeit hat seine Druckerpresse in Zweibrücken versiegelt. Man hat ihn dann versetzt. Er sollte Zuchthausdirektor in Kaisheim an der Donau werden. Das hat er abgelehnt und ist aus dem Staatsdienst ausgeschieden. Er ist nach Oggersheim gegangen und hat dort weiter gedruckt. Dann hat man ihm dort auch die Druckerpresse versiegelt, aber er hat die Siegel entfernt und weiter gedruckt. Die Aufhebung des Festverbots und die Aufhebung der Zensur der Zeitung Wirths ist in Tausenden von Flugblättern verbreitet worden. Auch in Mannheim gab es eine Zeitung, die das gedruckt hat. Und seine Mittelsmänner der liberalen Bewegung, Journalisten in Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim usw., haben diese Meldungen ebenfalls verbreitet. Man kann schon davon ausgehen, dass die Ereignisse im Vorfeld von Hambach eine weite Verbreitung fanden. Aus Norddeutschland und Österreich waren nur ganz wenige dabei. Es gab ja den Antrag aus dem Fest heraus, schon eine Gegenregierung, eine Art Schattenkabinett in Permanenz zu bilden, was dann aber von Friedrich Schüler und anderen abgelehnt wurden, weil die Teilnehmer nicht repräsentativ für den gesamten Deutschen Bund waren.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer

Woher kamen die Teilnehmer des Festes?

Die Teilnehmer kamen in erster Linie aus der Pfalz und dem südwestdeutschen Raum. Mannheim war vertreten. Dort war Franz Stromeyer der Redakteur, der dann auch den „Wächter am Rhein“ als Zeitung des Pressvereins herausgegeben hat.

Schwierig war es mit den Freiburgern Carl von Rotteck und Carl Theodor Welcker. Diese beiden zentralen Figuren des badischen Liberalismus sind nicht nach Hambach gekommen. Rotteck hatte wohl befürchtet, dass das Fest nur ein großes Spektakel werde, die Bewegung aber politisch nicht weiterbringen würde. Außerdem warnte er davor, dass für die Obrigkeit das Fest der Vorwand sein würde, um die Unterdrückung zu verschärfen, was sich dann auch bewahrheitet hat. Es wird teilweise aber auch vermutet, dass man Rotteck gedroht habe, wenn er nach Hambach ginge, würde er seines Postens an der Universität enthoben. Rotteck und Welcker hatten zu dieser Zeit die mehrfach verbotene liberale Zeitung „Der Freisinnige“ herausgegeben.

Gibt es ein „Manifest“, ein Dokument, dass die Ziele oder Intentionen der Teilnehmer des Hambacher Festes zusammenfasst?

Nein, ein Manifest des Hambacher Festes, in dem die Teilnehmer ihre Ziele formuliert hätten, gibt es nicht. Vor allem über den Weg zu Freiheit und Einheit gab es verschiedene Meinungen. Die Mehrheit war sicher auf dem reformerischen Spektrum angesiedelt. Sie wollten Reformen anstoßen, dazu die Parlamente und die Verfassungen nutzen und ausbauen. Es gab aber auch einen radikaleren Flügel, der durchaus bereit gewesen wäre, die Freiheitsziele mit Waffengewalt herbei zu führen.

Ein Jahr später, 1833, kam es ja zum Frankfurter Wachensturm. Das war eine Aktion der Burschenschaften. Manche dieser Burschenschafter waren auch in Hambach und hatten sich dort schon für ein revolutionäres Fanal eingesetzt. Die Vorstellung war, wir setzen ein revolutionäres Fanal und dann wird es in der Folge eine Volkserhebung geben. Der Frankfurter Wachensturm ist kläglich gescheitert. Ein solches Fanal sollte ja schon 1819 die Ermordung Kotzebues durch Karl Ludwig Sand in Mannheim sein, das im Übrigen zur Legitimierung der reaktionären Karlsbader Beschlüsse führte. Ausdruck dieses radikalen Flügels waren dann auch 1848 die Aufstandsversuche von Friedrich Hecker und Gustav Struve in Baden und die Reichsverfassungskampagne 1849.

Es gibt aus dieser Zeit den bekannten Rundgesang „Fürsten zum Land hinaus“, von dem man nicht genau weiß, von wem er ist. Dort heißt es etwa: „Fürsten zum Land hinaus, nun kommt der Völkerschmaus! Raus! Erst jagt den Kaiser Franz, dann den im Siegerkranz! …“ Das kann man zwar schon singen, aber vom Singen zur Tat ist es dann doch noch ein schwieriger Weg.

Mehr als ein Fest? Zu den Ergebnissen des Hambacher Festes

Es gab doch nach dem eigentlichen Fest am 28.5.1832 das Treffen im Neustadter Schießhaus, wo man politische Folgerungen aus dem überraschend großen Fest ziehen wollte. Wer war da versammelt und was kam da heraus?

Nach dem eigentlichen Festtag kamen maßgebliche Wortführer des Festes im Schießhaus in Neustadt zusammen. Einige wollten weitreichende Beschlüsse, wie etwa die Bildung einer provisorischen Regierung, durchsetzen, was aber scheiterte. Die Legitimität und Repräsentativität der Anwesenden, für die verschiedenen deutschen Regionen zu sprechen, wurde verschiedentlich bezweifelt. Die meisten Anwesenden hatten gesehen, dass man regional im Wesentlichen auf den südwestdeutschen Raum begrenzt war und nicht für alle Regionen des Deutschen Bunds sprechen konnte.

Beschlossen wurde, den Press- und Vaterlandsverein weiter zu führen. Dieser sollte drei Zeitungen herausgeben, nämlich Siebenpfeiffers „Wiedergeburt des Vaterlandes“, Wirths „Volkstribüne“ und Stromeyers „Wächter am Rhein“. Diese drei Zeitungen sollten die Ideen des Press- und Vaterlandsvereins und des Festes verbreiten. Das zweite war, dass man Wirth beauftragt hatte, die Festbeschreibung herauszugeben. Das waren zunächst nur publizistische Aktivitäten, kein politisches Programm, kein Manifest. Heinrich Heine hat sich ja dementsprechend kritisch geäußert: „…während den Tagen des Hambacher Festes hätte mit einiger Aussicht guten Erfolges die allgemeine Umwälzung in Deutschland versucht werden können. … und dennoch beurkundetet das Fest von Hambach einen großen Fortschritt …“.

Wie würden Sie die Ziele der „Hambacher“ von 1832 zusammenfassen oder würden sie der Auffassung zustimmen, dass man solche Ziele wegen der großen Heterogenität der Teilnehmer nicht benennen kann?

Die Ziele lassen sich schon benennen, aber man muss sich klar darüber sein, das die Teilnehmer sich nicht in allen Fragen einig waren. Das erste ist, ganz klar, die Verwirklichung der nationalen Einheit. Das zweite ist die Liberalisierung der Gesellschaft im Sinne der Französischen Revolution. Gesellschaftliche Beschränkungen sollten aufgehoben werden. Das dritte, was Siebenpfeiffer nur so kurz angedeutet hat und heute im Rückblick sicher etwas überbetont wird, ist die Gleichstellung der Frau. Und das, was für mich viertens besonders wichtig ist, und andere meinen, ich würde das zu sehr betonen, ist die europäische Solidarität. Damit meine ich nicht nur die Solidarität mit Polen und Frankreich, sondern ein vereintes Deutschland in einem Europa der Vaterländer. Damit verbunden ist natürlich eine Absage an den Chauvinismus, an den Glauben an die Überlegenheit der eigenen Nation. Es gab in Hambach zumindest einen starken Flügel, der nicht chauvinistisch gedacht hat, sondern der den anderen Völkern das gleiche Recht zugestanden hat und von Anfang an ein brüderliches oder schwesterliches Verhältnis zu den anderen Nationen Europas anstrebte.

Siebenpfeiffers Rede endete ja mit der Parole „Vaterland – Volkshoheit – Völkerbund hoch“ und Wirth ruft am Ende aus „Hoch! dreimal hoch das conförderierte republikanische Europa!“

Ja, das war 1832. Aber diese europäische Strömung im pfälzischen Liberalismus verliert sich dann leider später. 1871 ist man dann nationalliberal. Dabei ist der Generationenbruch zu berücksichtigen. Fast alle Hambacher und 1848er hatten die Pfalz verlassen oder sich politisch zurückgezogen. Der letzte bekannte Teilnehmer am Hambacher Fest war Georg Friedrich Kolb aus Speyer, der noch 1868 ins Zollvereinsparlament gewählt wurde. Er befürwortete die großdeutsche Lösung und die deutsch-französische Aussöhnung. Schließlich legte er sein Mandat nieder, weil er mit den aktuellen politischen Entwicklungen nichts mehr zu tun haben wollte. Die Pfälzer warfen 1870/71 und in den folgenden Jahren ihre Anhänglichkeit an Frankreich relativ schnell über Bord.

Vierteilige Interviewserie mit Wilhelm Kreutz zum Hambacher Fest 1832

Teil I erschien am 2. April 2019 und behandelte die Vorgeschichte des Hambacher Festes: Politische Unterdrückung, wirtschaftliche Armut und europäische Solidarität – Zur Vorgeschichte des Hambacher Festes

Teil III ist am 9.4.2014 erschienen und stellt einige der wichtigsten Akteure des Hambacher Festes vor: Akteure des Hambacher Festes – verfolgt, verurteilt, ins Exil getrieben

Teil IV, am 11.4.2019 veröffentlicht, wird die Bedeutung des Hambacher Festes für die Demokratiegeschichte Deutschlands und die Versuche rechtsnationalistischer Kräfte sich diese Geschichte anzueignen behandelt: „Für die Demokratiegeschichte Deutschlands ist nach 1832 und 1848/49 erst die Revolution von 1918 die nächste wichtige Etappe“

Das Interview führte für den Freundeskreis Hambacher Fest von 1832 Ulrich Riehm.

Zur Person

Wilhelm Kreutz ist in Beindersheim in der Pfalz geboren, hat am Carl-Bosch-Gymnasium in Ludwigshafen sein Abitur gemacht und dann an der Universität Mannheim Germanistik, Geschichte und Politische Wissenschaften studiert. Auf die Promotion 1982 zu einem Thema über Ulrich von Hutten folgte zehn Jahre später die Habilitation über „Revolution – Reform – Reaktion. Regierungspolitik und Parlamentarismus im nachmärzlichen Bayern”. Seit 2014 ist Kreutz außerplanmäßiger Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Mannheim, Vorsitzender der Hambach-Gesellschaft und stellvertretender Vorsitzender des Mannheimer Altertumsvereins von 1859.

Er hat für die Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz die umfangreiche und informative Broschüre „Hambach 1832 – Deutsches Freiheitsfest und Vorbote des europäischen Völkerfrühlings“ verfasst.

Wilhelm Kreutz: Hambach 1832. Deutsches Freiheitsfest und Vorbote des europäischen Völkerfrühlings, 4. Auflage. Mainz: 2016

Die Broschüre kann bei der Landeszentrale für politische Bildung in Mainz bestellt werden.