„Hass ohne Grenzen?“ oder: Ein Hummer-Leben?

Notizen (nicht nur) zum Demokratie-Forum des SWR am 18. September 2019 auf dem Hambacher Schloss

2018 wurde das Demokratie-Forum Hambacher Schloss nach einjähriger Pause mit neuem Konzept und einem neuem Moderator, Michel Friedman, neu gestartet. Am 18.9. dieses Jahres waren annähernd 300 Zuhörer und Zuhörerinnen gekommen, um zu erfahren, was der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz, die österreichische (interneterfahrene) Journalistin Ingrid Brodnig und der Konflikt- und Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer aus Bielefeld zum Thema „Hass ohne Grenzen? Wie demokratiefeindliche Parteien von einer Wutgesellschaft profitieren“ zu sagen hatten. Leider, um dies gleich vorneweg zu sagen, wurden keine Bezüge zu den Umtrieben von Max Otte und seinen rechten (AfD-)Freunden auf dem Hambacher Schloss hergestellt, die im gleichen Festsaal vor gut einem Jahr den dort Versammelten etwa nahe bringen wollten, dass das deutsche Bürgertum lernen müsse, die Revolution zu machen, und der Baum der Freiheit immer mal wieder im Blut von Patrioten und Tyrannen begossen werden müsse (siehe dazu Ottes Redner Markus Krall: Für einen Rollback muss das deutsche Bürgertum lernen, wie Revolution geht!)

Zwei grundlegende Gedanken des Abends will ich an den Anfang stellen:

Erstens sollten „wir“ Schluss machen mit der Rede von den „Rechtspopulisten“ rund um die AfD – die ja offensichtlich auch weit überwiegend keine klassischen „Protestwähler“ (mehr) sind -, weil diese Szene, so Wilhelm Heitmeyer, mit einer solchen Zuschreibung verharmlosend dargestellt werde:

Während in der ersten Phase (s)einer Studie zur „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ 2002 bereits rund 20 Prozent der Befragten Aussagen einer rechten Weltanschauung zustimmten, es für solchen Stimmungen aber (noch) keinen „politischen Ort“ gab, haben verschiedene Krisenmomente der letzten 15 Jahre, z.B. die Bankenkrise und nicht erst der starke Anstieg von Flüchtlingen nach Europa ab 2015, eine Radikalisierung von Haltungen befördert, die laut Heitmeyer nicht als Rechtspopulismus, sondern (etwas sperrig) als „autoritärer Nationalradikalismus“ zu charakterisieren sind. Dies ist gewissermaßen die Vorstufe des (gewaltnäheren) Rechtsextremismus, aber mit wachsender Nähe zu einer Hass-Stimmung jenseits von demokratischen Umgangsformen und Verantwortlichkeiten.

Heitmeyer verwies darauf, dass mit Pegida und ähnlichen Bewegungen den bis dato eher verborgenen Haltungen ein „Anerkennungszufluss“ zuteilwurde, der „kollektive Machtphantasien“ beflügelt hat und seither zunehmend in die Öffentlichkeit getragen wird.

Zweitens will ich auf ein Bild verweisen, das Ingrid Brodnig ins Gespräch brachte: Was wir gegenwärtig erleben, ist ein Einsickern von grenzwertigen und grenzverletzenden Sprachbildern und Sprachspielen („Umvolkung“, „Vogelschiss“) in unseren medialen und öffentlichen Alltag, die nur in Teilen der sozialen Medien offen hasserfüllt und verhetzend sind. Die Journalistin verwendete dazu das Bild einer „Gesellschaft der Hummer“: Wirft man die Tiere in kochendes Wasser, reagieren sie – natürlich – mit Todespanik (und vielleicht nachlassenden Geschmacksreizen?), legt man sie dagegen in kaltes Wasser, das langsam erwärmt wird, fühlen sie sich bis zu dem Zeitpunkt ganz wohl, an dem es zu heiß, also zu spät ist.

Am Beispiel: Götz Kubitscheks Strategie der „Selbstverharmlosung“

Was damit angesprochen ist, hat Götz Kubitschek, einer der Vor-Denker der Neuen Rechten, in einem Beitrag in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „Sezession“ Anfang 2017 sehr anschaulich beschrieben. Sein Titel: „Selbstverharmlosung“! Eine der Methoden, mit denen er rechtes Denken gesellschaftlich hoffähig machen will, bestehe darin, „in Grenzbereichen des gerade noch Sagbaren und Machbaren provozierend vorzustoßen und sprachliche oder organisatorische Brückenköpfe zu bilden, zu halten, zu erweitern und auf Dauer zum eigenen Hinterland zu machen. Das ist – ins Zivile übersetzt – nichts anderes als die Schaffung neuer Gewohnheiten. Die Sprache erweitert sich um neue Begriffe, das Argumentationsrepertoire um neue Verknüpfungen, die Wahrnehmung um neue Benennungsmöglichkeiten, und wir würden immer behaupten: Die Wand aus Milchglasbausteinen wird Stück für Stück ersetzt durch blank-polierte Scheiben, durch die man sieht, was draußen wirklich vor sich geht.“

Und er beschreibt auch das, was wir aus der AfD-Ecke ja gut kennen: Provozieren und zurückrudern – ja und die empörte Reaktion dazu nutzen, sich in der Opferrolle zu verschanzen!

Kubitschek: „Die zweite Methode verhält sich zur ersten korrigierend: Es gibt in der militärischen Lehre den Begriff der ‚Verzahnung‘. Es geht dabei um die Auflösung klarer Fronten zu dem Zweck, die feindliche Artillerie am Beschuss zu hindern: Wenn klar wird, dass der Gegner über die stärkere Feuerkraft verfügt, verzahnt man sich mit den Truppen des Gegners, stößt vor, erobert ein paar Stellungen und sorgt für ein unklares Lagebild. So weiß der Gegner nie, ob er nicht auch die eigenen Leute trifft, wenn er feuert; oder er weiß es ganz genau – dann wird er seine Geschosse vielleicht nicht abfeuern. (…) Verzahnen bedeutet auch: eine provozierende Sache nie ungeschützt zu unternehmen und nie alleine zu weit vorzustoßen, sondern stets darauf zu warten, dass diejenigen, die nicht weit entfernt sind, den Anschluss halten.“

Auf diese Weise, lässt sich ergänzen, verschieben „die Rechten“ sozusagen den „Nullpunkt“ des gesellschaftlichen Diskurses, bestreiten etwa „vernünftige Aussagen“, verunsichern damit das bislang „Normale“ und tragen auch auf diese Weise zur Destabilisierung der Demokratie bei.

Anerkennung und Identität

Zwei Begriffe waren an diesem Abend – von Michel Friedman übrigens zwar souverän, aber auch ziemlich egozentrisch moderiert und „aus heiterem Himmel“ beendet – prominent besetzt: „Anerkennung“ und „Identität“ (dazu aktuell auch: Fukuyama: „Identität“ – eine Übersicht über Rezensionen dieses Buches bei Perlentaucher ).

Heitmeyer brachte zwei Prinzipien einer demokratischen Kultur in die Debatte: die Anerkennung der Gleichwertigkeit der Menschen und Gruppen sowie die Garantie physischer und psychischer Unversehrtheit. Diese seien nicht zuletzt durch die wachsende Polarisierung in der Gesellschaft gefährdet. Immer stärker versichern, ja verschanzen sich Teilgruppen in ihrer eigenen Community, besonders wirkungsvoll verstärkt durch die sozialen Medien. Heitmeyer: „Homogene Gruppen sind gefährlich“, weil sie (medial) in ihrer Filterblase bleiben. So wird aus dem demokratischen Diskurs eine mehr und mehr feind-selige Konfrontation, die auf die Schädigung „der Anderen“ zielt und zwangsläufig autokratischen, autoritär verfassten Lösungsangeboten näher steht als jeder zivilgesellschaftlichen Offenheit.

Radikalisierte (und AfD-WählerInnen) sind weniger die hoffnungslos Armen, sondern vor allem eine Mittelschicht, die vom Gefühl getragen wird, die Kontrolle über die eigene Biographie zu verlieren (Brexit-Slogan: „Take back control“)! Die damit verbundenen (auch nur gefühlten) Anerkennungsverluste und -defizite sind schwer zu kompensieren, wenn die Betroffenen das Gefühl haben, nicht gehört und nicht wahrgenommen zu werden.

Rechte Politik ist daher auch in hohem Maße Identitätspolitik: „Holen wir uns unser Land zurück!“ Wenn die gesellschaftliche Anerkennung, die mir doch eigentlich mit meiner Leistung zusteht, ausbleibt, habe ich zumindest noch die Gewissheit, „deutsch“ zu sein. Das kann mir keiner nehmen – und lässt sich gut gegen alle da draußen wenden.

In der Konsequenz folgt aus all dem aus der Sicht der „Rechts-Bewegten“ die Bereitschaft, autoritären Gesellschaftsmodellen den Vorzug zu geben, versprechen sie doch die Rückkehr von Kontrolle und Überschaubarkeit. Das aber ist im gesellschaftlichen Diskurs mit Wut und Emotionen aufgeladen, die einerseits eine gefährliche Tendenz zur Gewaltakzeptanz enthält, andererseits aber auch die Gefahr der (politischen) Instrumentalisierung.

Wut nicht belohnen – Anerkennungskultur pflegen

Heitmeyers Appell gegen Ende zielte deshalb auch darauf, Wut und emotionale „Aufrüstung“ nicht zu „belohnen“ – mir fällt dazu die gebetsmühlenartige Forderung bzw. das Versprechen ein, „die Sorgen der Menschen doch ernst zu nehmen“, auch nach Pegida-Tumulten oder Flüchtlingshetze… Die Menschen „sorgen“ sich in Dresden doch weniger wegen dem einen Prozent Migranten in ihrer Umgebung als um einen drohenden Statusverlust. Zu unterscheiden wäre zwischen dumpfen Gefühlsergüssen und diskursfähigen Vorbehalten, auch wenn dies im Einzelfall nicht immer ganz leicht ist. Wenn es stimmt, dass die Wut u.a. die Kehrseite fehlender Anerkennung und „Sichtbarkeit“ ist, darf nicht das Ziel der Wut ernst-genommen werden, sondern die Arbeit an der Anerkennungskultur.

Wer Hass sät, darf nicht falsch verstandene Aufmerksamkeit „ernten“…

Und Heitmeyers zweiter Appell (der Politiker auf dem Podium blieb m. E. den ganzen Abend im Rahmen bekannter, wenngleich engagierter Statements, weshalb er hier nicht weiter berücksichtigt wird) zielte darauf, dass wir alle mitverantwortlich sind für den Erhalt und Ausbau einer Anerkennungskultur, die beispielsweise verhindert, dass (ehrenamtliche) Bürgermeister reihenweise der Beschimpfung und Bedrohung von rechts weichen – und die den Machtphantasien des rechten Fußvolks die demokratische Kultur der Zivilgesellschaft selbstbewusst entgegenstellt.

Rainer Steen

Der SWR hat die Veranstaltung mitgeschnitten und veröffentlicht (Video), eine leicht gekürzte Fassung in der ARD-Mediathek