Von Zensur – keine Spur

Oder was ist von der Aufregung nicht nur in rechten Kreisen über Trumps Rausschmiss bei Twitter zu halten?

von Ulrich Riehm (Freundeskreis Hambacher Fest von 1832)

Wahnsinn. Ein gewählter Präsident wird abgeschaltet. #Trump“ verkündet am 7.1.2021 Max Otte, der auch dieses Jahr gerne wieder sein schwarz-braunes Treffen auf dem Hambacher Schloss abhalten will.

Otte hält das Ganze sogar für einen „Putsch von Silicon Valley & Co.“ (Otte auf Twitter am 7.1.2021). Markus Krall, einer von Ottes Hauptrednern in Hambach, stößt ins gleiche Horn und mokiert sich über die „Herrschaft der sozialistischen Oligarchen“ und „Milliardäre aus Silicon Valley“, die entscheiden „was wir lesen dürfen“ (Twitter 12.1.2021).

Was war geschehen?

Am 6.1.2021 stand die Bestätigung des Wahlergebnisses der Präsidentenwahl im Kongress der Vereinigten Staaten an. Alle gerichtlichen Überprüfungen hatten ergeben, dass die Wahl ordnungsgemäß durchgeführt worden war. Fehler im Wahlablauf, die bei jeder Wahl vorkommen können, hätten keinen maßgeblichen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt, so die US-Gerichte. Trump-Anhänger wollten dies allerdings nicht akzeptieren und hatten zu einer Großdemonstration nach Washington D.C. aufgerufen. Der damals noch amtierende Präsident wandte sich mit der Botschaft, die er seit der Wahl im November 2020 immer und immer wieder verkündet hatte, am 6.1. an die Demonstrierenden:

Wir haben die Wahl gewonnen und wir werden diesen Diebstahl stoppen. Wir werden es nicht zulassen, dass sie eure Stimmen zum Schweigen bringen. Wir werden die Pennsylvania Avenue hinuntergehen und versuchen, unseren Republikanern den Stolz und die Stärke zu geben, die sie brauchen, um unser Land zurückzuerobern. „So let’s walk down Pennsylvania Avenue.“

Daraufhin kam es zum gewaltsamen Sturm auf das Capitol, in dessen Folge fünf Menschen starben. Angesichts dieser Entwicklung wurde der Twitter-Account von Trump zunächst für 12 Stunden, dann dauerhaft stillgelegt.

Twitter-Stammtisch

Ein Twitterer ist so etwas ähnliches wie ein Kneipenbesucher, der am Stammtisch seine Meinung kundtut. Der entscheidende Unterschied ist, dass die Reichweite eines Tweets vieltausendfach größer sein kann (nicht muss) als die Zahl der Freunde am Kneipentisch. Wenn ein Stammtischgast allerdings rumkrakeelt, wird der Wirt zunächst versuchen, ihn zur Raison zu bringen. Wenn der Gast die Situation weiter eskaliert, wird der Wirt ihn vor die Tür setzen und gegebenenfalls ein Hausverbot aussprechen. Der Wirt hat schließlich das Hausrecht in seiner Gastwirtschaft. Wenn der randalierende Gast nicht freiwillig geht, wird der Wirt die Polizei rufen.

Twitter hatte bereits im Vorfeld der Ereignisse vom 6.1. seinen prominenten „Gast“ und Dauer-Twitterer – Trump hatte mehr als 50.000 Tweets versendet – verwarnt und ihn schließlich, nach seinem Aufruf die Demonstrierenden mögen doch die Pennsylvania Avenue zum Capitol ziehen „um den Diebstahl zu stoppen“, rausgeschmissen. So weit, so unspektakulär.

Twitter bietet seinen Kunden den Kurznachrichtendienst kostenlos an, bedient sich aber der persönlichen Daten, die dabei entstehen, für kommerzielle Zwecke. Das ist das leicht durchschaubare Geschäftsmodell. Das sollte auch ein Crash-Ökonom wie Max Otte verstehen können. Im Kleingedruckten, das die Beziehung zwischen Wirt und Gast, zwischen Twitter und den Twitterern regelt, findet man die „Hausordnung“, das was erlaubt und was nicht erlaubt ist, z.B. die „Richtlinie zur Integrität staatsbürgerlicher Prozesse“. Aber es ist nicht nötig auf diese rechtlichen Einzelheiten hier einzugehen. Mir scheint es unstrittig, dass ein privater Onlinedienst das Recht hat, den „Vertrag“ mit einem Kunden auch wieder aufzulösen. (Wie ein Verein das Recht hat, Mitglieder nicht aufzunehmen, die nicht zu den Zielen des Vereins passen.)

Das sollte eigentlich zum kleinen Einmaleins der Hohenpriester des Privateigentums und des freien Unternehmertums, zu denen Max Otte zu zählen ist, gehören.

Im Übrigen, wer sich als Gast, Kunde oder Mitglied nicht angemessen behandelt fühlt, kann vor Gericht versuchen, die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit dieser Behandlung feststellen zu lassen. Ob Trump gegen Twitter geklagt hat oder noch klagen will, ist mir nicht bekannt. Max Otte hatte gegen seine Nichtaufnahme in den Verein Hambach-Gesellschaft geklagt. Das Amtsgericht hatte hatte bereits in zwei Fällen geurteilt, dass die Nichtaufnahme von Max Otte Freunden in die Hambach-Gesellschaft mit dem geltenden Recht in Einklang steht. Darauf hin hatte Otte im Oktober 2020 seine Klage gegen die Hambach Gesellschaft zurückgezogen.

Monopolbildung

Damit könnte man diese Debatte abschließen. So leicht ist es aber dann doch wieder nicht, denn im Gegensatz zu den Verhältnissen zwischen Gastwirt und Gast, haben wir es im Falle von Twitter mit dem Zugang zu einer weltumspannenden Öffentlichkeit zu tun, die durch ein monopolartiges Unternehmen gewährt oder nicht gewährt wird, und damit zusammenhängend mit Fragen der Meinungsbildung und Meinungsfreiheit.

Twitter dominiert den Markt der digitalen Kurznachrichtendienste. Twitter ist ein abgeschlossener Kosmos, ein „walled garden“. Es ist nicht möglich – und nicht gewollt – als Mitglied eines anderen Kurznachrichtendienstes sich mit einem Twitterer auszutauschen. Vor diesem Hintergrund wirkt ein sich selbst verstärkender Netzwerkeffekt: Jeder Nutzer und jede Nutzerin eines Kurznachrichtendienstes wollen bei dem Dienst sein, über den er oder sie möglichst viele andere erreichen können. Und es setzt sich der Anbieter durch, der zuerst auf dem Markt war, das größte Startkapital für die beste Marketingkampagne besaß oder (im Idealfall) die besten Features und die beste Performance bietet.

Vier Lösungswege

Wenn es also einerseits richtig ist, dass ein Anbieter eines Internetdienste die Regeln seiner Nutzung relativ selbständig bestimmen kann, und der Kunde sich daran halten oder sich einen anderen Anbieter suchen muss, entsteht andererseits ein Problem, wenn der Anbieter mehr oder weniger ein marktbeherrschendes Unternehmen ist. Die Lösung dieses „Monopolproblems“ ist sicher nicht trivial, aber es gibt gangbare Wege, die bereits mehr oder weniger verfolgt werden:

  1. Über das Wettbewerbsrecht kann bei marktbeherrschenden Unternehmen der Missbrauch ihrer Marktmacht unterbunden und Zusammenschlüsse von Unternehmen, durch die eine marktbeherrschende Stellung befürchtet wird, untersagt werden. In Deutschland ist dafür das Bundeskartellamt zuständig. In den USA gab es berühmte Antikartellverfahren wie z.B. gegen AT&T. AT&T war zeitweise die größte Telefongesellschaft und der größte Kabelfernsehbetreiber der Welt mit mehr als einer Million MitarbeiterInnen. Wegen dieser ungeheuren Markt- und Meinungsmacht wurde AT&T in den 1980er Jahren in einem langwierigen Verfahren entflochten und seiner monopolartigen Stellung beraubt.
  2. Das Medienrecht sichert u.a. die Meinungsvielfalt. In der Bundesrepublik liegt die Zuständigkeit für die Medien (insbes. Rundfunk, aber auch Internet) überwiegend bei den Bundesländern, die ihre Vorgaben in einem Medienstaatsvertrag festlegen, der 2020 neu in Kraft getreten ist. Darin werden u.a. den sog. „Medienintermediären“, etwa Twitter, bestimmte Transparenz- und Sorgfaltspflichten auferlegt.
  3. Das Grundgesetz gewährleistet in Artikel 5, dass jede und jeder das Recht hat, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. „Eine Zensur findet nicht statt.“ Dieses Grundrecht findet allerdings seine Grenze, z.B. bei Beleidigung, übler Nachrede oder Verleumdung. Auch die Leugnung des Holocaust ist in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern verboten. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität aus dem Jahr 2020 wurden die Betreiber „sozialer Medien“ verpflichtet, strafbare Inhalte an das Bundeskriminalamt zu melden. Die Grenzen der Meinungsfreiheit zu erkennen, ist nicht einfach und muss gegebenenfalls von Gerichten entschieden werden. Schwierig ist auch die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Unternehmen (etwa Twitter) auf der einen Seite und der Strafverfolgungsbehörden bzw. Gerichte auf der anderen Seite. Auch gibt es ein Problem der Umsetzung wegen der massenhaft auftretenden Hassbotschaften, Verleumdungen, Bedrohungen und Falschinformationen.
  4. Die offene Standardisierung von internetbasierten Kommunikationsplattformen, die den Austausch zwischen verschiedenen Anbietern ermöglicht, kann die Entstehung von Monopolen und deren Macht reduzieren helfen. Beispiele hierfür sind die E-Mail-Kommunikation und das Web. Jeder Internetnutzer kann per E-Mail jeden anderen E-Mail-Nutzer erreichen und jede Web-Site besuchen, egal welcher Provider, welches Betriebssystem, welche Software genutzt wird. Das Web und die E-Mail-Systeme beruhen auf offenen, für jeden nutzbaren, transparenten Standards, die es jedem halbwegs technisch Versierten sogar erlauben, einen eigenen E-Mail-Dienst oder Web-Server ins Internet zu stellen. In der Internet-Community gibt es Bestrebungen, Interoperabilität und offene Standards für die sog. „sozialen Medien“ herzustellen. Ob diese Bestrebungen bei den bereits extrem monopolisierten Strukturen erfolgreich sein werden, ist offen. Ein Versuch ist es allemal wert.

Es ist klar, die jetzige Situation ist unbefriedigend. Nicht, weil ein Dienstleistungsunternehmen seinen Kunden bestimmte Regeln vorgeben kann. Verstöße gegen diese Regeln können sanktioniert werden. Das halte ich für völlig normal – und der Kunde kann sich gerichtlich gegen die Sanktion wehren. Unbefriedigend ist die Situation, weil ein Unternehmen wie Twitter durch seine monopolartige Stellung eine Meinungsmacht besitzt, die für die Meinungsfreiheit in einer Demokratie gefährlich werden kann. Die Regulierung dieser Meinungsmacht ist, wie angedeutet, auf unterschiedlichen Wegen möglich, wenn es auch keinen Königsweg dafür gibt.

Die digitale Wochenzeitung KONTEXT, die in Ausschnitten samstags der gedruckten taz beiliegt, hat zum Thema zwei kontroverse Kommentare veröffentlicht, auf die zur weiteren Meinungsbildung hier verwiesen sei:
Anna Hunger und Minh Schredle: Geil, geiler, Zensur. Kontext 512, 20.1.2021
Hermann G. Abmayr: Für die Redefreiheit! Kontext 512, 20.1.2021

Informativ auch der Artikel in der c’t Heft 4, 2021, S. 12-13

Hendrik Wieduwilt: Putsch der Plattformen. Mit den Trump-Sperren beginnt ein postmodernes Internet

Dank an Mitglieder des Freundeskreises Hambacher Fest von 1832 für Rückmeldungen auf erste Entwürfe zu diesem Blog-Beitrag.