Einige notwendige Vorbemerkungen
Dass bei Kochaneks drittem Interview in Max Ottes Propaganda-Kanal auf Youtube sowohl alles geframt als auch das „Framen“ eines der häufigsten Worte ist, muss keine Empörung auslösen. Einigen wir uns darauf, dass niemand, auch nicht der Autor dieses Beitrags, davor gefeit ist, die Welt mit seinen Augen, seinen Gefühlen, seinem Vorwissen, seinen Einstellungen zu sehen. Der Vorwurf des Framen ist mittlerweile zu einer billigen Floskel verkommen.
Aber handelt es sich bei diesem Gespräch wirklich um ein journalistisches Interview? Ottes Gärtner, der das „Interview“ mit Kochanek zum dritten Mal führte, ist eher Stichwortgeber als kritischer Nachfrager, und am liebsten legt er Kochanek in seiner Frage (s)eine Meinung schon in den Mund. Insinuierendes Fragen nennt man so was. Oder Hofberichterstattung. Das gibt es im oft gescholtenen öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch schon mal, aber kein Journalist und keine Journalistin wird sich dort wirklich halten können, wenn dies zu seinem oder ihrem Markenzeichen wird wie bei Max Ottes „Journalist“ Gärtner.
Und räumen wir dieses Thema auch gleich vom Tisch: Kochanek beklagt im „Interview“, dass Joachim Görgen, Leiter der Abteilung multimediale Nachrichten des SWR, am 28.5. auf dem Schloss in die Limousine von Innenminister Lewentz, der auch Vorsitzender der Stiftung Hambacher Schloss ist, eingestiegen und mit diesem abgefahren sei. Ein Foto von diesem Einstieg in die „Staatskarosse“ hat Kochanek auch zur Hand. Ja, das hat ein Geschmäckle. Aber zu bedenken ist, dass beide zuvor gemeinsam auf einer Veranstaltung der Stiftung Hambacher Schloss aufgetreten sind und vielleicht das gleiche Ziel, Mainz, hatten. Was spricht gegen Fahrgemeinschaften?
Im Übrigen: Auf dieser Veranstaltung auf dem Schloss mit Lewentz, Görgen und anderen kam auch ein „Weißer“ zu Wort, der allerdings, nachdem er sein Statement verlesen hatte, an einer weiteren Diskussion nicht interessiert war und postwendend abzog.

Und noch eine letzte Vorbemerkung: Nicht nur Herr Kochanek verbreitet Fake-News, sondern auch die Polizei und zwar konkret am 28.5. am „Wendehammer“ direkt unterhalb des Hambacher Schlosses, wo sich die „Weißen“ versammelt hatten und auf das Schloss drängten. Die Behauptung der Polizei, das Schlossgelände sei überfüllt gewesen und deswegen dürfte niemand mehr auf dieses Gelände, war definitiv falsch. Da hat Kochanek einfach recht.
Lügen über das Demokratiefest am 28.5.2022
Mit Lügen ist es ja so eine Sache. Diese können wider besseren Wissens erfolgen oder leichtfertig, weil der Sprecher nicht oder falsch informiert ist. Auch die letzte Variante ist nicht schön. Aber Kochaneks Formulierungen sind glasklar. Da kann kein Zweifel aufkommen. Was behauptet also Kochanek über die Ereignisse am Samstag, 28.5.2022?
Zur Situation am Hambacher Schloss
- Kochanek: Jeder, der wollte, konnte zum Demokratiefest auf das Schloss kommen.
Es liegen etliche Aussagen vor, dass Leute, die am Programm des Demokratiefestes auf dem Schloss teilnehmen wollten, nicht auf das Schloss kamen. Entweder weil irgendwann der Shuttle-Bus eingestellt wurde, was möglicherweise mit der nicht angemeldeten Demonstration der Weißen vom Marktplatz zum Schloss zu tun hatte, oder weil nach Eintreffen der Weißen vor dem Schloss die Zugänge für längere Zeit gesperrt wurden. Leider hatte die zahlreich vertretene Polizei kein Interesse oder sah sich nicht in der Lage sowohl die Zufahrt für den Shuttle-Bus freizuhalten als auch oben am Schloss interessierten Besuchern den Zugang zum Programm des Demokratiefestes zu ermöglichen.
- Zum Schloss sei keiner gekommen, weil das Demokratiefest niemand interessiert habe. Niemand war da oben, das Schlossgelände war komplett leer.
Das relativ vielfältige, verschiedene Gruppen ansprechende Programm auf dem Schloss hat mehr als „niemand“ interessiert. Wie viele das waren, lässt sich aus verschiedenen Gründen nicht beziffern. Aber „Niemand“ und „komplett leer“ entspringt einem Kochanekschen Hirngespinst. Manche sind nicht hochgekommen, andere waren oben und konnten anfänglich auch am Programm teilnehmen. Daran gibt es keinerlei Zweifel.
- Keiner der Leute [von den Weißen] habe da oben gestört.
Es liegen einige Aussagen vor von Leuten, die oben auf dem Schloss waren, dass sie angepöbelt und mit Müll beschmissen wurden. Ein Vertreter der „Gedenkstätte für NS-Opfer in Neustadt“ wurde sogar antisemitisch beschimpft. Dieser Vorfall wurde auch bei der Polizei angezeigt.
- Es waren auch keine Rechtsradikale da [bei den Weißen]. Das war die absolute Mitte der Bevölkerung.
Dass die Kochanek-Anhänger zwar Weiß uniformiert, aber politisch nicht auf eine einheitlich „rechte“ Linie festzulegen sind, mag richtig sein. Nicht jeder Impfgegner ist auch Reichsbürger und nicht jeder AfD-Wähler ist auch ein Rechtsextremist.
Aber war da wirklich die „Mitte der Gesellschaft“ versammelt? Die „Freien Pfälzer“ haben in ihrem Telegram-Kanal eine Umfrage zum Wahlverhalten der „Weißen“ gemacht. Nimmt man dies als ein vorsichtiges Indiz für die politische Orientierung der Weißen, dann zeigt sich (Stand 10.6.2022), dass 40 % die AfD und 17 % die Partei Die Basis gewählt haben. 22 % bezeichnen sich als Nichtwähler. Die „etablierten“ Parteien laufen unter ferner liefen: CDU 0 %, SPD, FDP, Grüne, Linke jeweils 2 %. 4 % wählten den rechtsradikalen „Dritten Weg“, die NPD oder die MLPD – eine absurde Zusammenstellung. Wo ist da die „Mitte der Bevölkerung“?
Aber es gibt auch noch andere Indizien, dass sich auch „Rechtsradikale“ unter die Weißen gemischt haben. An ihren Fahnen sollt ihr sie erkennen. Was gab es da nicht alles: Die umgedrehte Deutschlandfahne Gold-Schwarz-Rot, ein untrügliches Zeichen für rechte Systemopposition. Außerdem die Schwarz-weiß-rote-Fahne des deutschen Kaiserreichs und die weiße Fahne mit schwarzem Adler des Königreich Preußens. Zurück zum autoritären, militaristischen, expansiven Kaiserreich? Ist das das Ziel ihrer Bewegung Herr Kochanek?
Zur Situation am Marktplatz
Die Situation auf dem Marktplatz zu beurteilen fällt noch leichter, weil der Autor dieses Blogbeitrags von ca. 9:30 bis etwa 17 Uhr, dann auch nochmals gegen 20 Uhr selbst auf dem Markplatz war.
Was meint Kochanek zur Situation auf dem Marktplatz in eitler Selbstüberschätzung behaupten zu müssen?
Der Marktplatz sei „komplett in Weiß“ gewesen bevor der Oberbürgermeister um 12 Uhr angefangen habe zu reden, und nach dem Abzug der Weißen sei der Marktplatz „faktisch leer“ gewesen, weil sich „niemand“ dafür interessiert habe.

Auch dies ist eine Falschbehauptung. Kurz vor 12 Uhr hatten sich im hinteren Teil des Marktplatzes (von der Bühne aus gesehen) einige Hundert Weiße versammelt, im vorderen Teil, stehend oder an Tischen und Bänken sitzend, hielten sich die „bunten“ Besucher des Demokratiefestes und des politisch-kulturellen Programms der Initiativgruppe #2022HAMBACH1832 „Gesicht zeigen – Demokratie leben“ auf. Ob zu dieser frühen Zeit die Weißen oder die Bunten die Mehrzahl hatten, wird sich nicht exakt feststellen lassen, aber „komplett weiß“ und danach „faktisch leer“ bleibt eine Kochanek-Lüge. Da es an diesem Nachmittag und Abend ein stetiges Kommen und Gehen gab und auch die Stände auf dem Juliusplatz einiges Publikum angezogen hatten, kann man gut und gerne vermuten, dass insgesamt einige Tausend Besucher das Marktplatzprogramm zeitweise besucht hatten.
Zum Kotzen
Am 17.4.2022 war auf dem Hambach-Blog zu lesen: „Man kann hier einen Menschen beobachten, wie er auf die „schiefe Bahn“ nach rechts gerät und bis zum 28.5., wenn er nicht aufpasst, ganz unten im rechtsextremen oder neurechten Sumpf landet.“ Diese Prognose hat sich bewahrheitet. Kochanek ist in der von ihm gewählten Blase versackt. Die Blase heißt „Wir leben in einer Diktatur“. Vor entsprechenden geschichtlichen Vergleichen scheut auch Kochanek im Juni 2022 nicht zurück.
Kochanek in Bezug auf die DDR: Die [heutigen] Zeiten sind schon wieder da, wo wir sie [mit der DDR] überwunden geglaubt hatten.
Doch es geht noch schlimmer:
Angeblich würden heute Einzelne [politische Gegner] herausgepickt. Das habe das Dritte Reich ja auch gemacht und diese exekutiert. Und auch Mao habe den Rat gegeben, erschieße einen, erziehe Hunderte!
Ja, die NS-Diktatur hat politische Gegner mit oder ohne Gerichtsurteil umgebracht. Und unter Mao sind in China ebenfalls Hundertausende, weil sie nicht „auf Linie waren“, zu Tode gekommen.
Ist das die Situation, Herr Kochanek, die wir in der Bundesrepublik vorfinden? Wie kommen Sie zu diesen unsäglichen Vergleichen, die ich nur zum Kotzen finden kann. Wollen Sie den Leuten Angst machen mit diesem Diktatur-Szenario und letztlich zum (bewaffneten) Widerstand aufrufen wie das andere mit ähnlichen Argumenten auch schon vorbereitet und versucht haben? Die „Massen“ stünden jetzt auf und folgten der neuen Marke „Hambach Weiß“, fabulieren Sie in völliger Verblendung und Selbstüberschätzung,
Entsorgen
Doch es geht noch schlimmer:
„Es wird sich jetzt richtig was ändern. Wir werden die, die nur Wertschöpfung konsumieren, wie diese ganzen Parteisoldaten und dieses ganze Zeug, was man nicht braucht, um eine Gesellschaft am Leben zu halten, die wird man demnächst entsorgen, zumindest große Teile davon, und wird das übrig behalten, was man essentiell braucht und das ist eben ein Bruchteil von dem.“
Da wird also von Herrn Dr. Wolfgang Kochanek, Unternehmer aus Neustadt, die „Entsorgung“ gefordert von „Parteisoldaten“, also Parteifunktionären, und von (fast) allen, „dieses ganze Zeug“, die die „Wertschöpfung konsumieren“. Damit sind in erster Linie die Staatsbediensteten und die WissenschaftlerInnen der „Laberfächer“ (Kochanek) gemeint.
Das hat man doch schon mal von einem anderen „Freund“ Max Ottes gehört, Markus Krall, der die Staatsquote wie im Kaiserreich auf 12 % drücken will, und eine „bürgerliche Revolution“ ausruft, nach der nur noch diejenigen wählen dürfen, „die den Laden hier zusammenhalten“ und keine staatliche Hilfen in Anspruch nehmen. Man wundert sich nicht, dass Kochanek neben Max Otte auch auf Markus Krall positiv Bezug nimmt.
Entsorgen kann man Abfall, Müll, Gegenstände, aber Menschen? Das ist die Sprache des Faschismus.
Ulrich Riehm, Freundeskreis Hambacher Fest von 1832
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