Das Erbe des Hambacher Festes von 1832 war schon immer umkämpft. So war das „Dank- und Erinnerungsfest“ 1872 – ein Jahr nach dem Deutsch-Französischen Krieg und der Gründung des Deutschen Reichs – durchtränkt von nationalistischem Pathos und Franzosenhass. Georg Friedrich Kolb, aus Speyer stammender Teilnehmer am Hambacher Fest von 1832, geißelte das Fest von 1872 als „ekelhafte Karikatur“ und „Affenkomödie“, die nachträglich das Fest der Freiheit und Völkerverbrüderung von 1832 entweihe.
Auch in den letzten Jahren versuchte die AfD-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag, Max Ottes sog. neues Hambacher Fest und der Sturm der „Weißen“ im Mai dieses Jahres das Hambacher Fest und das Hambacher Schloss für ihre rechts-nationalistischen und rechtsextremistischen Zwecke zu missbrauchen. Im folgenden Text von Otto König, den wir mit seiner freundlichen Genehmigung aus seinem Buch „Band der Solidarität“ (Hamburg: VSA 2021) veröffentlichen, geht es in das Jahr 1970 zurück, als die „Deutschland Stiftung“ auf dem Hambacher Schloss ihre „Adenauer Preise“ verlieh. Damals wie heute blieb dieser Missbrauch des Hambacher Schloss nicht unwidersprochen und führte zu Protesten und Demonstrationen. (UR)
Das „Hambacher Fest“ und die Provokation der „Deutschland-Stiftung“
30.000 freiheitsliebende Bürger zogen 1832 mit schwarz-rot-goldenen Fahnen vom Marktplatz in Neustadt an der Haardt zum Hambacher Schloss, zwischen den Weinstöcken und Kastanien. Sie kamen aus der ganzen Pfalz, aus Baden, Bayern, Hessen und dem Elsass. Auf der machtvollen Kundgebung am 27. Mai artikulierten die Bürgerinnen und Bürger ihre Forderung nach Freiheit. Allen Reden gemeinsam war der Zorn über das Elend des Volkes und den Druck der Fürsten. So erklärte Dr. Phillip Jakob Siebenpfeiffer das Hambacher Fest gelte nicht dem Errungenen, „sondern dem mannhaften Kampf für die Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt, für die Erstrebung gesetzlicher Freiheit und deutscher Nationalwürde.“ Die Manifestation der vor dem Hambacher Schloss Versammelten gipfelte in der Forderung, die 34 Fürstenfamilien, die Demokratie und Fortschritt verhinderten, aus dem Lande zu jagen. Das Hambacher Fest sollte der Geburtsort der deutschen Nationaleinheit und der Freiheit werden. Die Forderungen nach Freiheit, das Abschütteln der absolutistischen Fesseln, nach Gewissens- und Pressefreiheit, nach einer Volksvertretung waren die Vorboten für die bürgerliche Revolution im März 1848.

Ausgerechnet diesen Traditionsort der demokratischen Bewegung hatte die „Deutschland-Stiftung“, ein rechtskonservativer Verein gegen die „sittliche und politische Anarchie“ ausgewählt, um am 23. Mai 1970 zum vierten Mal den mit 10.000 DM dotierten „Konrad-Adenauer Preis“ für Wissenschaft, Literatur und Publizistik zu vergeben. Die Mitglieder der „Bürgerinitiative gegen Neofaschismus“ in Neustadt sahen in den Parolen und Veröffentlichungen dieser erzreaktionären Organisation eine Wiederbelebung nationalistischen und neonazistischen Gedankengutes. Wir beschlossen, eine Aufklärungskampagne über diesen Verein zu starten. Ein Autorenkollektiv – Niki Müller, Otto König, Kurt Wolff, Ulrike Denig und Willi Ciriaci – erstellte die Dokumentation „Deutschlandstiftung – Analyse und Betrachtung einer alarmierenden Entwicklung“. Nur wenige Tage nachdem die in der Mitgliederversammlung der Bürgerinitiative beschlossene Dokumentation am 1. Mai der Öffentlichkeit übergeben wurde, erließ auf Antrag der Deutschland-Stiftung die 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) ohne mündliche Verhandlung eine „einstweilige Verfügung“ gegen das Autorenkollektiv, in der uns u.a. untersagt wurde zu behaupten „die Antragstellerin sei neofaschistisch bzw. faschistoid“.
Am Tag der Gegenkundgebung war die Auflage der Dokumentation verkauft. Doch die Deutschland-Stiftung, deren Generalsekretär Kurt Ziesel mir in einem Brief vom 6. Juni 1970 weitere gerichtliche Schritte androhte, „falls wir uns in Zukunft mit seiner Organisation öffentlich auseinander setzen“ sollten, erwirkte gegen Niki Müller und mich ein Verfahren wegen „Verstoß gegen die einstweilige Verfügung“. Mir wurde die Verwendung des Zitates aus dem Aufruf zur Gegenkundgebung am 23. Mai, „die Geisteshaltung der Leute von der ‚Deutschland-Stiftung‘ lenkt den Blick wieder einmal auf die zahlreichen mehr oder minder Tarnorganisationen des Faschismus“ aus der „Fränkischen Tagespost“ (4.3.1967) zur Last gelegt. Niki wurde verurteilt, weil er in einem Flugblatt formulierte, „die Herren Minister, Bürgermeister, Offiziere usw. gehen nicht auf den beweisbaren Vorwurf der Formierung des Faschismus ein, die sie verkörpern“. Mit juristischen Repressionen sollten wir mundtot gemacht werden. Sie schafften es nicht. Wir blieben standhaft. Über den Rechtshilfefond des Bürgerkomitees, den Christa König-Wenz verantwortete, wurden Spenden zur Finanzierung der Gerichtsverfahren und Anwaltskosten eingesammelt. Dazu diente auch die Abgabe der Dokumentation „In Sachen Deutschland-Stiftung“ gegen eine Spende.
Mehr als fünfhundert junge Menschen zogen 138 Jahre nach dem „Hambacher Fest“ vom Bahnhof in Neustadt an der Weinstraße durch die Kastanienwälder hinauf zur „Kästenburg“, wie wir das Schloss nannten, um gegen die „provokatorische Verunglimpfung des Hambacher Schlosses“ zu protestieren. Zehn Jugendverbände, darunter die Allgemeinen Studentenausschüsse Landau und Mainz, hatten zur Gegenkundgebung aufgerufen. „Zwischen den hohen Mauern aus grauen Quadern hockten die Gäste auf harten Holzstühlen und redeten sich Mut zu; der Domprobst zu Speyer, Gerichtspräsidenten, Offiziere, Mitglieder der Landesparlamente und des Bundestags (…) Die Sehnsucht nach Disziplin und Ordnung, die Empörung über das ‚Parasitentum der Hippies und Gammler‘ bewegte die Gäste. Sie beschworen die ‚Inflation der Demokratie‘, sie zeigten sich erschüttert über die ‚Erhöhung der Grundrechte“, schilderte der Journalist Sepp Binder in „Die Zeit“ (29.5.1970) den Ablauf der Festveranstaltung, zu der sich die „christlichen und staatserhaltenden Kräfte“ versammelt hatten. Dass die Deutschland-Stiftung das Wohlwollen führender Leute des Staats, der Kirche und der Industrie genoss, dokumentierten die Grußbotschaften u.a. von Karl-Georg Kiesinger, Bundeskanzler a.D., Franz- Josef Strauß, Bundesminister a.D., von Bischöfen und dem ehemaligen Präsidenten der Arbeitgeberverbände Siegfried Balke. „Ihre Anwesenheit ehrt diese Stadt“, sagte der CDU-Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Brix von Neustadt hinter den verschlossenen Türen.
Wir draußen unter freiem Himmel sahen dies anders: Für uns war es „eine Ansammlung alter Nazis, ein Wiederaufleben jenes Bündnisses aus Staat, Klerus und Heer, die den Nationalsozialisten den Weg bereitet haben“. Dr. Reinhard Kühnl (Marburg) charakterisierte vor den Kundgebungsteilnehmern die Deutschland-Stiftung treffend als eine Art „Harzburger Front“, als ein Bindeglied zwischen der sich vulgär gebärdeten Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und den vornehmen bürgerlichen Schichten. Dr. Robert Steigerwald (Frankfurt) appellierte an alle antifaschistischen und demokratischen Kräfte zusammen zu stehen in der „Abwehr des sich neu formierenden Faschismus“.
Als die Preisfeier zu Ende war, scheute ein Teil der „strammen Deutschen“ den Weg zurück zum Parkplatz, sie schlichen durch das Unterholz talabwärts. Andere liefen durch unser Spalier zu ihrem Bus, der trotz riesigem Polizeiaufgebot plötzlich einen Plattfuß hatte. Die Festgäste stiegen in einen Polizeibus um. Da sich die Demonstranten zeitgleich zu Fuß auf den Rückweg machten, mussten der Bus und die PKWs mit den Festgästen den Demonstranten im Schritttempo auf der engen asphaltierten Straße durch den Wald bis Hambach folgen, was eine konzertierte Anzeigenaktion von Deutschland-Stiftung und Polizei gegen die Rädelsführer des „Organisationskomitees 23. Mai“ Otto König (IG Metall-Jugend), Karlheinz Reif (Jungsozialisten) und Thilo Hilpert (SADAJ) wegen Beleidigung (§ 185 StGB), Sachbeschädigung (§ 303 StGB), Nötigung (§ 240 StGB) und Anstiftung zum Landfriedensbruch (§ 125 StGB) zur Folge hatte. Die Verfahren wurden später alle eingestellt.
Mit freundlicher Genehmigung entnommen aus: Otto König: „Band der Solidarität“ – Widerstand, alternative Konzepte, Perspektiven. Hamburg: VSA-Verlag 2012
Otto König, geb. 1945, absolvierte bei Standard Elektrik Lorenz (SEL) in Mannheim seine Ausbildung als Fernmeldemonteur. 1970 wurde er Betriebsratsvorsitzender bei Telefonbau u. Normalzeit in Neustadt an der Weinstraße. Ab 1971 arbeitete in Sprockhövel hauptamtlich im IG Metall Bildungszentrum. 1980 bis 2010 war König Erster Bevollmächtigter der IG Metall Hattingen. Er war Mitglied im Beirat der IG Metall, ehrenamtliches Mitglied im Vorstand der IG-Metall und Mitglied im DGB-Bundesausschuss. König ist heute als Publizist tätig und Mitherausgeber der Monatszeitschrift Sozialismus (nach Wikipedia, abgerufen: 3. Oktober 2022, 09:01 UTC).
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