Max Ottes rechtsgerichtete Sammlungsbewegung zwischen CDU-Werte-Union und AfD auf dem Hambacher Schloss

Im Folgenden dokumentieren wir den Beitrag von Ulrich Riehm auf der Veranstaltung des Freundeskreises Hambacher Fest von 1832, der mit Unterstützung der IG Metall Mannheim am 11.12.2019 im Vortragssaal der IG Metall stattfand. Ein Bericht zu dieser Veranstaltung von Bernd Köhler findet man hier, die Einladung hier.

Liebe Freundinnen und Freunde des historischen Hambacher Festes von 1832!

Lassen Sie mich damit beginnen, wie ich zu diesem Thema „Max Otte und das sogenannte neue Hambacher Fest“ gekommen bin.

Im April 2018 erzählte ein Freund aus Neustadt von einem für Mai geplanten und anmaßend „neues Hambacher Fest“ genannten Ereignis auf dem Hambacher Schloss. Initiator und Organisator wäre ein gewisser Max Otte. Eingeladen als Redner würden u.a. Thilo Sarrazin und Jörg Meuthen. Wir saßen mit einigen Freundinnen und Freunden zusammen und waren verwundert und irritiert. Drei Fragen drängten sich auf:

  1. Wie kommt Max Otte, CDU-Mitglied und bekennender AfD-Wähler, dazu, auf dem Hambacher Schloss in der Tradition des Hambacher Festes von 1832 ein „neues Hambacher Fest“ zu veranstalten?
  2. Warum hat man davon in der regionalen Presse noch nichts gehört?
  3. Wie war das nochmals mit dem Hambacher Fest von 1832? Um was ging es da genau und was ist davon zu halten? Wir waren uns da nicht ganz einig.

Neues Hambacher Fest – eine Anti-Merkel-Rechtskoalition

Was die erste Frage betrifft, die nach den Motiven eines Max Ottes für ein sog. neues Hambacher Fest, hatten wir den Verdacht, dass Otte eine Anti-Merkel-Rechtskoalition aus CDU-Werteunion und AfD schmieden, und sich dabei mit dem guten Namen des historischen Hambacher Festes schmücken will.

Freundeskreis Hambacher Fest 1832 und Blog

Auf die zweite Frage und Verwunderung, dass die regionale Presse damals zur geplanten Otte-Veranstaltung nichts berichtet hatte, zogen wir den praktischen Schluss, selbst einen Blog zu etablieren, um als „Freundeskreis Hambacher Fest von 1832“ über Max Ottes Hambach-Aktivitäten zu berichten und aufzuklären. (Der Mannheimer Morgen und auch die Rheinpfalz hatte dann doch vor der 2018er Veranstaltung relativ ausführlich über Ottes Schloss-Versammlung berichtet.)

Der Zug zum Hambacher Schloss am 27. Mai 1832. Kolorierte Federlithographie, um 1832. Quelle: Scan aus dem Buch: Christoph Friedrich, Bertold Frhr. von Haller und Andreas Jakob: Erlanger Stadtlexikon. W. Tümmels Verlag. Nürnberg 2002. ISBN 3-921590-89-2; Wikipedia 8.1.2020

Hambacher Fest von 1832

Auf das historische Hambacher Fest, seine Entstehungsbedingungen, seine Teilnehmer, seine Inhalte und seine Wirkungen, kann ich nicht ausführlich eingehen. Deshalb hier nur eine Kurzfassung:

„Am 27. Mai 1832 versammelten sich in Hambach (bei Neustadt/W.) unter schwarz-rot-goldenen Fahnen an die 30.000 Menschen aus ganz unterschiedlichen Schichten – Winzer, Bauern, Handwerker, Burschenschafter, Kleinbürger, Intellektuelle. Sie demonstrierten für Presse- und Versammlungsfreiheit, Geschworenengerichte, Gleichheit vor dem Gesetz, soziale Gerechtigkeit, das Recht auf Bildung, freie Religionsausübung und die Überwindung der Kleinstaaterei in einem freien und einigen Deutschland. Das Flugblatt zum ‚Hambacher Fest‘ wandte sich auch ausdrücklich an ‚Deutsche Frauen und Jungfrauen, deren politische Missachtung in der europäischen Ordnung ein bedauerlicher und unbedingt zu korrigierender Fehler‘ sei.

Die Männer und Frauen kamen aus der Pfalz und den umliegenden Fürstentümern des damaligen Deutschen Bundes, aber auch aus anderen europäischen Staaten. Insbesondere Franzosen und die 1830 gegen das zaristische Russland aufbegehrenden Polen stellten eine bedeutende Delegation.

Nach der Niederschlagung der polnischen Volkserhebung im Oktober 1831 durch die russische Armee zogen tausende polnische Flüchtlinge durch die Staaten des Deutschen Bundes ins zugesicherte französische Exil – und erlebten eine ungeahnte Solidarität und Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung – die sogenannte „Polen-Begeisterung“. [Man kann diesbezüglich durchaus Vergleiche mit 2015 und der großen Solidarität in der deutschen Bevölkerung mit den ins Land kommenden Flüchtlingen ziehen.] So ist es kein Wunder, dass beim Hambacher Fest neben der französischen auch die polnische Fahne zu sehen war und viele Reden und Lieder die Solidarität mit den polnischen Freiheitskämpfern priesen. … Hambach 1832 war auf dem langen Weg zur Demokratie eine entscheidende Etappe; ein zu wahrendes und zu schützendes Vermächtnis!“

JOANA singt Lieder aus der Zeit der Deutschen Revolution 1848/49
CD mit Liedtexten und Erläuterungen zum historischen Kontext, November 2019

Dieser Text über das historische Hambacher Fest stammt aus dem ausführlichen Booklet der gerade erschienen CD von Joana, bekannte Sängerin aus der Rhein-Neckar-Region und Mannheimer Bloomaul. Die CD enthält Lieder aus dem Vormärz und der Revolutionszeit 1848/49. Sie eignet sich durchaus auch als Weihnachtsgeschenk für die lieben FreundInnen und Verwandten.

Wer mehr über das Hambacher Fest von 1832 erfahren will, kann dazu u.a. auf ein mehrteiliges, ausführliches Interview mit Wilhelm Kreutz, dem Vorsitzenden der Hambach Gesellschaft, zurückgreifen, das wir auf unserem Blog veröffentlicht haben.

So ist mir und uns, dem Freundeskreis Hambacher Fest von 1832, dieses Thema zugewachsen. Max Otte hat nicht nur 2018, sondern auch 2019 seine Veranstaltung in Hambach und Neustadt abgehalten und hat angekündigt, dass er dies auch in den nächsten Jahren vorhaben wird.

In diesen jetzt gut eineinhalb Jahren der Beschäftigung mit Max Otte und seinen Kumpanen habe ich eine Menge gelernt. Auch darüber, dass politische Kritik, die ich eigentlich immer auf der linken Seite eingeordnet habe, auch von Rechts kommen kann. Das ist durchaus irritierend. Diese Verwirrung werde ich auch am Ende meines Vortrags nicht völlig auflösen und ihnen nicht ersparen können.

Ich beschränke mich im Folgenden im Wesentlichen auf die Hauptpersonen: Max Otte, den Organisator, und Markus Krall, einen seiner Redner. Max Otte gibt dabei den Biedermann, Markus Krall den Brandstifter.

Max Otte

Max Otte am 8.6.2019 vor dem Saalbau in Neustadt an der Weinstraße

Max Otte ist 55 Jahre, hat die deutsche und die amerikanische Staatsbürgerschaft. Die Werteunion, deren Mitglied Max Otte ist, fordert übrigens in ihrem konservativen Manifest von 2018 die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Otte ist studierter Ökonom. Seine Herkunftsfamilie mütterlicherseits stammt aus der Pfalz.

Wissenschaftler und Professor

An der Wormser Fachhochschule war er ab 2001 Professor für allgemeine und internationale Betriebswirtschaftslehre und schied dort auf eigenen Wunsch Ende 2018 aus dem Beamtenverhältnis aus.

Finanzberater, Unternehmer

Parallel zu seiner Professorentätigkeit gründete er 2003 in Köln das Institut für Vermögensentwicklung (IFVE), das Finanz- und Vermögensberatung für Privatpersonen anbietet und einen wöchentlichen Börsenbrief mit dem Titel „Der Privatinvestor“ herausgibt. Dieses Unternehmen ist auch Organisator der Hambach-Veranstaltungen Ottes 2018 und 2019. In der Schweiz hat Otte außerdem die Privatinvestor Verwaltungs AG gegründet und in Liechtenstein vor wenigen Jahren einen „fokussierten Hedgefonds“ für professionelle Investoren gestartet, der auch seinen Namen trägt: Max Otte Multiple Opportunities Fund.

Crashprophet

2006 ist im Econ Verlag mit einigem Erfolg Ottes Buch „Der Crash kommt. Die neue Weltwirtschaftskrise und wie Sie sich darauf vorbereiten“ erschienen. Dieses Buch ist eine Mischung aus wirtschaftspolitischer Analyse, durchaus interessant zu lesen, und Vermögensratgeber.

Ottes öffentlicher Ruhm als Crashprophet geht auf dieses Buch zurück. Er gilt seitdem als einer der wenigen oder gar als der Einzige, der angeblich den weltweiten Finanzcrash 2008 vorausgesagt hätte. In der Folge dieser Buchveröffentlichung wurde er in viele Talkshows des deutschen Fernsehens eingeladen.

Was er in diesem Buch über die Verschiebungen wirtschaftlicher Zentren in der Weltwirtschaft (Europas Bedeutung schrumpft, Asien steigt zur Wirtschaftsgroßmacht auf), über die Geldmengenexplosion und die Überschuldung der Staaten und die damit zusammenhängende „Blasenbildung“, über hochriskante Finanzinstrumente, die Dollarschwemme und das Versagen der Notenbanken, die spezifische deflationäre Entwicklung in Japan und die Eurokrise schreibt, hat man alles irgendwie schon mal gehört oder gelesen. Dass er sich dabei gerne ins Umfeld amerikanischer Nobelpreisträger stellt, soll seinem Berühmtheitsstatus unterstreichen. Das ist manchmal mehr als peinlich.

Wenn man das Buch liest, wird schnell klar, dass er nicht der Einzige ist, der die globale Finanz- und Wirtschaftskrise kommen sah. Da sind einige mit der gleichen Botschaft unterwegs. Krisenprophetie ist ja ein einträgliches Geschäft. Allein in den letzten 20 Jahren sind gut 40 Wirtschaftsbücher erschienen, in deren Titel der Begriff „Crash“ enthalten ist.

Auch ganz aktuell hat Otte ein neues Crash-Buch publiziert mit dem kaum mehr steigerungsfähigen Titel: „Der Weltsystemcrash. Krisen, Unruhen und die Geburt einer neuen Weltordnung“. Mit diesem Buch ist Otte in dieser Woche auf Platz 9 der Spiegel-Sachbuch-Bestsellerliste gelandet. Auf Platz 1 steht aktuell ein weiteres Crash-Buch: „Der größte Crash aller Zeiten“ von Marc Friedrich und Matthias Weik, die auf Lesereise die Säle füllen.

Zurück zu Ottes Buch aus dem Jahr 2006. Wer als Krisenprophet unterwegs ist, kommt offensichtlich nicht darum herum, die Katastrophe in besonders schrillen Farben auszumalen. So behauptet er (S. 12, 206, 212):

  • zwangsläufige Lohn- und Gehaltssteigerungen gehörten der Vergangenheit an,
  • die Inflation werde auf zweistellige Raten ansteigen,
  • US-Dollar erhalte man nur mittels staatlicher Zuteilung,
  • der Liter Normalbenzin werde drei, vier oder fünf Euro kosten.
  • „Sie müssen damit rechnen, dass sie vom Staat oder ihrer Betriebsrente nur noch das absolute Minimum erhalten und alles andere aus eigener Tasche bestreiten müssen“.

In wie weit diese „Prognosen“ nach gut 13 Jahren eingetreten sind, kann jeder selbst überprüfen.

Otte ist kein neoliberaler Ökonom, wie man vielleicht vermuten könnte. Die Grundlage seiner Analysen, schreibt er in seinem 2006er Crash-Buch, „bildet die politische Ökonomie, wie sie von Friedrich List, Karl Marx, John Maynard Keynes, John Kenneth Galbraith, Charles Kindleberger und Robert Gilpin begründet und weiterentwickelt wurde“ (S. 24).

Für ihn ist die von klassischen Ökonomen beschworene Rationalität des Marktes nicht mehr als „ein großer moderner Mythos“.

Wandervogel und Laienprediger

Max Otte mit Klampfe

Seinem Lebenslauf, den er gerne ausführlich ausbreitet, kann man des Weiteren entnehmen, dass er sich als evangelischer Laienprediger engagiert, und dass das Wohlergehen und die Erziehung seiner drei Kinder den höchsten Stellenwert haben.

Dazu passt, dass er gerne mit Klampfe, einem Lied auf den Lippen und der Schwarz-Rot-Goldenen-Fahne seine Kunden und Anhänger auf die Wanderschaft führt. So veranstaltete er 2016, 2017 und 2018 mehrtägige sog. „Spaziergänge nach Berlin“. Bei seinem sog. neuen Hambacher Fest steht auch immer ein Marsch auf das Schloss auf der Tagesordnung. Sein Hambach-Treffen 2019 endete mit einem „Liederabend“.

Politik: CDU-Werte-Union-AfD-Mischling

Max Otte mit Fahne

Es ist eigentlich bizarr: Otte ist langjähriges Mitglied der CDU (seit 1991), wie sein Vater auch. Er ist des Weiteren Mitglied der Werteunion, keine Gliederung der CDU, aber ein sich auf die CDU beziehender eingetragener Verein. Die Werteunion versteht sich als „konservative Basisbewegung der CDU/CSU“ und wurde 2017 in Schwetzingen gegründet. Politisch, um es ganz kurz zu charakterisieren, bekämpft sie massiv den sog. Merkel-Kurs der CDU.

Otte ist außerdem bekennender AfD-Wähler bei der Bundestagswahl 2017. Warum ein bekennender, prominenter AfD-Wähler immer noch in der CDU Mitglied ist und diese ihn nicht schon wegen parteischädigendem Verhalten ausgeschlossen hat, ist schwer zu verstehen. Der ehemalige Herausgeber der FAZ und konservativer Publizist Hugo Müller-Vogg und aus der 1968er Zeit als rechter Studentenführer an der Mannheimer Universität bekannt, forderte bereits 2017, dass die CDU Max Otte „aus Selbstachtung“ ausschließen solle.

Otte findet diesen Status aber ganz nett. Gefragt, warum er denn noch in der CDU Mitglied sei, antwortete er: „Solange man mich nicht rauswirft, ist es ja ganz schön da“ (so 2015 in der ZDF-Sendung „Pelzig hält sich“).

Otte ist aber nicht nur AfD-Wähler, sondern kungelt auch gerne mit AfD-Politikern. 2018 hatte er deren Vorsitzenden Meuthen auf das Hambacher Schloss eingeladen. AfD-Parlamentarier werden von ihm bei seinen Hambach-Treffen immer besonders herzlich begrüßt.

Darüber hinaus hat er eine offizielle Funktion im AfD-Organisationskomplex inne. Er ist der Vorsitzende des Kuratoriums der Desiderius Erasmus Stiftung, die Parteistiftung der AfD, wie etwa die Friedrich-Ebert- oder die Konrad-Adenauer-Stiftung für SPD oder CDU. Auch einige seiner Redner sind Mitglied des Kuratoriums der „AfD-Stiftung“.

Tweet von Müller-Vogg am 11.12.2018 und Ottes Antwort

Der schon erwähnte Müller-Vogg twitterte dazu: „Kann man wirklich christlich-demokratische Grundwerte Seit‘ an Seit‘ mit Rechtsradikalen und Völkischen von der @AfD vertreten, wie das @CDU-Mitglied @maxotte_says vorgibt?“ (11.8.2018)

Otte antwortete: „Erstmal grenze ich mich von #Merkel ab. Die hat #Deutschland aus #Karrieregeilheit nachhaltig beschädigt. Das hat in der #AfD, soweit ich das überblicken kann, noch keiner.“ (12.8.2018). Na, na, Herr Professor, was sind denn das für Schimpfworte gegenüber einer gewählten Bundeskanzlerin.

„Völkischer Antikapitalismus“?

Nun wird es aber Interessant.

2010 zitiert der Deutschlandfunk Otte als Freund der Gewerkschaften und Kritiker des Lobbyismus und der Banken. Zitat: „Auf einen Gewerkschafter oder kritischen Lobbyisten kommen 500 Lobbyisten der Finanzbranche. Die sitzen in den Ministerien, die schreiben sich ihre eigenen Gesetze, die definieren die so lange um, bis die wieder wachsweich sind und die Branche so weiter machen darf, wie sie das gewohnt ist.“ (DEUTSCHLANDFUNK 21.09.2010 Walter van Rossum: Vor dem Spiel – nach dem Spiel Die Wahlkampfversprechen und was daraus wurde).

Das hätte auch Sven Giegold, ehemals Attac, jetzt Europaabgeordneter der Grünen, sagen können. Kein Wunder, dass Otte vor Jahren auch gerne auf Attac-Veranstaltungen eingeladen wurde.

2011 kritisiert Otte in einem Interview im Focus die Hilfsprogramme für Griechenland. Diese nützten allein den Banken. „Es profitieren weder Europa noch die griechischen Bürger oder die Bevölkerung der Geberländer … von den Abermilliarden an Euro, die hier wieder lockergemacht werden. Es profitieren allein die Banken, die sich diesmal mit griechischen Anleihen verzockt haben. … Wir haben keine Euro-Krise. Es gibt eine neue Bankenkrise.“ (Focus 8.7.2011 „Die Euro-Rettung ist Demagogie!“)

Diese Kritik hat man auch schon von Sarah Wagenknecht von den Linken gehört, deren Buch „Freiheit, statt Kapitalismus“ Otte 2011 freundlich kommentierte. (Jörg Sundermeier: Lesung mit Sahra Wagenknecht. Fast eine Bibelstunde. Wären da bloß nicht so viele Allgemeinplätze! Sahra Wagenknecht bei ihrer Buchvorstellung in Berlin. taz 13.5.2011).

Da geht aber noch mehr:

In einem Interview von Ulrike Hermann mit Max Otte in der taz (29.6.2012), stellt Otte Steuerforderungen auf, dass es einem mittelständischen Normalbürger leicht schwindlig werden könnte. Die taz-Wirtschaftskorrespondentin Ulrike Hermann fragt also Otte:

 „taz: Wie viel Steuern zahlen Sie?

Otte: Zu wenig. Da ich an den Beratungsfirmen beteiligt bin, handelt es sich um Kapitalerträge. Sie werden … pauschal mit 25 Prozent versteuert. Davon können normale Arbeitnehmer nur träumen. Jeder Durchschnittsverdiener hat einen höheren Grenzsteuersatz. …

Ich hätte nichts dagegen, wenn der Spitzensteuersatz auf 50 bis 60 Prozent steigt. … Außerdem könnte auch die Erbschaftsteuer richtig zuschlagen. Wer 100 Millionen Euro erbt, bei dem kann man ruhig 90 Millionen wegbesteuern. Denn es ist ja leistungsloses Einkommen. Niemand hat sich seine Eltern ausgesucht.“

Der Spitzensteuersatz ab einem Einkommen über 250.000 Euro liegt übrigens derzeit bei 45 %. Werteunion und AfD fordern ganz im Gegensatz zu Werteunions-Mitglied und AfD-Wähler Otte ein Abbau der angeblich im internationalen Vergleich hohen Steuerbelastung für Familien, Arbeitnehmer und Mittelstand (Werteunion: Positionen zur Finanzpolitik 2017), ähnlich die AfD in ihrem Bundestagsprogramm 2017, die sich dort auch für eine Abschaffung der Erbschaftssteuer und gegen die Reaktivierung der Vermögenssteuer ausspricht. Wie Otte diese Positionen mit seinen eigenen steuerpolitischen Forderungen in Einklang bringt, bleibt ein Rätsel.

Max Otte in der ZDF-Sendung „Pelzig hält sich“ 2015

Der Höhepunkt von Ottes „linksradikalen“ Statements, wie ich sie kenne, ist sein Auftritt im ZDF 2015 in der Sendung „Pelzig hält sich“ gewesen:

Er spricht dort von einem herrschenden „Finanzfaschismus“. „Der Kapitalismus … als unbedingte Herrschaft des Renditedenkens ist verwerflich, der führt in ein entmenschlichtes System“.

Knüpft hier Otte etwa an das Ahlener Programm der nordrhein-westfälischen CDU von 1947 an, in dem es heißt, dass „Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung … nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben [sein kann], …. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht …“?

Adolf Hitler, Gregor Strasser, Ernst Roehm und Hermann Göring in Berchtesgaden 1932

Oder bezieht er sich gar auf den nationalsozialistischen „Antikapitalismus“ des sogenannten Strasser-Flügels in der NSDAP? Dieser verlor allerdings schon vor 1933 seinen Einfluss in und auf die Parteiführung unter Hitler. Otto Strasser spaltete sich bereits mit seinen Anhängern 1930 von der NSDAP ab, und sein Bruder Gregor Strasser wurde im Zuge des sog. Röhm-Putsches 1934 von der SS ermordet (Stefan Dietl: Die AfD und die soziale Frage. Zwischen Marktradikalismus und ‚völkischen Antikapitalismus‘.Münster: 2018, S. 52 f.). Die NSDAP ließ sich dafür von Flick, Krupp, Schacht, Stinnes und anderen Vertretern der deutschen Industrie und Finanzwirtschaft pampern und war ihr zu Diensten (instruktiv beschrieben in Éric Vuillards Buch „Die Tagesordnung“ aus dem Jahr 2018).

Dieser „völkische Antikapitalismus“ aus den 1920er und 1930er Jahren behielt auch nach 1945 und bis heute für gewisse rechte Strömungen eine große Attraktivität. So gehört der in Mannheim und der Region bekannte und berüchtigte, mehrfach zu Gefängnisstrafen verurteilte NPD-Funktionär Günter Deckert zur „sozialrevolutionären“ und „antikapitalistischen“ Strömung der NPD. Auch der Höcke-Flügel der AfD bedient sich gerne einer „antikapitalistischen“ Rhetorik. Dabei werden, wie bereits in ähnlicher Weise bei der NSDAP, die versprochenen sozialen Segnungen „völkisch“ eingebettet, d.h. nur für „Blutsdeutsche“ versprochen. Es geht um eine Harmonisierung der Klassengegensätze und die Schaffung einer „nationalen Gemeinschaft“ (Dietl 2018, S. 63).

Dies wäre ausführlicher zu untersuchen, wozu hier nicht der Platz ist. Also zurück zu Max Otte.

Max Ottes Lübcke-Tweet

Max Ottes Tweet zum Lübcke Mord, später zurückgezogen

Max Otte hat viele Gesichter. Neben dem netten, klampfenden Liedersänger und Wanderer gibt es auch den Twitterer, der sich dort im rechten Getümmel deutlich bemerkbar macht. So twitterte er nach dem Mord an Walter Lübcke im Juni dieses Jahres:

„#Lübcke – endlich hat der #Mainstream eine neue #NSU-Affäre und kann hetzen. Es sieht alles so aus, dass der #Mörder ein minderbemittelter #Einzeltäter war, aber die #Medien hetzen schon jetzt gegen die ‚rechte Szene‘ was immer das ist. #Rechtsextremismus“

Ich muss das hier nicht weiter kommentieren, die Infamie dieses Tweets spricht für sich. Da Otte offensichtlich erheblichen Gegenwind zu diesem Tweet bekommen hat, hat er ihn später zurückgezogen, ohne ihn inhaltlich zurück zu nehmen. (Einen Kommentar dazu findet man auf dem Hambach-Blog.)

Das ist das bekannte Vorgehen der Schreib-Täter von rechtsaußen. Nach der gelungenen Provokation, relativieren sie ihre Aussage.

Impressionen zum neuen Hambacher Fest 2019

Bei Max Ottes Veranstaltung am 8.6.2019 im Saalbau in Neustadt an der Weinstraße

2019 habe ich mir das Otte-Treffen nicht nur per Youtube, sondern auch live angetan. Das war keine ganz leichte Entscheidung. Aber das 34 Euro teure Ticket (Frühbucherpreis) für Max Ottes großspurig angekündigten „Kongress für Frieden und Sicherheit in Europa“ wurde mir wenige Tage vor dem 8.6. angeboten, da die Käuferin der Eintrittskarte wegen eines Unfalls nicht selbst teilnehmen konnte.

Doch als älterer Herr in legerer Kleidung und mit nur noch wenigen Haaren auf dem Kopf war ich unter den rund 1.000 Besuchern zunächst keiner, der aufgefallen wäre. Die mittelstandsgeprägte Zusammensetzung von Max Ottes Pfingsttreffen war divers – mindestens in Bezug auf das Alter, das Outfit und den Haarschnitt. Von jung bis alt, von Wanderkluft oder Jeans-Look bis zum Anzug mit Krawatte, von Langhaarigen bis zu Kurzgeschorenen war alles vertreten. Springerstiefel und schwarzer Nazi-Look, was manche „Antifaschisten“ bei Ottes Treffen vielleicht ebenfalls erwartet hätten: Fehlanzeige.

Ungemütlich und unangenehm war etwas anderes. Statt sachlich-diskursiver Kongressatmosphäre herrschte in der etwas stickigen Luft des Saalbaus eine euphorisch, aufgeheizte Stimmung. Es wurde geklatscht, gejohlt und begeistert aufgesprungen. Dabei konnte ich natürlich nicht mitmachen und blieb vier Stunden brav sitzen und rührte meine Hände nicht. Meine nächste Umgebung, ich hatte wahrscheinlich Glück, hat meine Distanz zu dieser Veranstaltung toleriert und mich nicht schief oder gar aggressiv angemacht.

Die Bühne war links mit einer großflächigen Fahne dekoriert, schwarz-rot-gold, mit der Inschrift „Deutschlands Wiedergeburt“. Ja, das stand auch so auf der Hambacher Fahnen von 1832. War es eine nachlässige, nicht fachmännische Befestigung oder gar Sabotage? Jedenfalls hing die riesige Fahne nach der Pause nur noch schlaff an einem Zipfel auf die Bühne herab.

Max Ottes Redner auf dem sog. neuen Hambacher Fest 2018 und 2019

Die Rednerin und Redner auf Ottes Veranstaltung in Hambach bzw. Neustadt 2018 und 2019

Aber nun zu den Rednern, die 2018 und/oder 2019 bei Otte aufgetreten sind. Ich spare mir, auf jeden einzeln einzugehen. Einige werden Sie kennen. In der Regel kann man sich bei Wikipedia über sie einen guten ersten Eindruck verschaffen. Einer fehlt, Markus Krall. Auf ihn werde ich im Folgenden ausführlicher eingehen.

Der größte gemeinsame Nenner dieser Leute ist die „Anti-Merkel-Haltung“. Das ist vermutlich auch bei Ottes Publikum so. Die Redner sind oft ursprünglich oder auch immer noch in der CDU/CSU beheimatet. Teilweise ist die Euro-Politik der Auslöser ihrer Kritik am Merkel-Kurs gewesen, teilweise war es die Außenpolitik. Dann eint sie die Kritik an der Flüchtlingspolitik seit 2015. Sie orientieren sich, soweit ich das überblicke, überwiegend an der AfD ohne alle bekennende AfD-Wähler oder AfD-Mitglieder zu sein. Eine weitere wichtige Gemeinsamkeit ist ihre Stilisierung als die einzig wahre Opposition gegen die „Systemparteien“ oder die „Mainstream-Medien“ und ihr damit verbundener vermeintlicher „Opferstatus“.

Welche Bezugnahme auf das historische Hambacher Fest?

Das ist auch der gängige Anknüpfungspunkt an das Hambacher Fest von 1832. Auf Ottes Hambach-Website schrieb dazu eine Maria Schneider im Rückblick auf den ersten Tag des „Hambacher Festes 2019“:

„Damals wie heute sind Freiheitskämpfer nicht wohlgelitten.

Damals (27. Mai – 01. Juni 1832) wie heute geht es um nationale Einheit, Freiheit und Volkssouveränität.

Damals wie heute geht es darum, Pfründe und verkrustete Machtverhältnisse aufzubrechen.

Damals wie heute versucht die Presse, die Meinungsfreiheit zu knebeln.

Und damals wie heute wird jeder, der sich dem Konformitätsdruck wiedersetzt, schikaniert, geächtet, in seiner beruflichen Existenz vernichtet oder verliert –-im schlimmsten Fall – sein Leben.“.

Die Strategie ist eigentlich leicht zu durchschauen. Otte okkupiert mit seinem sog. neuen Hambacher Fest ein geschichtlichen Ereignis, das einen hervorragenden, demokratischen Leumund genießt, und stellt sich in diese Tradition. Wer könnte dagegen etwas einzuwenden haben?

Markus Krall

Markus Krall Quelle: Wikipedia CC BY-SA

Aber nun zu Markus Krall. Er stellt m.E. in Ottes Rednerriege die Verbindung zum Rechtsextremismus her. Und da er sowohl 2018 als auch 2019 von Max Otte eingeladen wurde, nehme ich an, dass Otte ihn besonders schätzt.

Markus Krall ist 57 Jahre, promovierter Diplom-Volkswirt und hat gut 25 Jahre Erfahrung in der Bank- und Versicherungswirtschaft u.a. bei der Allianz AG, Boston Consulting Group, McKinsey. Seit September 2019 ist Krall Sprecher der Geschäftsführung der Degussa Goldhandel GmbH.

Markus Krall war Mitglied der CDU und trat wegen Merkels „verkorkster Energiewende“ bereits 2012 aus. In einem Tweet vom 19.9.2019 schreibt er, dass er parteilos sei und das auch so bleibe.

Er ist, wie Otte, eifriger Twitterer. Das Niveau ist oft etwas mehr als bescheiden (etwa 24.11.2019):

„AKK: Alles Klatscht auf mein Kommando.“

Auf Youtube findet man unzählige Vorträge und Interviews mit Markus Krall.

Markus Krall ist Autor einiger (Spiegel-) Bestseller wie:

  • als Diogenes Rant (Pseudonym): Verzockte Freiheit. Wehrt euch! Politiker und Finanz-Eliten setzen unsere Zukunft aufs Spiel. FinanzBuch Verlag, München 2014, ISBN 978-3-89879-854-9.
  • Der Draghi-Crash. Warum uns die entfesselte Geldpolitik in die finanzielle Katastrophe führt. FinanzBuch Verlag, München 2017, ISBN 3-95972-072-6.
  • Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen. Warum wir unsere Gesellschaft neu organisieren müssen. FinanzBuch Verlag, München 2018, ISBN 3-95972-151-X.
  • mit Florian Homm und Moritz Hessel: Der Crash ist da. München : FinanzBuch Verlag, 2019

Es ist interessant, wen Markus Krall als Koautor bei seinem aktuellen Buch „Der Crash ist da“ gewählt hat.

Florian Homm, Kralls Koautor, Spekulant, Bankrotteur

Florian Homm von seinem Anwesen auf Mallorca bevor er abtauchte

Florian Homm ist der personifizierte „Finanzcrash“: Wikipedia bezeichnet ihn als deutschen Börsenspekulanten und Hedgefondsmanager. Der von ihm verwaltete Hedgefonds „Absolute Capital Management“ (ACM) hatte zeitweise einen Wert von bis zu drei Milliarden US-Dollar. Florian Homms Hedgefonds brach dann 2007 zusammen. Die Aktien des ACM verloren bis Juni 2008 rund 93 Prozent ihres Wertes. Im April 2009 wurde ACM aus dem Börsenhandel entfernt. Homm tauchte unter, wurde 2013 in Italien auf Grundlage eines Haftbefehls der USA verhaftet und in Auslieferungshaft genommen. 2014 kam er wegen Überschreitung der zulässigen Höchstdauer in der Auslieferungshaft frei.

Er lebt heute wieder in Deutschland, gibt sich als geläuterter Christ, ist publizistisch erneut in Finanzangelegenheiten tätig und tritt in Putins Youtube-Auslandssender „Russian Today“ auf.

Vom „Weg aus der Knechtschaft“ zur „Bürgerlichen Revolution“

Zurück zu Markus Krall. Für 2020 hat er ein neues Buch angekündigt, das den Arbeitstitel hatte „Der Weg aus der Knechtschaft“. Sein Verleger, so Markus Krall auf einem Vortrag beim Hayek Club Hannover am 22. Oktober 2019, habe ihn überzeugt, den Titel noch zu ändern. Er soll jetzt heißen „Die bürgerliche Revolution“ und das sei so eine Art Bedienungsanleitung.

Bereits Ende 2017 hatte Krall im Fragebogen der Jungen Freiheit auf die Frage „Was möchten Sie verändern?“ geantwortet: „Die Weigerung des deutschen Bürgertums, Revolution zu machen.“

Seine Reden auf dem sog. neuen Hambacher Fest 2018 und 2019 findet man auf Youtube. Markus Krall soll im Folgenden mit längeren Ausschnitten aus seiner Rede 2018 im Original zu Wort kommen:

„Freunde der Freiheit, Mitbürger, verehrt Hambacher Festgesellschaft. Patrioten!

Noch ist Deutschland nicht verloren! [Beifall]

Noch ist Europa nicht verloren. Ihr zahlreiches Erscheinen, ihre Bereitschaft hier und heute Gesicht zu zeigen, ihr Wille, dieses Fest der Freiheit mit dem Ausdruck der Lebensfreude zu feiern und ihr Bekenntnis zu einem reifen Patriotismus, ihre Liebe zu unserem Land und zu einem Europa der Vaterländer geben Mut für die Zukunft. [Bravo-Rufe, Beifall]

Dabei sind unsere Probleme nicht klein. Die Freiheit, für die wir hier heute stehen, befindet sich im Belagerungszustand. Die Freiheit wird attackiert vom Nihilismus des Werteverfalls. Er hat sich unter dem Motto „Marsch durch die Institutionen“ der 68er-Marxisten tief in die Substanz unseres Gemeinwesens hinein gefressen, geradezu hinein geätzt. [Beifall]

Die Freiheit wird bekämpft von den Vertretern der grandios gescheiterten sozialistischen Ideologien [Beifall], in dem diese, teils subtil und teils offen, die Grundlagen des Erfolgs dieser Gesellschaft angreifen: Eigentum, Marktwirtschaft, Familie, unser Weltbild begründet auf der christlich-jüdisch inspirierten Tradition der Aufklärung und des Humanismus. [Beifall]

Die Freiheit wird unterhöhlt von den Wegbereitern des totalitären Überwachungsstaates, die uns einreden wollen, dass die Demokratie die Abschaffung der Privatsphäre überleben könnte. In Wahrheit errichten sie die Infrastruktur der Tyrannei, weil sie hoffen, so in der kommenden Krise und Auseinandersetzung die Kontrolle behalten zu können. [heftiger Beifall]

Die Freiheit wird auch bedroht durch eine jedem Maß und jeder Mitte entzogenen Politik der bewusst gesteuerten Völkerwanderung. Sie hat zur Wirkung dem Zusammenhalt der Gesellschaft einen geradezu tödlichen Stoß zu versetzen. Ihre Propagandisten und auch ihre Profiteure stehen für eine Republik der Messer und Scham ist ihre Sache nicht. Die Freiheit wird angegriffen durch eine Welle der Zensur, sie ist die logische Folge der politischen Korrektheit. Aber in ihrem Anspruch geht sie weit darüber hinaus. Sie findet ihre geistige Komplizenschaft, spirituelle Quelle und Tradition in den Zensurgesetzen totalitärer Systeme, die in der deutschen Geschichte einen unrühmlichen Platz eingenommen haben. [Beifall]

Wir brauchen den Rollback des 68er-Marsches durch die von ihnen korrumpierten Institutionen. Und um das zu erreichen, muss das deutsche Bürgertum lernen wie Revolution geht [Heftiger Beifall, zustimmende Zwischenrufe] In Abwandlung eines Lutherzitates möchte ich dazu sagen: Das deutsche Bürgertum muss sagen können „Hier stehe ich, ich kann noch ganz anders! [heftiger Beifall] Dann helf euch Gott! Amen.“

Und wir müssen einen Gegenentwurf präsentieren: Eine Republik der Freiheit, des Bekenntnisses zu den Werten der Marktwirtschaft, des Eigentums, der Werte der Aufklärung, der Familie als Keimzelle des Staates und des klugen und fleißigen Wirtschaftens. Dieses Gegenmodell muss unser Ziel sein. Und wir müssen es mit allen politischen Mitteln zu erreichen versuchen. Wenn wir das nicht tun, dann enden wir in der Knechtschaft.

Im Jefferson Memorial in Washington befindet sich ein Schriftzug mit einem Zitat dieses Gründervaters der amerikanischen Demokratie. Ich zitiere: „Der Baum der Freiheit muss von Zeit zu Zeit mit dem Blut von Patrioten und der Tyrannen begossen werden. Dies ist der Freiheit natürlicher Dünger.“ [Gemurmel bei den Zuhörern]

…“

Ich muss gestehen, als ich mir diese Rede auf Youtube angesehen hatte, war ich geschockt. So etwas hatte ich bei Max Otte, dem freundlich vor sich hin schwitzenden Wanderer, nicht erwartet.

Hier spielt einer bewusst mit dem Feuer. Hier wird nicht einfach Kritik an den bestehenden Verhältnissen geübt, sondern diese in die Nähe der Tyrannei gerückt und daraus die Notwendigkeit einer gewaltsamen Revolution abgeleitet und legitimiert. Hier ist eine Grenze überschritten. Hier hört die rechte Gemütlichkeit eines klampfenden Max Ottes auf, der den Biedermann gibt und die Brandstifter, wie Markus Krall, auch 2019 wieder auf sein Pfingsttreffen in Neustadt eingeladen hat.

Krall, ein bekennender (neo)liberaler Hayek-Anhänger, hämmert den ZuhörerInnen ein, wie unsere Freiheiten durch eine „sozialistische Republik“, Gender-Wahnsinn, Überregulierung, Zensur und Überwachung bedroht seien. Man fragt sich wirklich, in welcher Welt dieser Markus Krall lebt.

Was Krall zu einem wirklich gefährlichen Rechtsextremisten macht, ist sein Spiel mit dem revolutionären Aufstand, zu dem zur Rettung von Vaterland und guten Sitten das Bürgertum aufgerufen wird. Ich will den Staatsschutz nicht auffordern, bei Markus Krall im Garten nach Waffendepots zu suchen. Das traue ich ihm wirklich nicht zu. Ich will aber nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass unter Kralls Zuhörern nicht einige dabei sind, die aus seiner Revolutionsrhetorik genau diesen Schluss ziehen. Der mordende NSU, der Mord an Walter Lübcke im Juni dieses Jahres, der Anschlag auf die Synagoge in Halle mit zwei Morden im Oktober haben dieses gewaltbereite, rechtsextremistische Umfeld gezeigt.

Einige abschließende Bemerkungen:

Aktiv gegen Otte und Co auftreten

Ich finde, man kann es nicht unkommentiert und unwidersprochen stehen lassen, das Max Otte versucht, Jahr für Jahr sich in die Tradition des Hambacher Festes von 1832 zu stellen.

Regionales Bündnis gegen Rechts bei der Protestkundgebung vor dem Hambacher Schloss am 5.5.2018

Das regionale Bündnis gegen Rechts in Neustadt ist sowohl 2018 als auch 2019 mit Öffentlichkeitsarbeit und Aktionen dagegen aufgetreten. Der Freundeskreis Hambacher Fest 1832, die Hambach Gesellschaft und andere haben diesen Protest unterstützt. In Neustadt fand dieses Jahr als eine Art Gegenveranstaltung gegen Otte und Co ein „Demokratiefest“ am 8. Juni mit einigem Erfolg statt, an dem sich u.a. DGB-Gewerkschaften und die IG-Metall beteiligt hatten.

Diese Aktivitäten sind weiterhin notwendig.

Wir haben versucht, auch auf den Vorstand der Stiftung Hambacher Schloss einzuwirken. Wir haben gefordert, dass die Stiftung sich klar und deutlich, offiziell und öffentlich von Max Ottes Hambach-Treffen distanziert. Da wir Ottes Veranstaltungen für die Stiftung als rufschädigend ansehen, würden wir es begrüßen, wenn die Stiftung Veranstaltungen Ottes auf dem Schloss und mit dem Bezug zum Hambacher Fest unterbinden würde. Dabei wissen wir durchaus, dass dies politisch und juristisch durchzusetzen, nicht ganz einfach ist.

Der Stiftungsvorstand hatte am 2.12.2019 über den Komplex „neues Hambacher Fest“ und Max Otte erneut beraten. Dies geschah auf Initiative des Regionalen Bündnisses gegen Rechts und des Freundeskreis Hambacher Fest 1832. Zu diesem Thema hatten wir mit dem Oberbürgermeister von Neustadt, Marc Weigel, bereits im Sommer ein ausführliches Gespräch. OB Weigel ist Mitglied im Stiftungsvorstand Hambacher Schloss.

Was aus der Diskussion im Vorstand am 2.12. herausgekommen ist, haben wir leider bisher noch nicht erfahren. Wir sind gespannt. Aber es ist klar, man muss auf allen politischen Ebenen „am Drücker“ bleiben, um den Vorstand zu einer klaren Haltung zu bringen.

Warum wenden sich die Kritiker an den bestehenden Verhältnissen politisch überwiegend nach rechts?

Rückblickend zu meiner inhaltlichen Beschäftigung mit Max Otte und Co. fand ich irritierend und eine Menge Fragen aufwerfend, dass die politischen Auffassungen und Forderungen etwa eines Max Ottes, eines Willy Wimmers oder eines Daniele Gansers solche sind, die auch von Linken unterschiedlicher Couleur geteilt werden.

Was bedeutet das? Wie geht man damit um?

Max Otte hatte in einem Interview im August 2017 zur Frage, wen man denn wählen könne, gesagt: „Es gibt eigentlich nur zwei Parteien, die man wählen kann, wenn man gegen dieses System ist, die eine steht rechts, die andere steht links.“ Wenige Wochen später hat er sich dafür entschieden, rechts, d.h. AfD, zu wählen.

Es gibt ein weit verbreitetes Misstrauen gegen „die Politik“ und „die politischen Institutionen“. Viele von uns haben dieses Misstrauen in früheren Tagen geteilt oder teilen es immer noch.

Warum haben die linken Kräfte in diesem Land keine Perspektiven anzubieten, die diese Kritik aufnimmt und in eine konstruktive, demokratische Richtung lenkt? Warum wenden sich zu viele zur Zeit eher nach rechts als nach links? Das ist so eine der offenen Fragen, die mich umtreibt.

Resümee zu Max Otte

Habe ich ein Resümee zu Max Otte? Vielleicht dieses:

Max Otte gibt sich als unbescholtener und politisch engagierter Bürger. Er macht mit Klampfe und einem Lied auf den Lippen einen auf harmlos. Er ist eitel und aufmerksamkeitsheischend. Der Politologe Herfried Münkler hat ihn in einem Artikel im Mannheimer Morgen (28.4.2018) einen „notorischen Selbstdarsteller“ genannt. Max Otte spricht insbesondere das wohlstandsgesättigte Bürgertum an, die auch seine Kunden bei seinen Vermögensfonds sind.

Max Otte ist „prinzipienlos“. Denn was er vertritt oder vertreten hat, passt in vielen Fällen nicht zusammen und passt nicht zu Programmatik von CDU, Werteunion und AfD, den politischen Organisationen, in denen er Mitglied ist oder denen er nahe steht. Auf Konsistenz seiner Aussagen und seines Handelns kommt es ihm nicht an.

In diesem Sinne bastelt er an einem breiten rechten Bündnis, das sich einig ist in der Ablehnung des herrschenden politischen „Systems“, in der Ablehnung der sogenannten „Mainstream- oder Systempresse“ und der sogenannten „Systemparteien“ – übrigens wird hier von ihm Nazijargon verwendet. Für dieses breite, rechte Bündnis schreckt er auch vor der Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten, wie Markus Krall, nicht zurück.

Max Otte ist der typische Wolf im Schafspelz.

Verfassungspatriotismus

Seitdem ich mich mit der Thematik „neues Hambacher Fest“ und Rechtsentwicklung in unserer Gesellschaft intensiver auseinandergesetzt habe, ist mir die Brisanz der Mischung aus Rechtspopulismus, übersteigertem Nationalismus und Rechtsextremismus viel deutlicher geworden.

Die unmäßige „Systemkritik“, die von Rechts an unserem Gemeinwesen und den politischen Institutionen geübt wird, hat mich in meinem „Verfassungspatriotismus“ bestärkt.

Ich schließe mich da gerne Micha Brumlik an, der am 3.12.2019 in der taz schrieb:

„Ein Patriot zu sein heißt mit Herz und Verstand für den Staat einzutreten, dessen Verfassung zu bejahen ist. Das gilt … im Hinblick auf das deutsche Grundgesetz und seinen ersten Artikel ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar.‘ Die Würde aller Menschen – wohlgemerkt – nicht: die Würde des Deutschen!“