Die neue Rechts-von-der-Mitte-Partei von Markus Krall
Im ersten Teil dieses Blogbeitrags wurde auf Facetten von Kralls Weltsicht eingegangen, wie sie (teilweise) aus seiner Rede bei einer Bauernversammlung am 10.9.2023 in Berlin zu erkennen ist. Dazu gehört eine extrem abwertende, hetzerische Sprache gegenüber dem politischen Gegner, der als faul, dumm und korrumpiert dargestellt wird. Aber auch mehr oder weniger die gesamte Bevölkerung sei durch den Staat, das System korrumpiert. Die weitere Verelendung großer Teile der Bevölkerung führe aber zum „Aufwachen“. Spätestens 2025 sei es so weit und ein Systemwechsel durch Wahlen erreichbar. Dann werde der „ganze Müll“ an einem Tag beseitigt. Im zweiten Teil geht es nun um Kralls Vorstellungen für eine Partei „rechts der Mitte“, aber links von der AfD, die in Wirklichkeit eher rechts der AfD angesiedelt ist, und um seine Ambitionen, sich in ein Parlament wählen zu lassen.
Warum eine neue Partei, warum in die Parlamente?
Dass Krall seit neuestem verkündet, er wolle für eine noch zu gründende Partei kandidieren, passt auf den ersten Blick nicht zu seiner Krisen- und Revolutionsrhetorik.
Hat er sich von diesem Revolutionsgeplapper abgewendet? Eher nein, denn noch im September bei der Bauernversammlung in Berlin [siehe den ersten Teil dieses Blogbeitrags] trat er als Mann des Umsturzes auf und deutet nur am Schluss vage die Perspektive des Systemwechsels per Wahlen an („den ganzen Müll über Bord kippen an einem Tag“).
Könnte er auf die klassisch, revolutionäre Doppelstrategie setzen? Einerseits das Parlament als Bühne für die Verächtlichmachung des „Systems“ nutzen und von seinen Ressourcen profitieren und andererseits im „Untergrund“ den Machtwechsel gegebenenfalls auch mit Gewalt vorbereiten? Könnte sein, aber wir wissen es nicht.
Vielleicht ist es auch ganz banal, dass Krall nach dem Rauswurf als Geschäftsführer bei der Degussa „armutsgefährdet“ ist und sich deshalb gerne von den nicht so schlechten Abgeordnetendiäten etwas korrumpieren lassen will. Wie war das noch mit der „adversen Selektion“, der Negativauswahl, der Auswahl der Schlechtesten für die Politik? Will Krall seine krude „Theorie“ mit dem eigenen Beispiel eine empirische Evidenz einhauchen? (Zur „Negativauswahl“ und der „Armutsgefährdung“ siehe auch Teil 1.)
In einem Interview in Max Ottes Videokanal am 6.10.2023 äußert sich Krall näher zu den Parteigründungsplänen
Warum eine neue Partei?
Für Markus Krall ist die Gründung einer neuen Partei rein wahltaktisch motiviert. Er führt dafür im Wesentlichen drei Gründe an:
- Die AfD könne das Wählerpotential in der „Mitte“ für eine Wende nicht ausschöpfen. Ein Koalitionspartner rechts der Mitte, aber links der AfD sei dafür nötig.
- Es hätte in der Geschichte der Bundestagswahlen nur einmal, 1953, eine absolute Mehrheit für eine Partei (CDU/CSU unter Konrad Adenauer) gegeben. Krall irrt zwar beim Datum, richtig ist 1957. Sonst hat er mit dieser Feststellung recht. Die CDU/CSU erreichte 1957 50,19 % und lag sonst immer unter 50 %. Krall stellt die Prognose, dass die AfD auf absehbare Zeit keine Chance hätte, eine absolute Mehrheit zu erringen. Wenn es gut laufe, könne sie, so Kralls Blick in die Glaskugel, 2025 30 oder 35 % erreichen. Das sei die Schallmauer. Eine „Wende“ sei damit nicht zu erreichen.
- Was wäre unter dieser Maßgabe bei der Neugründung einer neuen Partei der schlimmste, was der beste Fall? Der „schlimmste Fall“ wäre, erläutert Krall im Interview weiter, dass die AfD einige Wähler an die neue Partei-rechts-der-Mitte verliert und statt 30 % etwa nur 26 % bekommt, und die neu zu gründende Partei an der Fünfprozenthürde scheitert. Dann gehe es mit den Altparteien im Wesentlichen weiter so wie bisher auch. Der „beste Fall“ sei aber, dass die neue „Rechts-der-Mitte-Partei“ 10 % bis 11 % erreicht und die AFD über 30 % kommt. Wenn man davon ausgehe, so spinnt Krall mit vielen Wenns seine Wahlarithmetik weiter, dass die FDP, die Linke und auch eine „Wagenknecht-Partei“ an der 5-Prozent-Hürde scheitere, evtl. auch die CSU nur mit Direktmandaten in den Bundestag komme, dann könnten knapp über 40 % der Stimmen für eine Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag reichen. Schaut man in die Ergebnisse der Bundestagswahlen und der daraus hervorgegangenen Regierungen, dann wird man feststellen, dass es ein solches Extremszenario bisher noch nie gab. Aber die Zunahme der Zahl der kandidierenden Parteien, die unter der 5-%-Klausel bleiben, könnte prinzipiell in einer bestimmten, nicht sehr wahrscheinlichen Situation zu einem solchen Wahlergebnis führen. Regierungen, die keine Mehrheit der Wählerstimmen, aber eine Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag erreichten, gab es schon mehrfach in der Geschichte der Bundesrepublik. Allerdings lag deren Wähleranteil nicht knapp über 40 %, sondern knapp unter 50 %. Das war der Fall bei der sozialliberalen Regierung Brandt 1969 mit 48,5 % der Wählerstimmen und den Rot-Grünen-Regierungen Schröder 1998 mit einem Stimmenanteil von 47,6 % bzw. 47,1 % im Jahr 2002.
Wenn es 2025 keine „Wende“ gäbe und das Land noch sechs Jahre so weiter regiert werde wie bisher, dann fürchtet Krall „um den Bestand dieses Landes“. Das klingt ganz nach „Das Ende ist nahe!“ – wo hat man das nur schon einmal gehört?
Kralls Nicht-Abgrenzung von der AfD
Es liegt natürlich die Frage nahe, warum Krall nicht in die AfD eintritt, um diese in seinem Sinn zu stärken. Entsprechende Kritik von Seiten der AfD muss er sich anhören. Wie argumentiert er in dem Video-Interview vom 6.10.2023?
Die AfD sei für ihn selbstverständlich eine demokratische Partei am rechten Rand. Er sei aber ein Mann der Mitte. Wie wenig „mittig“ Krall ist, hat schon sein Vortrag bei den Bauern in Berlin gezeigt [Teil 1 des Blogbeitrags]. Abgrenzen würde er sich von Personen in der AfD, die eine etatistische, staatsfixierte Programmatik vertreten. Er sei im Unterschied zu dieser Strömung marktwirtschaftlich und libertär orientiert, er sei ein Staatsskeptiker.
Dazu sollte man wissen, dass Krall ein „Minimalstaat“ vorschwebt mit nur vier Ministerien und einem Staatsquote von maximal 25 %, gerne auch auf dem Niveau des deutschen Kaiserreichs von 12 %. Sozialpolitik Krallscher Prägung wird durch „Caritas“, d.h. private „milde Gaben“, ersetzt. Außerdem, so ein weiterer Einwand gegen die AfD, sei diese immer noch ein „gäriger Haufen“, eine Charakterisierung von Alexander Gauland aufgreifend, der Politkarrieristen anziehe. Krall dagegen will ein politisches System, in dem Politik keine Chance auf Karriere biete. Auch dazu gleich mehr. Wie Krall und seine unbekannten MitstreiterInnen verhindern wollen, dass Karrieristen in die neue Partei strömen, bleibt sein Geheimnis.
Kralls „parlamentarisch-demokratisches“ System ist ein autoritär-faschistischer Staat
Klassenwahlrecht – Rumpfparlament – Minimalstaat – Präsidialdiktatur – Erbmonarchie
An dieser Stelle sollte man etwas mehr über Kralls ideales „demokratisches“ System wissen. So schreibt er etwa in seinem Buch „Die bürgerliche Revolution“ zu seinem Demokratieverständnis: So erstrebenswert die Demokratie auch sei, ihr wohne „der selbstzerstörerische Keim der Korruption durch eine faule, aber gierige Mehrheit“ inne, „die gerne eine Minderheit der Leistungsträger ausbeuten möchte“. Das klingt eher nach Ablehnung der Demokratie als nach ihrer Verteidigung.
Krall weiß aber auch Abhilfe gegen den „Keim der Korruption“: Abschaffung des allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlrechts wie es unsere Verfassung in Art. 38 GG vorsieht. In der Krallschen „Demokratie“ dürfen nur diejenigen wählen, die keine Leistungen vom Staat beziehen. Darüber könnten sie vor jeder Wahl entscheiden: Wählen oder Staatstransfers!
Außerdem sind in der Krallschen „Demokratie“ Parteien verboten. Ja, das wolle er noch immer so, bestätigt er im Interview vom 6.10.2023 auf Nachfrage des Interviewers. Aber der Weg zu seiner neuen Demokratie (die keine Demokratie mehr ist) gehe in einem parlamentarischen System nur über Parteien, die sich zur Wahl stellten.
Das Parlament Krallscher Prägung wird nur aus 200 Abgeordneten bestehen, die keiner Partei angehören dürfen. Sie erhalten keine Diäten, müssen also für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen. D.h. auf gut Deutsch, nur Reiche können sich ein Parlamentsmandat leisten. Das so ausgestattete Parlament darf nur an 60 Tage im Jahr zusammentreten. Neben dem Kanzler wird es nur vier Minister geben (Finanzen, auswärtige Beziehungen, innere Sicherheit, Verteidigung). Ein auf Lebenszeit gewählter Präsident („Wahlmonarch“) hat ein „unbegrenztes“ Veto-Recht gegen alle Entscheidungen des Parlaments, das so zu einem Rumpf- und Scheinparlament degradiert wird. Dass aus diesem Wahlmonarchen auch eine Erbmonarchie werden könnte, schließt Krall nicht aus. Der Kaiser lässt grüßen. (Siehe hierzu auch Andreas Kempers Besprechung von Kralls Buch „Freiheit oder Untergang“.) Der Gedanke, dass für das Krallsche „Staatsmodell“ ein faschistischer „Führerstaat“ Pate steht, drängt sich unmittelbar auf.
Wann, für was und wer?
Im ersten Quartal 2024, so Krall im Interview am 6.10.2023, werde man mit der Ankündigung einer Parteigründung an die Öffentlichkeit gehen. Die neue Partei werde bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen im September 2024 antreten. Eine Beteiligung an der Europawahl im Mai 2024 schließt Krall jedoch aus. Und bei der Bundestagswahl 2025 werde man natürlich kandidieren.
Wie diese Partei heißen, welches Programm sie haben wird und wer mit wem die Partei führen könnte, bleibt völlig vage. Krall, wie etwa auch der Neustadter Wolfgang K., sprechen von einem Team, dass derzeit die Parteigründung vorbereite. Hans-Georg Maaßen, den vielleicht einige als Gallionsfigur der Rechts-von-der-Mitte-Partei sehen, äußerte sich bisher eher zurückhaltend zu den Parteigründungsplänen. Ob die Werteunion ein Nukleus der neuen Partei sein könnte, ist bisher nur Gegenstand von Spekulationen.
Man muss nicht spekulieren, welche Chancen eine solche Neugründung haben könnte. Wichtiger ist, die antidemokratischen Ziele von Markus Krall zu erkennen, die er damit verfolgt. Wenn der „ganze Müll“ am ersten Tag nach einem herbeiphantasierten Sieg von AfD und der Rechts-der-Mitte-Partei beseitigt ist, wird es keine parlamentarische Demokratie mehr in Deutschland geben, wie wir sie kennen, sondern ein Klassenwahlrecht, ein Rumpfparlament ohne Parteien, ein Minimalstaat, eine Präsidialdiktatur, die vielleicht auch eine Erbmonarchie werden könnte. Sage niemand, er hätte es nicht gewusst. Die neue Rechts-von-der-Mitte-Partei will Steigbügelhalter für einen Machtwechsel unter Führung der AfD sein. Gab es das – in einer anderen historischen Situation – nicht ganz ähnlich vor jetzt 90 Jahren?
Ulrich Riehm, Freundeskreis Hambacher Fest von 1832
Für nützliche Hinweise zu ersten Entwürfen dieses Blogbeitrags danke ich G. und K.
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