Wolf im Schafspelz?

Teil 1: Markus Kralls Rede bei einer Bauernversammlung in Berlin am 10.9.2023

Markus Krall ist Stammgast auf dem Hambacher Schloss. Nein, er wird nicht von der Stiftung Hambacher Schloss eingeladen, aber er ist mehr oder weniger prominenter Dauerredner bei den rechtsgerichteten Treffen, die Leute wie Max Otte oder Wolfgang Kochanek dort veranstalten. 2018 verkündete Krall auf dem Hambacher Schloss, dass „der Baum der Freiheit“ immer wieder mit dem Blut von Patrioten und Tyrannen gedüngt werden müsse. Dieses Zitat stammt von einem amerikanischen Präsidenten aus dem 19. Jahrhundert. Bei dieser Rede im großen Festsaal des Schlosses forderte er das deutsche Bürgertum auf zu lernen, wie man eine Revolution macht. Die von ihm in Endlosschleifen beschworene tiefe Krise von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft böte die Chance, die Systemfrage zu stellen.

Ein Jahr später, erneut als Gast von Max Otte in Neustadt, beruft sich Krall als Legitimation für einen revolutionären Systemwechsel scheinheilig auf Artikel 20 (4) des Grundgesetzes: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese [grundgesetzliche] Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Zitat aus Kralls Rede auf dem Hambacher Schloss im Mai 2018
(c) Christian Ratz für Kommunalinfo Mannheim

Am Pfingstsonntag 2023 stand Krall wieder auf der Bühne. Dieses Mal auf Einladung von Dr. K., dem grauvollbärtigen und weißgekleideten Unternehmer aus Neustadt. Krall hielt auf einer mobilen Bühne im Vorgarten des Hambacher Schlosses die „Laudatio“ auf den Preisträger des „Demokratiepreises“. Gestiftet wurde das Preisgeld von 10.000 Euro von Kralls Vorfeldorganisation „Atlas Initiative“. Der Preis ging an Michael Ballweg, dem Initiator der Stuttgarter „Querdenker“-Protestbewegung gegen die Corona-Maßnahmen des Bundes und der Länder. Dass Krall den Preisträger Ballweg in seiner „Laudatio“ gar nicht erwähnte, mag verwundern. Sein Schlusssatz ist dagegen ein typischer Krall: „Die Frage ist nicht, wer uns die Erlaubnis gibt, die Frage ist, wer uns aufhalten kann.“ Da klingt wieder die Propaganda für den „revolutionären Widerstand“ gegen das „System“ an.

Nun ist Markus Krall in den konservativen „Fan-Club“ der CDU/CSU, die Werteunion, eingetreten, die von dem (noch) CDU-Mitglied und Ex-Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen geleitet wird. Chef der Werteunion war für einige Zeit auch Max Otte. Man wundert sich, was Krall als Lobbyist für eine konservativere CDU bewirken will, die er ja gerne als „ökosozialistische System-Partei“ beschimpft.

Krall will die Systemfrage im Parlament stellen und für eine neu zu gründende Partei kandidieren.

Und überraschend tritt Krall mit der Ansage auf, er wolle die „Systemfrage“ im Parlament stellen. Dazu sei die Gründung einer neuen Partei notwendig, für die er auch kandidieren werde.

Man wundert sich erneut: Der Rechts-Revolutionär, der den Bundestag gerne als einen korrupten Haufen bezeichnet, tritt den „Marsch durch die Institutionen“ an. Und er kündigt eine eigene Kandidatur an für eine Partei, die noch gar nicht existiert.

Was ist da passiert? Wie begründet er dies? Dazu im zweiten Teil mehr.

Facetten eines Rechtsextremisten

Zunächst eine Skizze einiger Facetten von Kralls politischer Weltsicht. Dazu soll seine Rede auf einer Versammlung von Landwirten am 10.9.2023 in Berlin als Material verwendet werden. Bei dieser Rede ist auch interessant, wie er bestimmte Aspekte seines politischen Programms auslässt, das er in seinen Büchern ausgeführt hat.

Markus Krall bei seiner Rede auf der Bauernversammlung in Berlin am 10.9.2023 (Screenshot Youtube)

Den politischen Gegner abwerten

Gerne nennt Krall, so auch in Berlin am 10.9.2023, seine politischen Gegner „Nichtskönner, Versager, Faule, Dumme“ oder gar „Feudalzwerge“. Sie seien Ergebnis einer „Negativauswahl“, also die „Schlechtesten“. In der Politik müsse man „absolut nichts können“. Aber die Spitze dieser Hetztiraden ist erreicht, wenn Krall von einer „Krankheit der Köpfe“ bei den PolitikerInnen spricht. Mehr Abwertung geht kaum noch. So als krank „geframt“ bedarf es keiner seriösen Auseinandersetzung mehr mit dem politischen Gegner.

Das ganze System ist korrupt

Korrupt bzw. korrumpiert ist man nach Kralls Auffassung schon dann, wenn man vom Staat Geld bezieht und nicht gegen den Staat „Widerstand“ leiste. Denn mit den Abgeordnetendiäten und den Beamtengehältern „kaufe“ sich die herrschende Elite das Wohlverhalten der ParlamentarierInnen und BeamtInnen. Die Politik sei das einzige Betätigungsfeld, in dem man ein Vielfaches des Einkommens eines Normalbürgers erzielen könne und dabei absolut nichts können müsse. Deshalb ziehe die Politik auch die Nichtskönner, Versager, Faulen und Rückgratlosen an, verkündete Krall in Berlin.

… und ein Großteil der Bevölkerung auch

Kralls Demokratieverständnis: Wer staatliche Subventionen oder Sozialleistungen erhält verliert sein Wahlrecht.

Aber damit nicht genug. Krall hält mehr oder weniger die ganze Bevölkerung durch Sozialtransfers (Kindergeld, Bafög, medizinische Versorgung, Renten, Subventionen etc.) für korrumpiert. Dies war wohlweislich nicht Teil seines Vortrags bei den Bauern, die bekanntlich in hohem Maße von staatlichen und EU-Subventionen profitieren, sondern ist seinen Büchern zu entnehmen. Die Konsequenz, die Krall aus dieser völlig willkürlichen Korruptionsdefinition zieht: Nur wer keine Staatssubventionen beziehe, dürfe auch wählen. Auch diese politische Forderung, die nicht mit den unverbrüchlichen Prinzipien des Grundgesetzes vereinbar ist, blieb in Berlin am 10.9.2023 ungenannt. Krall ist ja auf dem Parlamentstrip und will selbst gewählt werden – gerne auch von Leuten die staatliche Transferleistungen beziehen, etwa den Bauern.

Metaphysik, Pseudoreligiosität und Geschichtsrevisionismus

Vorsicht, jetzt wird es metaphysisch. Krall erkennt einen unauslöschlichen „Todestrieb“ in allen Varianten des „Sozialismus“. Achtung: Sozialistisch ist auch die CDU/CSU. Dabei beruft er sich auf einen russischen Mathematiker, der für solche „Globaltheorien“ in der Mathematik sicher das richtige methodische Werkzeug gefunden hat. Der Todestrieb des Sozialismus führe unweigerlich zum Völkermord, wie man in der Geschichte am Holodomor Stalins in der Ukraine und in China unter Mao Tse-tung sehen könnte, so Krall weiter in Berlin. Dass er in der Aufzählung von Genoziden des 20. Jahrhundert den Holocaust an den Juden nicht erwähnt, macht stutzig. Ist Krall ein Antisemit oder Holocaust-Leugner? Das wurde ihm bereits von anderer Seite vorgeworfen.

Angeblich versuche die herrschende Politik die Landwirtschaft für die „Fata Morgana des Klimawandels“ zu zerstören, was zu weiteren Genoziden durch Hunger führe, so Krall vor den in Berlin versammelten Bauern. Der Genozid sei, so Krall weiter, das natürliche Antibiotikum zur Herstellung eines vermeintlichen „ökologischen Gleichgewichts“. Krall wirf seinen politischen Gegner, den „sozialistischen“ Kräfte mit „Todestrieb“, also vor, die Ausrottung der Menschheit anzustreben. Denn wenn es keine Menschen mehr gebe, könne es auch keinen menschengemachten Klimawandel mehr geben, so der äußerst schräge Gedankengang Kralls.

Dass Krall in dieser Ecke seines Denkens von einer „Korrespondenz mit dem Schöpfer“ faselt, wundert kaum noch.

Crash-Prophet

Für Krall ist die Zukunft ein offenes Buch. Sein Spezialgebiet ist die Crash-Prophetie. Dass er seit Jahren den totalen Zusammenbruch von Wirtschaft, Politik, Kultur, Gesellschaft vorausgesagt hat, stört seine Anhängerschaft nicht. Selbst die Zeugen Jehovas nennen keine konkreten Jahreszahlen mehr bis sie das Ende der Welt erwarten. Krall dagegen „weiß“ genau, wann die „Pleite aller Pleiten“ eintritt.

… und Verelendungsprognosen

Ein Drittel der „Menschen in diesem Land“ könnten sich ihr Leben nicht mehr leisten, verkündet er in Berlin bei den Bauern. Was das genau heißen soll, bleibt unklar. Nach dem letzten Armutsbericht der Bundesregierung waren 2021 15,8 % der Bevölkerung armutsgefährdet. Armutsgefährdet ist danach eine Person, wenn sie über weniger als 60 % des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung verfüg. Und keine Frage, Armut und ökonomische Ungleichheit ist ein Problem unserer Gesellschaft. Aber dass ein Drittel der „Menschen in diesem Land“ hungert, was Krall ja mit seiner Formulierung „können sich ihr Leben nicht mehr leisten“ nahe legt, ist einfach absurd und durch nichts zu belegen.

Aber damit nicht genug. Auch das nächste, das zweite Drittel der „Menschen in unserem Land“ käme in absehbarer Zeit nicht mehr klar mit ihrem Geld. Auch das bleibt vage, passt aber in Kralls Verelendungs- und Revolutionstheorie: Das erste Drittel, das „statt Hühnchen sich nur noch Haferlocken“ leisten kann, wird dann den (Bauern-)Aufstand wagen und sich „Fackeln und Forken“ greifen. „Das ist das, was passieren wird“, weiß Krall in Berlin. Wenn die Krise groß genug sei, trete der große Lerneffekt ein. Denn die Menschen lernten leider in erster Linie durch Schmerz. An solchen Aussagen erschließt sich auch Kralls Menschenbild: Eigentlich sind die meisten Menschen etwas beschränkt, lassen sich gerne verführen und korrumpieren. Deshalb ist die große Krise, die Krall herbeisehnt und herbeiredet, notwendig, um das angeblich völlig unfähige „System“ zu kippen.

Showdown

Und dann kommt die Entscheidungsschlacht. Krall am 10.9.2023:

„Die Krise wird tiefer gehen und wird so weit gehen, dass in zwei Jahren dieses Volk im Kopf gesund geworden sein wird, denn sie werden es nicht mehr aushalten. Und dann kommt die Wende. Und dann werden wir diesen ganzen Müll über Bord kippen an einem einzigen Tag.

Der zweite Teil dieses Blogbeitrags behandelt Kralls Pläne zur Gründung einer neuen „Rechts-von-der-Mitte-Partei.

Mit „ganzen Müll“, sind die Institutionen unserer Gesellschaft gemeint und die Personen, die darin arbeiten.

Ulrich Riehm, Freundeskreis Hambacher Fest von 1832

Für korrigierende Hinweise zu ersten Entwürfen dieses Blogbeitrags danke ich G. und K.

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