Ist Max Otte das Wort „Lügenpresse“ verboten worden?

Der AfD-Unterstützer bietet sich auch den Querdenkern als Redner an

„Während meiner Arbeit als Korrespondent der SZ (Süddeutsche Zeitung) bin ich bepöbelt, geschubst und bespuckt worden, und immer wieder meißelten Zeigefinger meine Brust wie vom Wahnsinn befallene Spechte. Anders formuliert: ich hatte riesiges Glück.“ Der Journalist Cornelius Pollmer berichtet für die SZ über Ostdeutschland und was er da mit leichter Ironie schildert, betrifft seine jüngsten Erfahrungen mit Rechtsradikalen auf Querdenker-Demonstrationen.

Andere Reporter hat es heftiger erwischt. „Tätliche Angriffe auf Journalisten (also wenn Reporter geschlagen, getreten oder zu Boden geworfen werden, wenn Ausrüstung beschädigt oder zerstört wird) sowie Attacken auf Redaktions- und Wohngebäude (Einbruch, zerstörte Scheiben, Schmierereien, blockierte Türen) oder auf Autos von Journalisten“ veranlassten die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ vergangene Woche, die Pressefreiheit in Deutschland nicht mehr als „gut“, sondern nur noch unter „zufriedenstellend“ einzuordnen. Das Land rutschte vom 11. auf den 13. Rang von insgesamt 180 Plätzen. Nicht in die Abwertung ging ein, was der Reporter Pollmer schilderte und „Reporter ohne Grenzen“ breiter zusammenfasst: „Demonstrierende riefen teils in größeren Gruppen ‚Lügenpresse‘, störten durch Sprechchöre Live-Schalten, feindeten Journalistinnen und Journalisten an, weil sie eine Maske trugen, und beschimpften sie als ‚Maskenopfer‘, ‚GEZ-Huren‘ und ‚Volksverräter‘. Immer wieder griffen Demonstrierende nach der Kamera oder stellten sich davor, um das Filmen zu verhindern. Medienschaffende berichteten, dass Demonstrierende sehr nah an sie herangekommen seien, ihnen Fragen ins Gesicht gebrüllt und sofort Antworten verlangt hätten. Erschwerend kam hinzu, dass viele der übergriffigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer keine Masken trugen.“ Mehr Information unter: https://www.reporter-ohne-grenzen.de/nahaufnahme/2021 .

Meist gingen die Angriffe auf den Querdenker-Demonstrationen von Neonazis aus, oder Gruppen, die „Reporter ohne Grenzen“ als Hooligans bezeichnet. Was aber nicht nur die Journalisten verstörte: Von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der „Querdenken“-Demonstration gab es den Schilderungen zufolge kaum Anzeichen der Distanzierung von der Gewalt.

Von Max Otte sind bisher nur subtilere Einschränkungen der Pressefreiheit bekannt. Als ihm 2019 nicht passte, dass „Der Spiegel“ kritisch über sein sogenanntes neues Hambacher Fest berichtete, verweigerte er dessen Redakteurin M. Amman den Zugang zur Veranstaltung.

Schon damals war die von ihm gewählte Begründung, der Spiegel bilde ihn neben dem AfD-Politiker Björn Höcke ab, nur vorgeschoben. Der Spiegel hatte zwei Fotos nebeneinander abgedruckt, eines von Otte, eines von Höcke, eine normale Bebilderung.

Inzwischen scheint Otte nicht mehr davon auszugehen, die Nähe zu AfD-Nazi Höcke sei schlecht für sein Image. In seinem Rücktritt als Kuratoriumsvorsitzender der Desiderius-Erasmus-Stiftung der AfD vor wenigen Monaten kam zum Ausdruck, dass Otte sich viel Sorgen um den Erfolg der AfD macht (einer Partei, in der er offiziell nicht Mitglied ist). Weil AfD-Co-Vorsitzender Meuthen, als Manöver gegenüber dem Verfassungsschutz, die Bedeutung des völkisch-rassistischen AfD-Flügels reduzieren will, ergreift Otte offen für Björn Höcke Partei: Der dürfe nicht ausgegrenzt werden (siehe auch den Blogbeitrag Der Rücktritt).

Auf Querdenker-Demonstrationen

Mittlerweile engagiert sich Otte bei den Querdenkern um Michael Ballweg. Er trat bei mehreren Demonstrationen als Redner auf, z. B. in Darmstadt 2020. Es ist ein typischer Otte-Auftritt: Das eine wird mit dem anderen assoziiert, Einzelheiten in Breite aus seinem Leben erzählt: Hat keinen Fernseher, jedoch dieses und jenes studiert, heute sei er auf der zweiten Demo seines Lebens. Er lässt alles ein wenig im Unklaren und: Haut mal schnell eine steile Behauptung raus. Der Begriff „Lügenpresse“ werde ihm von der Aktion „Unwort des Jahres“ verboten.

Die sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“ hatte im Jahr 2014 das Wort „Lügenpresse“ als Unwort aufgespießt, verbunden mit der Begründung, Medien würden dadurch pauschal diffamiert. Was wird daraus? Max Otte kriegt angeblich etwas „verboten“. Von einer Initiative, die über keinerlei institutionelle Macht verfügt, sondern höchstens über Autorität und gute Argumente.

Aktion Unwort des Jahres
Quelle: http://www.unwortdesjahres.net/

Otte rätselt in seiner Rede weiter herum, wie hoch der Prozentsatz der Beschädigung der Demokratie sei, 90%, wie er mal behauptet hatte oder vielleicht nur mehr als 50%, und warum man sich deswegen wehren müsse. Er redet über die Macht der Parteien über die Medien, „ein Thema, über das geschwiegen wird“. Er plaudert und dampft, auf einer genehmigten Demonstration, stellt das Video auf seinem Kanal ins Netz, suggeriert aber: Verbote und Zensur.

Parallel spendiert er Preisgelder von 5.000 Euro an Gesinnungsgenossen wie Vera Lengsfeld, die letzthin wieder in Hinblick auf Lockdown-Maßnahmen behauptete, was sich seit Monaten vor ihren Augen abspiele, sei „die Umwandlung eines demokratischen Rechtsstaats in eine Diktatur“ (siehe auch den Blogbeitrag Max Otte preist Vera Lengsfeld).

Es ist das immer wiederkehrenden Muster: Man ist Täter, inszeniert sich aber als Opfer. Man diffamiert die Presse und stellt Deutschland mit funktionierenden Wahlen, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit als Diktatur hin. Waren nicht gerade Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz unter Pandemie-Bedingungen? Werden nicht die Beschlüsse der Exekutive vor Gericht geprüft und davon eine beachtliche Menge kassiert? Können nicht Demonstrationen gegen staatliche Anordnungen, Gesetze und Einschränkungen von Grundrechten stattfinden?

Die „Reporter ohne Grenzen“ beleuchteten im Übrigen auch die Einschränkung der Pressefreiheit durch staatliche Stellen. In ihrem Bericht schreiben sie: „Auch wenn ‚Reporter ohne Grenzen‘ bislang keine gravierenden Corona-bedingten Einschränkungen der Pressefreiheit in Deutschland zu Ohren gekommen sind: Die Versuchung ist offensichtlich durchaus vorhanden, zum Beispiel das für viele Institutionen neue Format der Video-Pressekonferenz für eine restriktive Zulassung von Journalistenfragen zu nutzen oder nur vorab eingereichte Fragen anzunehmen. Auch Anzeichen für solche Fehlentwicklungen sollen künftig in die Übersicht einfließen.“

Michael Hansen, Freundeskreis Hambacher Fest von 1832

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