Dr. Kochanek, Unternehmer aus Neustadt, Initiator einer Großdemonstration am 28.5.2022

Man kann sich Dr. Wolfgang Kochanek – Mitte 60, Chemiker, Neustadter Unternehmer, Vollbartträger – gut als einen FDP-Anhänger vorstellen: Vertreter des freien Unternehmertums, Bürokratiekritiker, Verteidiger individueller Freiheiten, Kritiker allzu strenger Coronamaßnahmen – aber geimpft und geboostert –, gegen Umverteilung und einen überbordenden Fürsorgestaat, Freund des technischen Fortschritts, Gegner der Gender- und anderer „Laberwissenschaften“.

Doch warum wird die Person Kochanek überhaupt zum Thema auf dem Hambach-Blog?

Ankündigung einer Großdemonstration am 28. Mai 2022

Kochanek hat für den 28. Mai, dem 190. Jahrestag des Hambacher Festes, eine Großdemonstration mit 30.000 Personen angemeldet. Schon länger ist bekannt, dass die Stadt Neustadt und die Stiftung Hambacher Schloss an diesem letzten Mai-Wochenende ein Demokratiefest feiern wollen, was eine gute Sache ist. Das Fest soll sowohl auf dem Marktplatz als auch auf dem Schloss stattfinden – und auf dem Weg von der Stadt zum Schloss. Die gleichen Plätze zur gleichen Zeit will Kochanek mit seinen 30.000 „bespielen“.

Das kann nicht richtig funktionieren – schon physikalisch ist das schwer vorstellbar. Das müsste doch dem Naturwissenschaftler Kochanek einleuchten. Wo ein Körper in Raum und Zeit vorhanden ist, kann kein anderer Körper diesen Platz in dieser bestimmten Zeit einnehmen. Oder der „Fremdkörper“ kommt mit viel Energie und verdrängt den vorhandenen Körper. Vielleicht schwebt Kochanek das vor. Mit 30.000 mal kurz das Demokratiefest „verdrängen“. 250.000 € stellt er und andere Unternehmer für diese Aktion zur Verfügung.

Er hätte sich auch am Demokratiefest mit eigenen Vorschlägen beteiligen können. Stadt und Stiftung hatten dazu aufgerufen und viele sind diesem Ruf gefolgt.

Was sich da an diesem 28.5. zusammenbraut, weiß heute noch keiner. Aber wenn ein Neustadter Unternehmer 30.000 am 190. Jahrestag des Hambacher Festes zu einem „Marsch auf’s Schloss“ aufruft, ist das schon ein Anlass für den Hambach-Blog, sich mit diesem Menschen, seinen Absichten und seinem Umfeld zu beschäftigen.

Ein unsteter Geist

Ob er FDP-Anhänger war oder noch ist, wie oben spekuliert, wissen wir nicht. Vielleicht ist er eher ein unsteter Geist, immer nach neuen Ufern Ausschau haltend. So war er zunächst Chemiker bei der BASF, eine gut geführte Firma, wie er sagt. Dort hat er in sechs Jahren eine „beachtliche Karriere“ gemacht, sagt er von sich. Es war aber offenbar nicht seine Welt. In der abgewickelten DDR bot sich ihm die Chance zusammen mit der Treuhand ein High-Tech-Unternehmen aufzubauen, und bald ging es auch nach Russland, wo er sich in eine Chemiefirma eingekauft hatte.

In Neustadt forscht er seit vielen Jahren an „grünem Stahl“. Gemeint ist damit ein Stahl, der für seine Produktion deutlich weniger Energie benötigt als herkömmlicher Stahl und nicht als Rohling, sondern gleich als Fertigteil produziert wird, was weitere Einsparungen an Energie und Material verspricht. Das klingt richtig grün und nachhaltig. Aber bei der Grünen Partei war Kochanek wohl noch nicht, aber eine Zeitlang bei Attac, später dann bei den Piraten, bei denen er sogar zum politischen Geschäftsführer des Neustadter Stadtverbands gewählt wurde. Aber eigentlich bezeichnet er sich als eher unpolitisch. Was auch nicht so ganz stimmen kann, nicht nur wegen der Hambach-Demonstration am 28.5., sondern weil er auch angekündigt hat, vielleicht mit anderen „Kreativen“ bei der nächsten Stadtratswahl zu kandidieren.

„Ich kenne keine Parteien mehr“

Über seine Großdemonstration am 28.5. ist noch wenig bekannt. Kochanek will von rechts, von links und von der Mitte Redner einladen, vielleicht auch eine Rednerin. Aber die Redner*innenliste ist noch nicht veröffentlicht. Das Motto der Demonstration ist etwas langatmig: „Die aktuelle politische und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland als Wiederholung der Geschichte zwischen 1918 und 1930, aufgezeigt am Bespiel der Themen Exodus der wertschöpfenden Industrie; Ersticken jeglicher Initiative durch nicht mehr überschaubare Verwaltungsvorschriften; Einschränkung der bürgerlichen Grundrechte durch willkürliche Allgemeinverfügungen; inflationäre Enteignung des Bürgers.“

Hambach 1832 wie Neustadt 2022?

Gerne fühlt sich Kochanek in die Zeit von 1832 zurückversetzt. Damals absolutistische Fürstenherrschaft, Unterdrückung der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit, soziales Elend, Verurteilung der Hambacher Wortführer von 1832 zu Gefängnisstrafen oder deren erzwungene Flucht ins ausländische Exil. Und heute?

Meint er wirklich im Ernst, dass die heutigen Verhältnisse vergleichbar mit 1832 sind? Will er sich mit den Leuten gemein machen, die von der Merkel-Diktatur, von einer DDR 2.0 oder einer Corona-Diktatur fabulieren und dieses Zerrbild verbreiten?

Eine populistische Rede am 17.1.2022 in Neustadt

Hört man sich seine Rede am 17.1.2022 auf dem Neustadter Marktplatz an, dann kann man einen populistischen Zungenschlag erkennen.

  1. Ein typisches Element des Populismus ist, die große ökonomische und gesellschaftliche Krise zu beschwören. Da reiht er sich ein bei Max Otte (Weltsystem Crash, 2019) und dem von Max Otte verehrten Markus Krall (Der Crash ist da, 2019). Die in Jahrzehnten aufgebaute wirtschaftliche Substanz werde von den politischen Eliten geopfert, so Kochanek in Neustadt. Große Teile der klein- und mittelständischen Unternehmen würden die nächsten zwölf Monate nicht überleben. Sparguthaben, Renten, Lebensversicherungen würden beim finalen Crash völlig in Luft aufgelöst. Und schließlich drohe als letzter Schlussakt in diesem Drama die Währungsreform. Wirtschaftlich sei es für viele Unternehmer drei Sekunden vor zwölf. In wenigen Monaten könnten tausende arbeitslose Bürger zusammen mit hunderten insolventen Unternehmern in einem hochinflationären Umfeld in Neustadt den sofortigen Rücktritt der Stadtführung verlangen. Das Leben der meisten Menschen sei unkontrollierbar geworden. Wenn aber die Ungeimpften von Mitarbeitern des Ordnungsamtes demnächst wie Parias durch die Straßen getrieben würden, dann würden Straßenschlachten mit Toten die Bilder der Nachrichten dominieren. Und dann hätte sich die Geschichte von vor 100 Jahren nicht nur wirtschaftlich wiederholt, warnt Kochanek.
  2. Ein zweites Element des Populismus ist die Gegenüberstellung von Volk und (politischer) Elite. Auch dieses bedient Kochanek mehr oder weniger wie aus dem Lehrbuch des Populismus: So zitiert er einen nicht näher benannten Autor, dass die Politiker in Berlin zwar mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gewählt wurden, aber nicht die Mehrheit des Volkes repräsentierten. Und er sieht in den gegenwärtig stattfindenden Corona-Demonstrationen und (Montags-)Spaziergängen, dass „das Volk“, dessen Existenzgrundlage zerstört würde, aufsteht und gegen einen übergriffigen Staat die Stimme erhebt.
  3. Dazu passt meines Erachtens oft ehrabschneidende Kritik an den (Partei-)PolitkerInnen. Politikern seien die Inhalte völlig egal, es ginge ihnen nur darum, ihre Nase in eine Kamera zu halten. Politiker seien in erster Linie auf der Jagd nach Quote. Was das für den Staat und seine Bürger für Konsequenzen habe, interessiere sie nicht. Eine Armada von Abzockern erleichterten den Staat um Milliarden, die auch in die Taschen von Politikern wanderten. Auf seiner Demonstration am 28.5. will Kochanek keine der üblichen, bezahlten „Politclowns“ der Parteien sehen.

… die Freiheit, selbst in den rechten Sumpf zu gehen …;

Gut einen Monat später, in der Zwischenzeit hatte Kochanek seine Giga-Hambach-Demonstration in die Welt gesetzt, hielt er am 19.2.2022 eine Rede in Landau bei einer Demonstration mit Kundgebung von Gegnern der Coronamaßnahmen. Die Landau-Rede war kürzer als die Rede in Neustadt, die weit über eine Stunde dauerte. Dafür war sie in der politischen Botschaft deutlich zugespitzter. Zwischenzeitlich hatte Kochanek wohl Max Otte – auch persönlich – kennen und schätzen gelernt, wobei man sich kaum vorstellen kann, dass er Max Otte, der seit 2018 das Thema Hambach in der Region versucht zu besetzen, nicht gekannt haben sollte.

In Landau spricht Kochanek jetzt von den „gleichgeschalteten Medien“ und den „bezahlten Schreiberlingen“. In Deutschland dürfe man nicht mehr seine Meinung sagen, zitiert er eine Umfrage. Der Wohlstand sei seit vielen Jahren erodiert. Die Politiker in Berlin gehörten zu einer Kaste, die ihre eigene Macht für eigene Interessen schamlos missbrauchten.

Und jetzt kommt, was er einen Monat zuvor noch nicht gesagt, vielleicht sogar noch nicht gedacht hatte, die „Wir-leben-in-einer-Diktatur“-Behauptung. In Kochaneks Worten klingt das so:

Die angeblichen politischen Eliten, die im Hintergrund ihre eigene Agenda verfolgten, hätten alle Institutionen des Staates bis hin zum Bundesverfassungsgericht ausgehöhlt und mit ihren willfährigen Vasallen besetzt.

Dr. Wolfgang Kochanek am 19.2.2022 in Landau

Man kann hier einen Menschen beobachten, wie er auf die „schiefe Bahn“ nach rechts gerät und bis zum 28.5., wenn er nicht aufpasst, ganz unten im rechtsextremen oder neurechten Sumpf landet.

Ein letztes Wort zur Meinungsfreiheit: Kochanek mag seine Reden halten, wann und wo immer sich ihm ein Forum bietet, und er nicht gegen geltende Gesetze verstößt. Diese Meinungsfreiheit schützt unser Grundgesetz. Er muss es aber aushalten, dass andere ihn kritisieren, gegen ihn auftreten und demonstrieren – und braucht sich deswegen nicht in die Opferrolle flüchten und einen verengten Meinungskorridor oder gar eine gleichgeschaltete Meinungsdiktatur beklagen. Eine kritische Auseinandersetzung ist gelebte Demokratie. Seine Kritiker mit juristischen Schritten einschüchtern zu wollen, wie er es bereits mehrfach getan hat, zeugt auch nicht von demokratischem Geist und eigener Souveränität.

Ulrich Riehm, Freundeskreis Hambacher Fest von 1832

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