Vom Hambacher Schloss zum Landhotel Adlon und zurück

Was nicht mehr erträglich ist, braucht Gegenwehr

Dreht sich da was?

Dreht sich gerade die Stimmung im Lande? Wie das Kaninchen auf die Schlange hat die Zivilgesellschaft auf die tatsächlichen und prognostizierten Wahlerfolge der AfD gestarrt. Nichts schien die rechte Welle aufzuhalten, kein Aufschrei der Mehrheitsgesellschaft in Sicht. Jetzt, in den ersten Tagen des neuen Jahres, scheint etwas in Bewegung zu kommen. Eine Online-Unterschriftensammlung unter dem Motto „Wehrhafte Demokratie: Höcke stoppen!“ hat in kurzer Zeit mehr als 1 Mio. UnterstützerInnen erreicht.

Noch wichtiger als die Klicks im Internet sind diejenigen, die in den letzten Tagen auf der Straße Gesicht gezeigt haben. In Berlin, Potsdam, Saarbrücken, Dresden, Leipzig, Essen, Rostock und vielen anderen Städten standen Tausende und Zehntausende gegen Rassismus und den Vormarsch der Rechten zusammen. Eine „Breite Bürgerbewegung gegen rechts“ schreibt die SZ am 16.1.2024.

Tun wir was dazu, damit die SZ recht behält, und es sich nicht nur um ein kurzfristiges Strohfeuer handelt.

Mai 2023: „Hambach ist bunt“ Banner auf dem Hambacher Schloss (Foto: privat)

… auch in der Region?

Hier in der Region fand am 13.1. eine sehr kurzfristig von Privatpersonen angemeldeten Kundgebung mit bis zu 500 TeilnehmerInnen auf dem Landauer Stiftsplatz statt.

„Die Demonstranten wollten ein Zeichen für Demokratie, Vielfalt und Solidarität setzen“, schreibt der Pfalz-Express, und weiter: „Auf der Kundgebung sprachen Vertreter verschiedener gesellschaftlicher Gruppen wie dem Bündnis für Toleranz und Menschlichkeit, dem AStA und der Omas gegen Rechts. Sie verurteilen die AfD für ihre Verbindungen zu Rechtsradikalen und ihren Plan, deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund aus dem Land zu bringen. … An der Kundgebung nahmen auch Kommunalpolitiker und Kirchenvertreter teil.“

Auch auf der anderen Rheinseite in Mannheim protestierten am gleichen Tag einige Hundert gegen eine AfD-Veranstaltung im Mannheimer Vorort Rheinau. So viele gingen in Mannheim schon lange nicht mehr gegen die AfD auf die Straße. Mit dabei eine Staatssekretärin der Grün-Schwarzen Landesregierung in Stuttgart, Landtagsabgeordnete und gewählte Vertreterinnen des Mannheimer Stadtrats aus unterschiedlichen Fraktionen.

Auslöser für diese Engagement-Welle war die Recherche von Correctiv über das „Geheimtreffen“ aus rechten Unternehmerkreisen, AfD-Politikern, CDU- bzw. Werteunions-Mitgliedern und dem österreichischen Jungnazi, ehemaligen Sprecher der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) und auch in der Neurechten-Szene Deutschlands besten vernetzten Martin Sellner.

Über die in einer Potsdamer Villa diskutierten Deportationspläne – im Rechtsjargon verharmlosend mit dem wissenschaftlichen Begriff „Remigration“ genannt – wurde in den Medien ausführlich berichtet.

Was hat das Hambacher Schloss mit dem Rechtsaußen-Treffen in Potsdam zu tun?

Was sich seit 2018 fast jährlich auf dem Hambacher Schloss versammelt ist strukturell, thematisch, teilweise sogar personell identisch mit dem „Geheimtreffen“ im Adlon: CDU-, AfD-Mitglieder und Mitglieder der Werte-Union, Unternehmer, Professoren, Selbständige. Die Absicht hier im Südwesten wie im Nordosten Deutschlands: Ein Bündnis schmieden zwischen rechter CDU/Werteunion und AfD, zwischen Altnazis und Neurechten, vereint in dem Ziel, der Berliner Republik egal ob unter Merkel oder einer Ampelregierung endlich den Stecker zu ziehen.

Da ist etwa der Vermögensverwalter Max Otte zu nennen, der 2018, 2019 und 2020 ein sog. neues Hambacher Fest organisiert hatte. Otte war 2018 noch selbst CDU-Mitglied, dann Kandidat der AfD bei der Wahl zum Bundespräsidenten und zeitweise Vorsitzender der Werte-Union. Otte steht mit dem Organisator des „Deportationstreffens“ in Potsdam, Gernot Mörig, ehemals Zahnarzt in Düsseldorf, seit Jahren in engem Kontakt, wie Zeit-Online aufdeckte.

2023 Protest gegen die „Weißen“ mit braunen Streifen in Hambach (Foto: privat)

Ein weiterer Unternehmer im Hambacher Umfeld ist der Neustadter Wolfgang Kochanek, derzeit parteilos, wenn auch mit Parteigründungsphantasien. Er mobilisierte 2022 und 2023 einige Tausend Teilnehmer aus der ganzen Bundesrepublik auf das Hambacher Schloss. Diese kamen aus dem Lager der Impfgegner und Querstänker, vermischt mit „Wir-sind-gegen-Alles“-Bürgern, Reichsbürgern und anderen Rechtsextremisten.

Auf Max Ottes Szenetreffen auf dem Hambacher Schloss waren 2018 der damalige AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen und 2020 der amtierende Bundessprecher Tino Chrupalla vertreten, um nur die prominentesten AfD-TeilnehmerInnen zu nennen.

Der Jurist Ulrich Vosgerau hielt 2020 bei Ottes drittem sog. neuen Hambacher Fest auf dem Schloss einen Vortrag, in dem er sein Elend als W3-Professor beklagte, das ihn in Altersarmut stürzen würde. Vosgerau war auch unter den Teilnehmern des Deportations-Treffens im Landhaus Adlon 2023.

Ob das Thema „Remigration“ bei diesen Rechtsevents in Hambach auch schon diskutiert wurde, ist nicht bekannt. Aber den Boden für solche Pläne durfte der Rassist Thilo Sarrazin 2018 mit seinem Vortrag bereiten.

Auch Markus Krall gehört zu den, lange parteiunabhängigen, Rechtsextremisten mit einer kontinuierlichen Hambach-Präsenz. Seit neuestem ist er in die Werteunion eingetreten und setzt darauf, dass die Werteunion als Partei bei den nächsten Bundestagswahlen Steigbügelhalter für eine Machtübernahme der AfD in Berlin wird. Mit seinem seltsam ausgeprägten „Humor“ beklagt er sich, dass er ins Landhotel Adlon nicht auch eingeladen wurde. In seinen weiteren Äußerungen zum „Geheimtreffen“ kritisiert er die „geheimdienstlichen Methoden“ von Correctiv. Zu den dort verhandelten Inhalten äußert er sich nicht, hält die Aufregung darüber aber für eine hochgeputschte Skandalisierung ohne Substanz. Auf Marks Kralls demokratieverachtende und reaktionäre Programmatik sind wir schon mehrfach auf dem Hambach-Blog eingegangen.

Was wir ertragen müssen oder auch nicht?

Es hätte also schon längst Anlass genug gegeben für die Neustadter Stadtgesellschaft und Kommunalpolitik, an deren Spitze Oberbürgermeister Marc Weigel steht, diesem Treiben energisch entgegen zu treten. Die Proteste der letzten Jahre gegen die rechten Aufmärsche in Neustadt, die auch vom Freundeskreis Hambacher Fest von 1832 und dem Hambach-Blog unterstützt wurden, waren leider relativ schwach.

Marc Weigel überraschte in seiner Neujahrsansprache am 13.1. im Saalbau mit einer Passage zu den laufenden Querlenker-Demonstrationen auf das Hambacher Schloss. Er kennzeichnete sie als krude Mischung, zu der auch Rechtsextreme und umstürzlerische Reichsbürger gehörten. Ein bekennender Reichsbürger habe kürzlich die Fahne des bayrischen Königreichs auf’s Schloss getragen. Die Hambacher von 1832 hätten ihn zum Teufel gejagt, da sie gegen die reaktionäre bayrische Herrschaft und für ihre freiheitlichen Ideale aufgestanden seien. Und Weigel erwähnte die Planungen für das erste Juni-Wochenende, für das ein diffuses Spektrum von Organisationen das Schloss als Symbol der Demokratie erneut zu missbrauchen suchten.

Und die Konsequenzen aus all diesem?

„Wir müssen es im rechtsstaatlichen Rahmen ermöglichen und ertragen.“

OB Marc Weigel am 13.1.2024 beim Neujahrsempfang im Saalbau in Neustadt

Keine Frage, der rechtsstaatliche Rahmen ist einzuhalten. Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut unserer Verfassung, ein leichtfertiges Verbot kann, wie 2023, schwer nach hinten los gehen und hat den Weiß-Braunen letztlich den Weg auf das Schlossgelände geöffnet.

Aber müssen wir, müssen Sie, Herr Weigel, das ertragen?

Wäre es nicht an der Zeit, dass die Stadtspitze, die Stadtgesellschaft an einen runden Tisch ruft, um gemeinsam zu beraten, wie man dem Missbrauch des Hambacher Schlosses auf breiter Basis entgegentreten könnte. Den Stadtrat haben Sie, Herr Weigel, ja schon mit einem mit großer Mehrheit gefassten Beschluss „Gegen den Missbrauch des Hambacher Schlosses“ auf Ihrer Seite.

Wäre es nicht an der Zeit, dass Sie, Herr Weigel, selbst zu einer Kundgebung im Verbund mit den Parteien, Institutionen, Verbänden, Vereinen, Initiativen zur rechten Zeit am rechten Ort aufrufen, die zum Ausdruck bringt, Neustadt, die Demokratiestadt, hat genug von den schwarz-braunen Kräften, Neustadt will die Antidemokraten nicht mehr ertragen?

Neutralität hört da auf, wo die Grundlagen unseres demokratischen Zusammenlebens in Frage gestellt werden mit menschenverachtenden Vorstellungen von Massendeportationen oder einer Demokratie für Reiche ohne allgemeines Wahlrecht, wie sie Markus Krall und seine Anhänger propagieren.

Der Oberbürgermeister von Potsdam (SPD), die Oberbürgermeisterin von Augsburg (CSU) haben es vorgemacht. OB Mike Schubert (SPD) hatte selbst zu Kundgebung „Potsdam wehrt sich“ aufgerufen. Die Augsburger Oberbürgermeisterin Eva Weber hielt eine „Brandrede“ auf einer Kundgebung der Jugendorganisationen von SPD und Grünen, wie der Bayerische Rundfunk berichtete. Es seien nicht ihre Parteien, die die Demonstration auf dem Augsburger Rathausplatz organisierten, doch es sei ihre Demokratie, ihre Freiheit und ihr Land. Eva Weber zitiert in ihrer Rede den Bayerischen Verfassungsschutzpräsidenten: der Rechtsextremismus sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen, werde von der Mitte der Gesellschaft aber nicht bekämpft. „Wir brauchen einen Schulterschluss der Mitte“ folgert die Oberbürgermeisterin. Dem ist wenig hinzuzufügen.

Ulrich Riehm, Freundeskreis Hambacher Fest von 1832

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